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Das EU-Dilemma Italien

Von Kurt Bayer

Gastkommentare

Die Regierung in Rom plant zusätzliche Ausgaben in den falschen Bereichen.


Italiens Regierung beharrt gegenüber der EU-Kommission auf ihrem vorgelegten Budgetentwurf für 2019. Dieser sieht eine Neuverschuldung von 2,4 Prozent des um optimistisch geschätzte 1,5 Prozent wachsenden BIP vor. Da die Vorgängerregierung von der EU abgesegnete 0,8 Prozent Neuverschuldung paktiert hatte, ortet die EU-Kommission einen schweren Verstoß gegen die EU-Budgetregeln. Italien lehnt eine Neuvorlage ab. Die EU-Budgetregeln sehen genaue Prozeduren für die Budgetgebarung der Mitglieder vor. Sanktionszahlungen (bis zu 0,5 Prozent des BIP) sind möglich.

Italiens Regierung, deren einzelne Mitglieder alle möglichen originellen EU-feindlichen Verhaltensweisen zeigen, argumentiert die neuerliche Ausgabensteigerung damit, dass die Sparmaßnahmen der EU die Bevölkerung massiv verarmt hätten und sie nun einen Ausgleich schaffen müsse. Ein genauerer Blick zeigt, dass entgegen herrschender Meinung Italiens Regierungen die von ihr beeinflussbaren Ausgaben seit vielen Jahren im Zaum halten: Italien erzielt seit Jahren einen Primärüberschuss im Budget. Die jahrelangen Defizite (und damit Erhöhungen der exorbitanten Schuldenquote) werden durch die hohen Zinszahlungen (im Durchschnitt 4 Prozent des BIP), die Italien zur Finanzierung seiner Schulden leisten muss, verursacht. Tatsache ist aber auch, dass Italiens Wachstumsschwäche (in den vergangenen 20 Jahren insgesamt nur etwa plus 7 Prozent; Deutschland und Frankreich: etwa 30 Prozent) in die Verantwortung aller Regierungen in diesem Zeitraum fällt.

Die Finanzkrise seit 2008 hat gezeigt, dass die Bekämpfung der hohen Schuldenquoten Europas durch Sparpolitik, wie sie die EU-Kommission durchgesetzt hat, kontraproduktiv war: Während der Krise wuchsen die Schuldenquoten der Euroländer um 10 Prozentpunkte und mehr, die Arbeitslosigkeit stieg in den meisten Staaten rasant an, die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten nahm zu. Der Sparpolitik folgten auch Italiens vergangene Regierungen, ohne dass das Wachstum angesprungen wäre oder die Schuldenquote sich verringert hätte.

Nach dieser Logik haben die Argumente der EU-feindlichen Regierung in Rom einiges für sich. Allerdings lösen zusätzliche Ausgaben nichts an der grundlegenden Wachstumsschwäche: Ein kurzfristiger Wachstumsschub wird rasch verpuffen. Schlüssig wäre eine Erhöhung der Defizitquote, würde ein Großteil in langfristig wachstumsstärkende Maßnahmen fließen: etwa eine Steigerung der erbärmlich niedrigen Forschungs- und Entwicklungsausgaben (Schlusslicht in Europa), eine Verbesserung der digitalen Infrastruktur, effiziente Aus- und Weiterbildung oder Innovationsförderung. Solche Ausgaben versprechen jedoch nicht zusätzliche Stimmen bei der nächsten Wahl, sondern sprächen für staatsmännische Verantwortung: Diese der derzeitigen Regierung zuzusprechen, wäre ebenso weit von deren Selbstverständnis entfernt wie die Sorge um die Integration von Flüchtlingen. Regeln sind zwar wichtig, die Forderung ihrer Einhaltung muss sich jedoch auch nach den sich ändernden Gegebenheiten richten: Ein noch höheres Primärdefizit Italiens hilft niemandem.