Dr. Heiner Boberski ist Redakteur der "Wiener Zeitung" und mehrfacher Buchautor.
Dr. Heiner Boberski ist Redakteur der "Wiener Zeitung" und mehrfacher Buchautor.

Er ist der Patron der Skeptiker, der Apostel Thomas, der seinen Glauben davon abhängig machte, mit seinen eigenen Händen die Wundmale des auferstandenen Jesus berühren zu dürfen. Als ihm Jesus dazu Gelegenheit gibt, entfahren Thomas nur staunend die Worte: "Mein Herr und mein Gott!" Und Christus erwidert darauf: "Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig die nicht sehen und doch glauben." Letztlich korrigiert Jesus hier unsere Weisheit "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser", indem er Thomas zu verstehen gibt: "Vertrauen, das so groß ist, dass es keiner Kontrolle bedarf, ist noch besser."

Alljährlich am Sonntag nach Ostern, an dem die sogenannte Osteroktav endet, wird diese Evangelienstelle (Johannes 20, 19-29) gelesen. Nach dieser Begegnung muss Thomas ein glühender Verkünder des Christentums geworden sein, hat er doch in den folgenden Jahrzehnten laut Überlieferung von Vorderasien bis nach Indien eifrig missioniert, ehe er im heutigen Madras um das Jahr 72 den Märtyrertod fand.

"Sonntag der Zweifler" lautet daher auch eine von mehreren Bezeichnungen für diesen zweiten Sonntag der Osterzeit. "Quasi modo geniti" (was keine Anspielung auf den "Glöckner von Notre Dame" darstellt, sondern "wie die Neugeborenen" bedeutet) nennt man ihn in der evangelischen Liturgie, in der römisch-katholischen Kirche hat sich der Name "Weißer Sonntag" ("Dominica in albis") eingebürgert. Das liegt aber keineswegs daran, dass ab dem 16. Jahrhundert an diesem Tag traditionell die Kinder, die Mädchen in weißen Kleidern, zur Erstkommunion schritten (heutzutage ist das meist erst um das Fest Christi Himmelfahrt der Fall).

Der Ursprung dieser Bezeichnung ist sicher viel älter. Sie geht mit großer Wahrscheinlichkeit auf die Taufpraxis der frühen Kirche zurück. Wer Christ werden wollte, erhielt eine Unterweisung im Glauben, wurde dann meist in der Osternacht getauft und durfte dann bis zum folgenden Sonntag das weiße Taufgewand tragen. Als "Weißer Sonntag" galt ursprünglich noch ein anderer Tag, nämlich der erste Sonntag der Fastenzeit ("Invocabit"), weil an diesem Tag in Rom erstmals die Täuflinge in weißen Kleidern zur Kirche zogen. Während es heute nur mehr bei Erwachsenentaufen vorkommt, dass Taufe, Erstkommunion und Firmung zusammenfallen, war dies in den ersten Jahrhunderten der Kirchengeschichte das Übliche.

Seit dem 30. April 2000 gibt es aber noch eine Bezeichnung für diesen Sonntag, an dem das quasi acht Tage währende katholische Hochfest Ostern endet. Als Papst Johannes Paul II. an diesem Tag die polnische Ordensschwester Maria Faustyna Kowalska heiligsprach, erfüllte er gleichzeitig deren Wunsch, dieser Sonntag möge in Zukunft als "Sonntag der Göttlichen Barmherzigkeit" gefeiert werden. Das Schicksal wollte es, dass das Leben dieses Papstes fünf Jahre später in der Nacht auf den von ihm eingeführten Barmherzigkeitssonntag zu Ende ging.

Der heuer auf den 15. April fallende zweite Sonntag der Osterzeit ist kein spektakuläres Ereignis im Kirchenjahr, spiegelt aber anschaulich Kernthemen im Zusammenhang mit Religion und Glauben wider: den Zweifel und die Barmherzigkeit. Jeden vernünftigen Menschen, mag er nun an Gott, an die Seelenwanderung oder an nichts Religiöses glauben, wird hin und wieder der Zweifel befallen, ob er mit seiner Weltanschauung wirklich richtig liegt. Und wenn es, wie Goethe geschrieben hat, den Menschen ausmacht, dass er edel, hilfreich und gut sei, so gehört auch die Barmherzigkeit und sicher nicht deren Gegenteil, die Unbarmherzigkeit, zu echter Humanität.

Würde das Werfen mit Steinen wirklich nur denen überlassen, die selbst eine zum "Weißen Sonntag" passende blütenweiße Weste haben, ginge es auf Erden sicher etwas ruhiger zu. "Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern", lautet die dazu passende Vater-unser-Bitte. Die entsprechende Erfahrung im ganz gewöhnlichen irdischen Leben werden sowohl religiöse als auch nicht religiöse Menschen schon gemacht haben: Wer selbst barmherzig sein kann, darf eher auf Barmherzigkeit hoffen.