Ralph Schöllhammer ist Dozent für Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaften an der Webster Privatuniversität Wien und Vortragender an der Donauuniversität Krems. - © privat
Ralph Schöllhammer ist Dozent für Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaften an der Webster Privatuniversität Wien und Vortragender an der Donauuniversität Krems. - © privat

Vor dem Hintergrund der Migrationsdebatte finden momentan in Europa zwei simultane Experimente statt. Konfrontiert mit einer laut UNO historisch beispiellosen demografischen Krise, stehen die Staaten Europas vor der Entscheidung, ihre überalternden Gesellschaften entweder durch neue Wege in der Familienpolitik oder durch eine Erhöhung der Zuwanderung zu verjüngen.

Besonders in Osteuropa nach dem Fall des Eisernen Vorhangs sind die Geburtenraten signifikant unter das Stabilisierungsniveau von 2,1 Kindern pro Frau auf eine Fertilitätsrate von nur noch 1,5 gesunken. Im Westen Europas sind die Zahlen etwas ermutigender, aber auch hier weit unter den für eine gleichbleibende Bevölkerungszahl notwendigen 2,1 Kindern. Deutschland und Österreich stehen bei knapp 1,6, und selbst das angeblich so familienbewusste Frankreich ist mit 1,9 nicht in der Lage, der Überalterung Herr zu werden. Der EU-Schnitt liegt bei unter 1,6 Kindern pro Frau, was bedeutet, dass bei gleichbleibendem Trend die autochthone Bevölkerung Europas sich mit jeder Generation halbieren würde.

Vater, Mutter und zwei Kinder: So würde sich die europäische Politik die Familien wünschen. - © Illustration: stock.adobe.com/periscala
Vater, Mutter und zwei Kinder: So würde sich die europäische Politik die Familien wünschen. - © Illustration: stock.adobe.com/periscala

Aus diesem Grund sahen besonders Ökonomen in der Migrations- und Flüchtlingswelle eine Chance, das europäische Geburtendefizit auszugleichen. Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, David Folkerts-Landau, sprach gar von einer "kulturellen und wirtschaftlichen Renaissance", die durch die Welle an Zuwanderung ausgelöst werden könnte. In weiten Teilen Westeuropas gilt immer noch die Annahme, dass kulturelle Konflikte wirtschaftlich lösbar seien und mit einer Öffnung des Arbeitsmarktes, Sprachinitiativen und Förderungsstrukturen die kulturellen Unterschiede zwischen einheimischer und zugewanderter Bevölkerung verschwinden würden.

Maßnahmen zur Familienförderung

In Osteuropa sieht man diese Annahme skeptischer, und die Wirtschaft wird nicht als potenzieller Integrationsmotor verstanden, sondern als Möglichkeit, eine weitreichende Familienförderungspolitik zu betreiben. Dadurch will man der demografischen Herausforderung beikommen, aber gleichzeitig so weit als mögliche eine kulturelle Homogenität bewahren.

Ungarn hat es sich zum Ziel gesetzt, bis spätestens 2030 eine Fertilitätsrate von 2,1 zu erreichen und damit die Bevölkerung auf gleichbleibendem Niveau ohne nennenswerte Zuwanderung zu stabilisieren. Ungarn investiert bereits jetzt beinahe 5 Prozent des BIP in die Familienförderung, und Premier Viktor Orbán meinte es ernst, als er 2018 zum "Jahr der Familie" erklärte.

Das ungarische "CSOK"-Programm gewährt Familien, die sich zu einem dritten Kind entschließen, bis zu 10 Millionen Forint (circa 31.000 Euro), wenn dieses Geld zum Hausbau verwendet wird. Gleichzeitig wurde die Steuergesetzgebung erleichtert, um Familien zu begünstigen. Der momentane ungarische Bauboom ist eine direkte Konsequenz von Orbáns "Drei-Kind-Politik."