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Ein Kardinal rüttelt am Zölibat

Von Clemens M. Hutter

Gastkommentare

Der Missbrauchsskandal mindert zwar keineswegs den Wert der Kirche, verweist aber auf "Reformstau" im Katholizismus.


"Die kirchlichen Strukturen, aber auch der Zölibat und der Umgang mit Sexualität, begünstigten den (sexuellen) Missbrauch klerikaler Macht. Ich schäme mich für die Verbrechen, die Menschen durch Amtspersonen der Kirche angetan wurden." Dieses harte Urteil über den Sexskandal in der Kirche fällte jüngst der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Münchner Kardinal Reinhard Marx. Er löste also dieses Thema aus dem Dunkel des Tabus und blieb mit seinem Urteil im hohen Klerus keineswegs allein.

Damit ist das Thema frei zu ehrlicher Diskussion, nicht aber zu bösartiger Schelte. Jesus verordnete der Kirche keinen Pflichtzölibat, der "Pannen" wie den Missbrauchsskandal begünstigt. Der Apostel Paulus schrieb, dass ein Bischof und jeder Diakon "Mann einer einzigen Frau sei". Erst Papst Gregor VII. verfügte 1074 den Pflichtzölibat, der die "Priester aus den Fängen ihrer Frauen löst". Von Belang war aber auch, dass verheiratete Priester Kirchenbesitz nicht an ihre Kinder vererben konnten. Bis 1074 waren Priester, Bischöfe und sogar 39 Päpste verheiratet.

Einige orthodoxe Kirchen kennen keinen Zölibat, die Protestanten strichen ihn, und Papst Johannes Paul II. erklärte, der Zölibat sei "für die Priesterschaft nicht essenziell". Daraus ergäbe sich die Frage, was der Geistlichkeit alle theologische Sexualethik nützt, wenn sie die Theorie nicht praktisch anwenden und erproben darf. Deshalb behaupten auch scharfzüngige Kritiker, die Kirche rede über Sexualität wie ein Blinder über Farben.

Der Zölibat ist neben anderen Faktoren auch eine Ursache des Priestermangels. 1961 betreuten 6238 Priester die 3017 österreichischen Pfarren, heute erledigen diese Aufgabe nur noch 2013 Priester. Wegen des akuten Priestermangels wurden Pfarren zusammengelegt und die Sonntagsgottesdienste im Durchschnitt von drei auf einen verringert. Ein Hirte muss also mindestens 50 Prozent mehr Schafe versorgen. Ungeachtet dieser organisatorischen Maßnahme ist der Anteil der österreichischen Katholiken im selben Zeitraum von 89 auf 58 Prozent der Gesamtbevölkerung geschrumpft. Allein im Jahr 2010, als der Missbrauchsskandal seinen Höhepunkt erreichte, verlor die Kirche in Österreich 86.000 Mitglieder - rund 50 Prozent mehr als im Jahresdurchschnitt. Unter Schwund von Mitgliedern leiden allerdings seit Jahrzehnten viele Organisationen, weil sich Menschen nicht gerne moralische Normen vorschreiben lassen.

Mehr Frauen in kirchliche Führungspositionen bringen

Von neun österreichischen Priesterseminaren sind nur noch vier übrig geblieben, weil der Nachwuchs ausbleibt. Falls diese Tendenz anhält, bilanzieren Demografen für das Jahr 2030 nur noch 1050 Pfarrer für die 5,1 Millionen Katholiken in Österreich und einen Rückgang von 13.000 auf 6500 Seelsorger für die 23 Millionen deutschen Katholiken.

Prominente Theologen sehen die Ursachen dieser Entwicklung vor allem im Zölibat und in der männerbündischen Struktur der Kirche, weshalb Frauen die Ämter des Priesters und des Diakons verwehrt bleiben. Demokratisch gewählte Frauen regieren aber heute Deutschland oder England, Frauen führen Weltkonzerne, leiten Kliniken und lehren an Universitäten. An Unis studieren heute schon mehr Frauen als Männer. Alle diese Frauen wären also auch für leitende Funktionen in der Kirche befähigt - die evangelischen Pastorinnen beweisen es. Oder hält man sie von Natur aus für unfähig, das Wort Gottes zu verkünden? Wuchert da im Untergrund noch immer die lächerliche Behauptung, dass die Schlange (Teufel) im Paradies Eva zum Genuss einer verbotenen Frucht verführt habe, weil sie bei Adam keine Chance gehabt hätte?

Prominente deutsche Theologen verlangen von der Kirche, den "Reformstau" aufzulösen, dies sei ein Anliegen gerade der jungen Generation. Kardinal Marx fasste diese Entwicklung und den Ist-Zustand pointiert zusammen: "Worte der Betroffenheit reichen nicht aus, wir müssen handeln."

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