
Das war - fast am Ende des elftägigen Kölner Literaturfestivals - eine Premiere: Die Präsentation eines Buches, das noch gar nicht erschienen ist. André Hellers Roman "Das Buch vom Süden" (Zsolnay Verlag) kommt nämlich erst dann heraus, wenn die Tage wieder länger und wärmer werden: Der 2. Mai ist dafür vorgesehen (jedenfalls für das Erscheinen des Buches; ob sich die Meteorologie an die Vorgabe hält, bleibt abzuwarten).
Fertig ist Hellers neuer, zweiter Roman (sein erster, "Schattentaucher", erschien 1988) zwar schon, aber ans Licht darf er halt noch nicht: An einem kalt-nebeligen Kölner Abend wurden davon nur ein paar Zipfel enthüllt - in Form einer "unrepräsentativen Lesung", wie Heller seinen Auftritt selbst nannte. Unter Herbeizitieren eines Anton-Kuh-Apercus - "Ein Dichter, der liest, ist wie ein Kellner, der isst" - zierte sich der Wiener Multikünstler spürbar, aus dem anscheinend lange gereiften Werk kurze Passagen vorzulesen. Und auch darüber zu reden, war ihm kein so übergroßes Anliegen. Dafür redete er lieber über alles andere, also über Gott und die Welt - und all die vielen Dimensionen dazwischen, für deren sphärische Durchdringung und Behübschung Heller ja seit Jahrzehnten eine ausgewiesene Adresse ist.
Mit Elke Heidenreich stand ihm für dieses mehr oder weniger kunstvolle Schwadronieren die geeignetste, weil huldvoll ergebene Gesprächspartnerin zur Seite. Um es wienerisch zu sagen: die ideale Hutschenschleuderin, die den auch im Alter (Heller wird nächstes Jahr 70) begnadeten, wenn auch zahmeren & weiseren Selbstdarsteller lustvoll in diverse anekdotische Höhen schaukelte & bugsierte.
Heidenreich: "Bei dir ist ja immer alles gelungen!"
Heller: "Ach wo, schon bei der Geburt gabs Schwierigkeiten. Mein Vater sagte ungeduldig: ,Wenn der nicht bald kommt, fahre ich nach Paris, zu meiner Geliebten. Daraufhin ließ sich meine Mutter eine Spritze geben, damit es schneller geht. Und gezeugt wurde ich, das hat mein Biograf, Christian Seiler, herausgefunden, während eines Erdbebens in Genf. Das war wahrscheinlich die einzige Möglichkeit, dass mein Vater zu einem Orgasmus kommen konnte . . ."
Über seinen Erzeuger hat Heller noch ein paar andere Gemeinheiten auf Lager ("ein opiumberauschter Dauerberauschter"). Immerhin machte ihm der neben viel brutalem Ungemach auch zwei Freuden: 1., früh zu sterben, und 2., eine Bibliothek zu hinterlassen. - Der einzige Ort, an dem Heller laut Selbstauskunft nicht "fremdelte".
Im Zuge seiner "Selbstbefreundung" und "Menschwerdung", so Heller, habe er freilich erkannt, dass man sich ohne Vater und Mutter selbst nochmals zur Welt bringen könne - und für diese Hervorbringung dann ein Lebtag selbst verantwortlich sei.
Über diesen, seinen Reifungsprozess spricht Heller gerne und viel - in schönen, schönbrunnerisch tongefärbten Sentenzen, die den Kölnern besonders wohlgefallen. Er sagt viele kluge Sachen über Einsichten, Entwicklungen, Dankbarkeiten und das bedingungslose Lieben (das vor allem seinem Sohn gilt). Es sind demonstrative Selbstdistanzierungen von seinen einstigen "Hass-Erektionen" und Extravaganzen, die er u.a. auf der Bühne auslebte. "Ich sagte manchmal mitten in einem Konzert: ,Wer mit mir schlafen will, soll aufzeigen! (Heidenreich: "Und ich war nicht da!") "Ich habe Jubelstürme dafür geerntet, wenn ich schreckliche Dinge gesagt habe."
Heute bekommt Heller Ovationen, wenn er Schönes sagt - und sich mit viel Witz und Selbstironie als Geläuterter präsentiert. Und als ein fortgesetzt und frohgemut Suchender & Sehnsüchtiger. Da hat es ihm vor allem der Süden angetan: "Das ist mein Synonym für alles, was mich leichter und glücklicher macht. Ich bin dort begabter. Manche sind in Göteborg begabter. Die treffe ich dann halt nie . . ."
Von dieser Sehnsucht nach dem Süden, nach einer Welt hinter den Spiegeln, voller Schönheit, Magie und mindestens "Fünfdeutigkeiten" (wie Heller das etwa aus Marokko, seiner zweiten Heimat, kennt), handelt auch "Das Buch vom Süden".
Es ist - in Heidenreichs Worten - ein eher altmodischer Entwicklungsroman, ein wehmütiges Buch, vom Untergang einer Welt und Epoche kündend. Es ist die Geschichte des Jünglings Julian Passauer, der - als Sohn des stellvertretenden Direktors des Naturhistorischen Museums - im Dachgeschoss des Schlosses Schönbrunn aufwächst. Der Roman ist bevölkert von skurrilen Figuren, die Heller zwar durchwegs erfunden haben will, so ähnlich aber doch allesamt aus eigener und übertragener Erfahrung kennt: verarmte Grafen, die Blumen binden, philosophierende "Warzendoktoren" und ideale Lehrer fürs Pokerspiel.
Als Liebhaber der Hellerschen Poesie, die sich ja auch in seinen Varietés, Shows und Gärten zeigt, dürfte man bei diesem Roman, wenn man den Exzerpten trauen darf, durchaus auf seine Rechnung kommt. Elke Heidenreich lässt daran jedenfalls keinen Zweifel aufkommen. Sie propagiert und idealisiert das Buch - und Heller als Ganzes - in einer Weise, die einen instinktiv ein Stück zurückweichen lässt. Mal abwarten, was die Literaturkritikerin Sigrid Löffler, die an Heller bisher noch nie ein gutes (nun übrigens schlohweißes) Haar ließ, zum dem Werk sagen wird. (Hellers anderer stets treuer Kritiker, der mittlerweile verstorbene Germanist Wendelin Schmidt-Dengler, kann es ja leider nur mehr aus einer anderen Dimension betrachten).
Eine schöne, friedvolle Reaktion kam jedenfalls von Hellers Mutter, der 101-jährigen Elisabeth Heller: "Ich hoffe", sagte sie, "du hast das Buch mit Füllfeder geschrieben, denn Buchstaben lieben Füllfedern."