Hochachtung für alle Priester, die "um des Himmelreiches willen" den Zölibat leben, aber was ist mit den vielen, die das nicht schaffen und in mehr oder weniger dauerhaften Beziehungen leben, manche in heterosexuellen, andere in homosexuellen? Wie sieht es mit der Verantwortung von Priestern, die Väter geworden sind, für ihre Kinder und deren Mütter aus? Mit welchem Recht bleiben jene im Amt, die ihre Familie geheim halten (was meist ohnehin nicht gelingt), aber jedenfalls nicht offiziell zu ihr stehen, während andere, die sich zu einer Bindung an eine Frau bekennen, keine priesterlichen Funktionen mehr ausüben dürfen?
Anscheinend lebt es sich auch als Laie in der Kirche besser, wenn man "schlamperte Verhältnisse" nach einer Scheidung nicht legalisiert, weil man als "nur Geschiedener" eher Zugang zu Sakramenten und Funktionen hat, als wenn man ein "wiederverheirateter Geschiedener" ist. Da ist es dann schon ratsamer, seine Ehe annullieren zu lassen, was auch nicht viel schwerer ist, als seinerzeit vor der Zivildienstkommission zu bestehen, da es an guten Tipps von Eingeweihten, wie eine Eheannullierung gelingen kann, nicht mangelt. Die Kirchenleitung kann dabei ihre Hände in Unschuld waschen und sogar ohne große Gewissensbisse argumentieren, die Tricks würden ja nicht von ihr, sondern von denen angewendet, die auf eine Eheannullierung dringen, diese müssten das mit ihrem eigenen Gewissen ausmachen.
Was der Kirche fehlt, sind würdige Ausstiegsszenarien für Amtsträger, die sich in ihrem Dienst verfehlt haben, sind echte Chancen zum Neubeginn für Menschen, deren Beziehungen gescheitert sind. Zu den göttlichen Geboten, auf die sich die Kirche beruft, gehören nicht nur Sexualvorschriften, sondern auch der Auftrag zur Barmherzigkeit und vor allem die Absage an Heuchelei und Heimlichtuerei: "Was man euch im Dunkeln zuflüstert, das verkündet bei Tag von den Dächern."
Der italienische Kardinal Carlo Martini, ehemaliger Erzbischof von Mailand, tritt in seinem neuen Buch "Glauben und Wissen" zwar einerseits für die Verteidigung der traditionellen Familie ein, hält es aber auch für gut, wenn der Staat stabile Beziehungen gleichgeschlechtlicher Partner unterstützt.
Die Kirche wird sich - wie die Gesellschaft, in der auch noch längst nicht alle Vorurteile überwunden sind - mit der Homosexualität wahrscheinlich weiter schwer tun. Sie sollte sich nur endlich ernsthaft bemühen, nicht mit zweierlei Maß zu messen und ihr unangenehme Wahrheiten nicht unter den Tisch zu kehren. Schluss mit der Heuchelei!