Wenn sich im italienischen Fernsehen junge und alte Sänger in Talenteshows an Liedern von Lucio Dalla versuchen, dann ertönt von der Jury immer der gleiche Stehsatz: Dalla-Songs sind schwer nachzusingen. Man wäre allerdings auch geneigt festzustellen, dass sie deswegen so einzigartig sind, weil eben Dalla sie so genial interpretiert hat. Noch heute klingen die meisten frisch, als ob sie gerade erst produziert worden wären. Dabei ist der Künstler bereits am 1. März 2012 in Montreux verstorben. In Österreich hat sich Dalla durch zahlreiche Konzerte ein treues Fanpublikum erspielt.
Seine Karriere begann er als Jazz-Musiker, er fand aber früh auch zum Film. Mit dem Film "Die Subversiven" ("I sovversivi") der Taviani-Brüder war er 1967 bei den Filmfestspielen von Venedig. Im gleichen Jahr musste er beim Festival von Sanremo den Selbstmord seines Freundes Luigi Tenco miterleben. Der Durchbruch erfolgte 1971. Für sein Album "Storie di casa mia" hatte er mit der Künstlerin Paola Pallottino zusammengearbeitet. Sie hatte einige Gedichte geschrieben, die Dalla danach vertonte. Ein Song hieß "Gesubambino" (Jesuskind). Damit wollte Dalla dann beim Festival von Sanremo auftreten. Doch die Zensur schlug zu. Nicht nur musste Dalla den Titel ändern, auch einige Zeilen wurden ohne Zustimmung der Autorin verändert. Trotzdem wurde der Song, dessen Titel dann das Geburtsdatum des Sängers zierte, ein großer Erfolg. Jahre später sollte Dalla dann die zensurierten Zeilen "und noch heute / während ich fluche und Wein trinke/ bin ich für Diebe und Nutten das Jesuskind".
4 Marzo 1943 - Sanremo 1971
Ein weiterer Song aus der Zusammenarbeit mit Pallottino ist zum Skandal mutiert. Dalla hatte den Song an seinen jungen Kollegen Ron weitergereicht und das Lied zur großen Enttäuschung von Pallottino statt als Single nur im Album veröffentlicht. "Il gigante e la bambina" (Der Riese und das Mädchen) wurde aber zunächst ebenfalls zensuriert, erst in den Folgejahren - und heute noch mehr als in den 70er Jahren - mit falschen Interpretationen, die etwa in Wikipedia stehen, verfälscht.
Il gigante e la bambina - 1971
Auch aus dem gleichen Album stammt ein Song, den viele wie auch den Hit des Jahres 1972 "Piazza Grande" für autobiograpisch hielten. "Ein Mann wie ich, der trinkt Wein, wenn er Durst hat, ein Mann wie ich, der fragt seinen Nachbarn um Brot, wenn er Hunger hat", singt da Dalla. Arrangiert wurde "Un uomo come me" übrigens von den De Angelis-Brüdern, besser bekannt als Oliver Onions, die für die Musik fast aller Bud Spencer-Terence Hill-Filme verantwortlich waren, und neben weiteren Hits wie "Sandokan" oder "Orzowei" auch mit "Santa Maria" die deutsche Schlagerwelt erfreuten.
Un uomo come me - 1971
Für Dalla waren die Jahre danach von der programmatischen Zusammenarbeit mit dem Dichter Roberto Roversi gekennzeichnet. Der erfolgreichste Song hieß "Nuvolari" und beschrieb die abenteuerlichen Erfolge des italienischen Automobilpiloten der Zwischenkriegszeit.
