Hat sich des Faust-Stoffes in zeitgemäßer Form angenommen: Thea Dorn, beim Signieren ihres Romans. - © schmickl
Hat sich des Faust-Stoffes in zeitgemäßer Form angenommen: Thea Dorn, beim Signieren ihres Romans. - © schmickl


650 Seiten hat der neue Roman von Thea Dorn. Und die braucht es wohl auch, wenn man sich einer derart ambitionierten Aufgabe stellt: nämlich den Faust-Stoff in einer zeitgemäßen Form (neu) zu erzählen. Seit Thomas Manns "Doktor Faustus" - und das ist immerhin auch schon fast 70 Jahre her - hat sich in der deutschsprachigen Literatur niemand mehr an dieses Thema herangewagt. Vier Jahre lang, so erzählt Thea Dorn bei ihrer Lesung im Kölner Comedia-Theater, habe sie sich jeden Morgen skeptisch im Spiegel betrachtet und für verrückt erklärt, sich ausgerechnet diese Herausforderung gesucht zu haben.
So ganz braucht man ihr das nicht zu glauben, selbstbewusst und argumentationsstark, wie sie ihr Buchprojekt präsentiert. Wenn schon einer, dann kann man ihr das zutrauen, dieser hochreflektierten und sich glasklar, in vollmundig-prononcierter Artikulation ausdrückenden Autorin und TV-Moderatorin ("Literatur im Foyer"). Außerdem ist sie spätestens seit ihrem Buch über die "deutsche Seele" (2011) als Spezialistin für tiefsinnig Teutonisches ausgewiesen.
Und so lässt sie in "Die Unglückseligen" (Knaus Verlag) die Molekularbiologin Johanna, die am Projekt "Unsterblichkeit" arbeitet und forscht (das, so erzählt Dorn, gar nicht so weit hergeholt sei - zumindest in den USA, dort ist sogar Google an derartigen Forschungsprojekten beteiligt), auf einen jungen und doch seltsam ältlichen Mann treffen, der sich schließlich als der 1776 geborene Physiker Johann Wilhelm Ritter entpuppt. In dieser historisch authentischen Figur - von Novalis und Goethe einst als allwissender Gelehrter bewundert - hat Dorn ihren "Faust" gefunden, den sie nun den Fängen der engagierten Genetikerin aussetzt, die dessen DNA sequenzieren lässt, um solcherart hinter das Geheimnis der Unsterblichkeit zu kommen . . .
Sie selbst, so verkündet Dorn, möchte keineswegs unsterblich sein, auch wenn sie den Tod für einen "Skandal" hält. "Aber für mich ist es keine schöne Vorstellung, mit heutigen Menschen ewig leben zu müssen."
Schon als 12-Jährige, auch das verrät sie, habe sie sich in Mephisto verliebt, der in dem Roman natürlich auch eine Rolle spielt (und in "Ich-Form" auftritt). Bei einer Schultheater-Aufführung habe sie aber unglückseligerweise das Gretchen spielen müssen: "Ausgerechnet das Gretchen, ich!" Der Unmut sitzt bei der ehemaligen Philosophiestudentin (u.a. in Wien, bei Liessmann) bis heute tief - und man kann ihn nachvollziehen. Gretchenhaft ist an dieser geisteswachen, auftrittsstarken Frau wenig. Trotzdem bleibt ihr auch an diesem Abend - vom philosophie-kundigen Moderator unausweichlich eingebracht - die Gretchenfrage nicht erspart. Dorn outet sich als "Nicht-Atheistin", die sich mit der genaueren Lokalisation einer agnostischen Doch-irgendwie-Gläubigen schwertut. Die 1970 in Offenbach (als Christiane Scherer - ihr später angenommener Kunstname bezieht sich auf den Philosophen Adorno) Geborene hatte eine Protestantin als Mutter - und einen katholischen Vater. "Die Mutter hat sich durchgesetzt" - vorerst, denn schließlich trat die unfolgsame Tochter mit 18 Jahren aus der Kirche aus, woraufhin ihr die Mutter mit künftiger Verbannung drohte: "Du wirst vor der Stadt verscharrt!"
Bis dahin - ob unsterblich oder nicht - mag es aber noch ein Zeitelchen hin sein. Und ein solches wird man auch brauchen, den dickleibigen Roman zu lesen, der neben vielerlei zeitgenössischen Diskursen und Diskussionen (Dorns Walpurgisnacht ist ein "Immortalisten-Kongress" in den USA, bei dem es mit evangelikalen Christen zu einer Saalschlacht kommt) aber auch als Erzählung funktionieren dürfte. Denn erzählen kann Thea Dorn plastisch und anschaulich, wie sie bereits mit ihrem Debüt bewies, dem Krimi "Berliner Aufklärung" (1994). Zu diesem Werk habe ich einen besonderen persönlichen Bezug, da ich zur selben Zeit - in meinem Debütroman, "Alles, was der Fall ist" (Deuticke 1994) - ebenfalls auf die Idee kam, Professoren eines Philosophieinstitutes über die Klinge springen zu lassen. Ich in Wien, Thea Dorn in Berlin. Zum Glück haben wir keine Nachahmer gefunden. Aber Philosophen sind sowieso - schon qua Profession - unsterblich.