"Figur zu sehen, nicht Figur zu sein" - das war Heimito von Doderers Credo für die Funktion des Schriftstellers. Nun ist ihm das - zumindest Zweiteres - schon zu Lebzeiten nicht gelungen, als er spät, aber doch zum repräsentativen Autor der 50er und 60er Jahre in Österreich aufstieg - mit dementsprechender öffentlicher Präsenz.

- © Ueberreuter
© Ueberreuter

Aber auch im Nachleben gelingt es ihm nicht, wie zwei Veröffentlichungen aus diesem Jahr zeigen: Zuerst wurde der einstige Großschriftsteller kurioserweise im Körper eines Mädchens im Wien der 80er Jahre in der Großfeldsiedlung wiedergeboren, und zwar im Roman "Die Doderer-Gasse oder Heimitos Menschwerdung" von Nadja Bucher (Milena Verlag), und nun darf er zwar als er selbst in dem Literaturkrimi "Nur der Tod ist unsterblich" von Reinhard Gnettner (Ueberreuter) auftreten, als quasi Unsterblicher, was aber in einem Krimi bekanntlich nicht auf ewig so bleiben kann.

In dem unterhaltsamen und anspielungsreichen Kammerspiel bewohnt Doderer zusammen mit den ebenfalls (gerade) noch am Lebensfaden hängenden Kollegen Leo Perutz, Friedrich Torberg, Stefan Zweig und Erich Fried eine Alters-WG in Wien, die - naturgemäß, ist man geneigt zu sagen - als erweitertes Kaffeehaus geführt wird.

Bis dann plötzlich einer der Literaten nach dem anderen auf mysteriöse Weise doch ums Leben kommt. So auch Doderer, ausgerechnet auf "seiner" Strudlhofstiege, über welche er, im Rollstuhl sitzend, hinuntergestoßen wird - ein garstiges Bild. Viel besser gefallen hat mir da schon jene Szene in dem Roman (der soeben für den heurigen Leo-Perutz-Preis nominiert wurde), in der Doderer - ein bekanntermaßen vom Eigensinn der Dinge leicht irritier- und entflammbarer Charakter (siehe den Erzählungsband "Die Peinigung der Lederbeutelchen") - eine Teekanne exekutiert, die ihn zuvor gepiesackt hatte: "Das Miststück von Teekanne will mich verhöhnen. Ich habe es genau gesehen, sie hat ihren Schnabel vorgestreckt und absichtlich ein paar heiße Tropfen fallen lassen, die mich in den Fuß gebissen haben!"

Also wird das renitente Porzellangefäß vom gereizten Autor kurzerhand mit Frieds Gehstock zerschlagen. "Am liebsten hätte ich sie bis auf die Porzellangasse hinausgeschlagen", schickt Doderer der kruden Tat noch eine großsprecherische Absichtserklärung hinterher. Und das ist nun wiederum eine feine Pointe (des Autors Gnettner), denn die Porzellangasse im neunten Wiener Gemeindebezirk spielt in der "Strudlhofstiege" eine eminente Rolle, wie nicht nur belesene "Heimitisten" wissen.

Niemand hat die Topographie dieses wohl berühmtesten Wien-Romans (und auch der übrigen Werke Doderers) so genau erforscht wie Engelbert Pfeiffer, dessen fulminant wissensreiche, 1983 im Selbstverlag veröffentlichte Studie "Heimito Doderers Alsergrund-Erlebnis"leider nur mehr antiquarisch erhältlich ist. Da-rin zeigt der ehemalige Kustos des Bezirksmuseums Alsergrund, wie der räumlich denkende und metaphorisierende Schriftsteller die Kreuzung der Porzellangasse mit der Alserbachstraße, die ein "T" bildet, für eine Links-Rechts-Symbolik nutzt, die an "jene Bilder des Jüngsten Gerichts erinnert, wo den Auserwählten ihr Platz zur Rechten, den Verdammten zur Linken des Richters zugewiesen ist".

Eine diesbezüglich genaue Lektüre der "Strudlhofstiege" und der Schicksalswege der Romanfiguren zeigt, dass dieser Vergleich, bzw. diese Ableitung keineswegs zu verstiegen oder gar zu weit hergeholt ist. Und die reichhaltige, vielfältige Les- und Interpretierbarkeit von Doderers Romanen und Erzählungen macht - neben all den lebensweltlich relevanten Erkenntnissen und sommerlich-atmosphärischen Stimmungstönen (auf die Stefan Winterstein in seinem Text über die "Strudlhofstiege" zurecht und treffend hinweist) - den Reiz und die Attraktivität dieses Schriftstellers bis heute aus (womit er seine vier Alters-WG-Kollegen doch einigermaßen deutlich distanziert).

Es waren und sind nicht zuletzt Autorinnen wie Eva Menasse oder Autoren wie Martin Mosebach, Daniel Kehlmann und Klaus Nüchtern (siehe Interview mit der "Wiener Zeitung"), die dem einstmaligen "Sach- & Ding-Terroristen" - dem man auch sonst persönlich wohl lieber nicht begegnet wäre (nicht einmal im Stiegenhaus) - auf unterschiedliche Weise in den letzten Jahren ihre Reverenz erwiesen haben. So viel zur Ehre Doderers. Zur Strafe wird er nun allerdings als Teekanne wiedergeboren.