Der dritte Teil von Joachim Meyerhoffs Lebensroman: eine erquickliche und verzaubernde Reise. - © kiepenheuer & witsch
Der dritte Teil von Joachim Meyerhoffs Lebensroman: eine erquickliche und verzaubernde Reise. - © kiepenheuer & witsch


Meistens ist man ja froh, wenn sich Schauspieler auf ihr Metier beschränken. Nur wenige haben darüber hinaus was zu zeigen oder zu sagen. Ausnahmen wie etwa Elisabeth Orth bestätigen nur die Regel. Und Joachim Meyerhoff - der ist auch so eine Ausnahme. Dass er etwas zu sagen hat, zeigen viel Interviews. Und dass er etwas zu erzählen hat, belegen mittlerweile drei Bände, in denen er seine Lebensgeschichte ausbreitet. (Unter dem Übertitel "Alle Toten fliegen hoch" bei Kiepenheuer & Witsch erschienen.) Mit welcher Lust am Fabulieren, aber auch welcher Liebe zum Detail - und vor allem zu den jeweils Dargestellten -, zeigt der 1967 in Homburg geborene, seit mehr als zehn Jahren am Burgtheater engagierte Schauspieler und Autor am Sonntag bei (s)einer Lesung in Köln.
Den großen (Börsen-)Saal mit rund 800 Besuchern füllt er alleine mit seiner Stimme und seiner Geschichte komplett bis in den letzten Winkel aus. Und mit der "Großmutteressenz". Denn davon erzählt er an diesem frühen Abend: von seinen Großeltern, in deren Münchner Haus er drei Jahre lang - während er an der Schauspielschule war - gewohnt hat. Das ist im Wesentlichen der Inhalt von Band 3 seines Lebensromans, "Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke" (2015 erschienen).
Die Schrulligkeiten dieses (groß-)bürgerlichen Paares, ihre erstaunlichen Trinkgewohnheiten (vom morgendlichen Champagner über diverse Weinbegleitungen zum Essen bis zum Vorabend-Whisky und dem Gute-Nacht-Cointreau reicht der alkoholische Reigen) und ihre festgefahrenen Gewohnheiten werden von Meyerhoff in herzzerreißender Komik dargestellt. Man fühlt sich - und daran erweist sich die Verführungskraft dieses gewitzten Erzählers - rasch aus dem nüchternen riesigen Industrie-Saal in die hauptsächlich rosa eingerichteten und -gefärbten Zimmer der Münchner Villa versetzt; riecht förmlich den eindringlichen Shalimar-Duft, den die Großmutter (eine ehemalige Schauspielerin) in den Räumen verbreitet - eine persönliche Duftschneise, die der Enkel niemals vergisst. Noch heute, so erzählt er, öffnet er in Parfümerien, etwa auf Flughäfen, gerne eine der Shalimar-Flacons, aus denen dann sogleich der Geist der inzwischen Verstorbenen entweicht: die Großmutteressenz.
Oder man empfindet den "Magnolienschmerz", wenn das betagte Ehepaar - wie jeden Vormittag - in den Garten tritt und den (Blatt-)Verlust an dem Prachtbaum trauernd konstatiert.
Alles allzu Rührende oder - ihn selbst betreffend - Kokette, welche Emotionen einen bei der Lektüre eventuell da oder dort überfallen könnten, werden bei der Live-Performance souverän und rasant wegerzählt. Dabei merkt man, dass viele dieser Anekdoten und Episoden eigentlich als Theaterabend konzipiert waren - derart plastisch und auf Effekt hin sind sie konstruiert. Ach was, "konstruiert" klingt viel zu künstlich, absichtsvoll, abstrakt. Meyerhoff erzählt in einer Natürlichkeit und Selbstverständlichkeit, dass man die - zumeist akademisch - anerzogene Scheu vor der Lebendigkeit und Unmittelbarkeit des Erzählten rasch abstreift, vergisst und verliert. Man ist gebannt, berührt, mitgerissen. Mit den Alten steigt man gewissermaßen in einen Jungbrunnen - und kommt daraus lustvoll erquickt und verzaubert zurück. Mehr kann man eine Lesung wirklich nicht leisten.