Nuvolari - 1976
Nach der Schaffensphase mit Roberto Roversi traute sich Dalla, der bis dahin die Musik seiner Songs komponiert hatte, auch über die Texte. Und zur großen Überraschung erwies er sich als poetischer als etliche seiner früheren Songtexter. Die Lieder erhalten plötzlich eine emotionale Tiefe, die man bislang von Dalla nicht gewohnt war. Sein Album "Come è profondo il mare" (Wie tief ist das Meer) mit Songs wie "Quale allegria" (Welche Freude) oder dem gleichnamigen Titeltrack ist ein gutes Beispiel dafür.
Come è profondo il mare - 1977
Quale allegria - 1977
Ein Jahr später sollte Dalla mit dem Album "Lucio Dalla" endgültig seinen Durchbruch als Cantautore feiern. Nicht nur, dass darin zahlreiche Hits enthalten waren, mit seinem Kollegen Francesco De Gregori startete er 1979 eine erfolgreiche Tournee durch die Stadien Italiens. "L'anno che verrà" wurde übrigens von Georg Danzer gecovert.
L'anno che verrà - 1978
1980 war Dalla in Italien am Höhepunkt seines Erfolges. Mit dem Album "Dalla" war er nicht nur monatelang in der Hitparade, sondern hatte damit die am meisten verkaufte LP des Jahres in Italien. Die meisten Songs sind mittlerweile Teil eines imaginären italienischen Songbooks, werden sie doch auch für Fernsehsendungen oder Werbung verwendet. Eine Zeile des Songs "Cara" ziert auch den Grabstein Dallas. Die rockigste Nummer der Platte ist aber "Balla balla ballerino" (Tanz, tanz Tänzer).
Balla balla ballerino - 1980
Sein Meisterstück hat Dalla eher per Zufall geschrieben. Der Cantautore aus Bologna liebte das Meer und hatte auch ein Boot mit einem eigenen Studio. Als sein Boot ein Defekt hatte, war er gezwungen in Sorrento zu übernachten. Dort soll er in der Suite übernachtet haben, in der Enrico Caruso seine letzten Lebensmonate verbracht hatte. Die Erzählungen der Hotelbesitzer animierten ihn schlussendlich zum Song, der wohl sein weltweit bekanntester werden sollte.
Caruso mit Luciano Pavarotti
Freundschaften pflegte Dalla mit etlichen Kollegen. Einer davon war der ewige Jungspund Gianni Morandi, der in den 60er Jahren die Herzen vieler Frauen jeden Alters mit Songs wie "Fatti mandare dalla mamma" schmelzen ließ. Morandi hatte es in den 70er Jahren mit dem Aufkommen der Cantautori schwer, an alte Erfolge anzuschließen. Er musste wie andere auch den Weg über eine TV-Sendung nehmen. Mit der Platte "Dalla/Morandi" sollte er in den 80er Jahren nicht nur wieder erfolgreich werden, sondern sich auch ein neues Publikum ersingen. Die gemeinsame Tour mit Dalla, die ihn auch nach Wien führte, war ein Meilenstein seiner Karriere.
Dimmi dimmi - 1988
Besonders oft hört man Dalla in heimischen Radios mit dem Song "Canzone". Das Lied vereint das, was man mit italianità verbindet: Rhythmus, Melodie und Leidenschaft. Dalla selbst war sich dessen bewusst, und hat auch in Interviews die Melodie als wesentlichstes Kriterium der italienschen Musik hervorgehoben.
Canzone - 1996
Während Dalla während seiner langen Karriere mit vielen Kollegen wie etwa Francesco De Gregori, Ron oder Gianni Morandi Duette gesungen hatte, hält ist seine Zusammenarbeit mit Sängerinnen nicht erwähnenstwert. Dies ändert sich erst nach der Jahrtausendwende, als Dalla mit "Tosca - Amore disperato" eine moderne Oper komponieren sollte. Für den Song "Amore disperato" lud er Mina, die Grande Dame der italienischen Pop-Musik, für Dalla der "reine Gesang". Es sollte trotz gegenseitiger Versprechen die einzige Zusammenarbeit bleiben.
Amore disperato - 2003 mit Mina