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Wann kommt die Europäische Republik?

Von Dominik J. Berghofer

Gastkommentare

In der Krise steckende sozialdemokratische, aber auch konservative Parteien sollten ihre historische Verantwortung wieder wahrnehmen.


Eine neue Studie der Bertelsmann Stiftung hat ergeben, dass Menschen, die häufig zurückblicken und sich nach alten Zeiten sehnen, anfälliger für populistische Parolen sind. Interessant ist dabei: Selbst in dieser Gruppe, die sich zurück in die Vergangenheit wünscht, gibt es eine Mehrheit für eine politisch und ökonomisch stärker integrierte Europäische Union.

Österreichs Konservative sind deutlich nach rechts abgebogen

Die jüngsten Landtagswahlen in Bayern und Hessen haben die in anderen Ländern schon länger anhaltende Entwicklung erneut bestätigt: Die Zeit der Volksparteien geht zu Ende. Die Wählerinnen und Wähler laufen über zu Rechtsextremen, Grünen oder liberalen Bürgerbewegungen. Doch Köpferollen alleine ist mittlerweile zu wenig, um das Vertrauen zurückzugewinnen. Das musste die SPD nach dem Abgang von Martin Schulz genauso lernen, wie es die CDU nach Angela Merkel lernen wird. Es braucht eine stärker inhaltlich geprägte Erneuerung, um aus der Krise herauszukommen. Und da gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten: den Weg nach rechts oder den Weg vorwärts zur Vollendung der Europäischen Union - als klar ausgerichtete europäische Volkspartei.

Die ÖVP hat unter Bundeskanzler Sebastian Kurz einen rechten, auch populistischen, Kurs eingeschlagen. Damit hat sie zwar bei der Nationalratswahl 2017 mit knapp mehr als 30 Prozent wieder den ersten Platz erobert, zur großen Volkspartei ist es aber noch ein weiter Weg. Umso überraschender ist es, dass die neue Volkspartei unter Kurz einen starken, nationalistischen Kurs, gemeinsam mit rechtsextremen Regierungen in Polen, Ungarn und Italien fährt, während es europaweit eine deutliche Mehrheit für das Gegenteil - eine stärkere politische und ökonomische Integration der Europäischen Union - gibt.

Deutschlands Grüne auf dem Weg ins Bundeskanzleramt?

Die jüngsten Erfolge der deutschen Grünen bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen, sowie die bundesweiten Rekord-Umfragewerte, bei denen sich Grüne und CDU bald ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern, könnten unter anderem genau darauf zurückzuführen sein. Die Menschen spüren in allen Lagern - Wählerstromanalysen zeigen, dass die Grünen zu fast gleichen Teilen von CDU/CSU und SPD abziehen konnten -, dass die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen nur kontinental oder global gelöst werden können. Die Nationalstaaten alleine sind dafür zu klein. Gleichzeitig aber lähmen die von den Volksparteien visionslos regierten Nationalstaaten den Fortschritt der EU und erschweren das notwendige einheitliche Auftreten in der Weltpolitik.

SPD und SPÖ haben historische Chancen verstreichen lassen

Gleich zwei massive Fehler haben sich just bei den zwei noch eher größeren sozialdemokratischen Parteien der Europäischen Union binnen kürzester Zeit ereignet. Der vor der deutschen Bundestagswahl noch als Gottkanzler Schulz gefeierte Kanzlerkandidat der SPD und vormalige EU-Parlamentspräsident hat sich dank Strategen dazu hinreißen lassen, im deutschen Wahlkampf nicht voll auf das Thema Europa zu setzen. In diesem aber wäre er glaubwürdig gewesen und hätte die Antworten auf viele drängende Fragen geben können. Antworten auf Fragen, die eben nur europäisch zu lösen sind.

Die SPD hat ihre historische Chance, zu einer der ersten echten europäischen Volksparteien zu werden, verstreichen lassen. Jetzt krebst sie, verzweifelt nach Identifikation ringend, in Richtung 10 Prozent herum, Trend weiter abwärts. Auch die bis 2017 in Österreich regierende SPÖ hat mittels interner Konflikte um den Kurs der Partei den ehemaligen Bundeskanzler Christian Kern verheizt. Er hat die historische Chance im Gegensatz zur SPD rechtzeitig erkannt und wollte bei der kommenden EU-Wahl für die SPÖ antreten und gleichzeitig als Spitzenkandidat für die S&D (die europäische sozialdemokratische Fraktion im EU-Parlament) ins Rennen um den EU-Kommissionspräsidenten gehen. Die SPÖ hätte zu einer treibenden Kraft zur Vollendung der politischen Europäischen Union werden können. Doch sie hat sich vorerst dafür entschieden, internen Konflikten mehr Aufmerksamkeit zu schenken und die Zukunft Europas außen vor zu lassen.

Eine reformierte Europäische Union ist unausweichlich

Die Gründung und schrittweise Weiterentwicklung der Europäischen Union haben wir visionären Politikerinnen und Politikern der Volksparteien zu verdanken. Sie hatten ein klares Ziel und konnten mit ihrer Begeisterung die Menschen überzeugen. Über die Jahre haben diese Volksparteien genau diese Vision und diese Begeisterung verloren - und gleichzeitig ihre Wählerinnen und Wähler.

Die EU-Wahl 2019 wird eine Richtungsentscheidung über die Zukunft der Europäischen Union werden. Es wird darüber gestritten werden, ob es mehr oder weniger Europa - also eine stärker integrierte politische und ökonomische Europäische Union - geben soll oder nicht. Eine Mehrheit der breiten Bevölkerung wäre schon dafür. Die Frage ist, ob die (Volks-)Parteien auch endlich den Mut haben und die Chance nutzen, wieder groß zu werden.

Diesen Samstag rufen beim European Balcony Project europaweit Künstlerinnen und Künstler die Europäische Republik aus. Seit Jahren schlägt der Pulse of Europe. Die Zeichen stehen auf vorwärts. Worauf also warten die europäischen Staats- und Regierungschefs noch?

Dominik J. Berghofer ist Europa-Aktivist in Wien. Mit der Plattform I love EU will er einerseits die öffentliche Diskussion über die EU stärken und andererseits mit dem Shop Europe! für mehr sichtbaren europäischen Stolz sorgen. Bis 2017 war er Europa-Gemeinderat in Hartberg.