Während die Prozession vermeintlich wichtiger Pop-Acts mit medialem Pomp an einem vorbeistolziert - alphabetisch aufgereiht, wäre das heuer eine Reihe von Austra, Bilderbuch, Cocker/Gonzales, Depeche Mode bis zu The XX -, bleibt für jene in der zweiten Reihe nur wenig Platz und Aufmerksamkeit übrig. Damit ist über etwaige Qualitäten wenig bis gar nichts gesagt, aber so funktioniert sie halt nun einmal, die Ökonomie der Aufmerksamkeit, die im Musikgeschäft - und bekanntlich nicht nur dort - längst zum (fast) alles entscheidenden Selektionsmechanismus geworden ist.
Hier nun also ein Blick auf einige Interpreten und Bands, die heuer aus der zweiten Reihe gestartet sind, sich aber trotzdem ein intensives Hinhören verdient haben. Der Ire Fionn Regan ist solch ein Paradebeispiel. Von seinem Land, genauer: vom Trinity College in Dublin, mit der "Gold Medal of Honorary Patronage" geehrt und in einer Reihe mit Größen wie dem Lyriker Seamus Heaney oder dem Schauspieler und Autor Stephen Fry stehend, ist Finn - obwohl schon länger im Geschäft - musikalisch immer noch zu entdecken. Zum Beispiel mit seinem neuen, insgesamt bereits fünften Album, "The Meeting Of The Waters".

Da, wie der 1981 (im irischen Bray) geborene Sänger einbekennt, für seine in den letzten Jahren gesammelten Eindrücke eine Gitarre und eine Stimme alleine nicht ausreichen, hat er diesmal fast symphonischanmutende Arrangements gewählt, inmitten derer er seine Impressionen ausbreitet. Das Unternehmen gewinnt von Nummer zu Nummer an poetischer Tiefe und atmosphärischer Erhabenheit, bis es am Ende mit einer über 11-minütigen reinen Instrumentalcoda feierlich ausklingt. Das hat Pathos, Größe und Schönheit (und in einem Fall, "Babushka-Yaiya", auch Rasanz), wie man sie so aus der Prominentenloge heuer noch nicht vernommen hat.
Der Schwede Albert Af Ekenstam geht auf seinem Debütalbum "Ashes" den umgekehrten Weg - jenen der Reduktion. Er verzichtet auf große Arrangements, auf Auto-Tune oder Verzerrer, erreicht mit einigen Mitspielern und tiefer Stimme aber eine ebenso beachtliche atmosphärische und raumgreifende Intensität. Im Titelsong, aber auch in "The Devil Bird", klingt der Wahlstockholmer wie ein verlangsamter und heruntergedimmter Springsteen. Dabei hört man zwar nicht die Zukunft der Rockmusik, aber jedenfalls ein mehr als gefälliges Stück Gegenwart.
Ebenfalls aus Schweden, aus Malmö, stammt das Quartett Hater, dessen erstes Album nach zwei EPs, "You Tried", im März erschienen ist. Darauf wechselt sich geradliniger Indie- mit verhatschtem Dreampop ab, der einen aber dank der quengeligen Stimme von Sängerin Caroline Landahl keineswegs einschläfert. (Am Titelsong hätten auch Beach House ihre Freude!)
Der in Düsseldorf lebende Pianist Volker Bertelmann alias Hauschka führt mit seinem Instrument seit vielen Jahren allerlei verrückte Dinge auf, sodass dieses stets in bisher kaum gekannten Tönen und Soundfarben erklingt. Auf seinem neuen Album, "What If", unternimmt er diesmal eine ausgedehnte Reise ins All - und entlockt den auf allerlei Weise verfremdeten Tasten somit buchstäblich außerirdische Klänge.
Das aus Kanada stammende Duo USS ist in seiner Heimat längst ein Topact, und sein neues Album, "New World Alphabet", sollte ihm diesen Status auch überall anderswo sichern. Die bei Bodenkontakt sofort Feuer fangende Los-Geh-Hymne "Working Shoes" und der Ultraheuler "Vulcan" sind nur zwei besonders famos tönende Beispiele dieser abwechslungsreichen Platte.
Damit die aufmerksamkeitsökonomisch Zweitgereihten aber nicht auch noch alle weiter dahinter Stehenden verdecken und übertönen, holen wir zum Abschluss zwei wackere heimische Formationen vor den Vorhang, bei welchen gelegentliche "extra"-Mitarbeiter engagiert sind.
Autor und Philosoph Eugen-Maria Schulak hat sich gemeinsam mit Barbara Fallmann zum Duo Frozen Heart formiert, auf dessen Debütalbum "Songs To Soothe Your Soul" Americana-naher Zweigesang auf gefällige, nette, auf die Dauer ein bisschen eintönige Weise dominiert.

Der Wiener Journalist Arthur Fürnhammer ist Teil des Rocktrios Walter, dessen Debütalbum "Zoo" sich - in vielerlei stilistischen 70er-Spielarten (von Doors- & Kinks-Nahem bis zu Artpop-Artigem) programmatisch der Tierwelt annimmt: Neben Löwen, Nashörnern und ominösen Nacktmullen wird - leider allesamt auf Englisch - auch einem besonders eifrigen, aber weitgehend unbeachteten Tierchen ein putziges Liedchen gesponnen: "sticky, slimy and greasy/the kind of animal no one wants to see,/ not in the kitchen nor in the zoo,/but were gonna sing a song for you." Die Seidenraupen dieser Welt mögen es ihren Lobsängern auf ihre Weise danken.