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Die Reichen und die Künstler

Von Michael Wimmer

Gastkommentare

Die Monetarisierung des Leistungsbegriffes.


René Benko war in der vergangenen Woche in aller Munde. Mit seiner Entscheidung, sich ins Medienimperium von "Krone" und "Kurier" einzukaufen, verschaffte sich der Immobilien-Milliardär breite öffentliche Aufmerksamkeit. Seinen kommerziellen Riecher hat er zuletzt bei der Übernahme der desolaten Kika/Leiner-Gruppe unter Beweis gestellt. Entsprechend intensiv spekuliert die Öffentlichkeit darüber, welche Konsequenzen sein jüngstes Engagement für die österreichische Medienlandschaft haben könnte.

Solche Deals sind eine gute Gelegenheit, die Finanzkraft derjenigen, die sie einfädeln, genauer auszuleuchten. Also erfahren wir auf allen Kanälen, dass der 41-jährige Selfmademan über ein Immobilien-Portfolio von zumindest 14 Milliarden Euro verfügt und sich mit einem persönlichen Besitz von knapp 4 Milliarden Euro unter die zehn reichsten Österreicher reiht.

Dazu ein Vergleich: Mit seinem in kürzester Zeit erworbenen Besitzstand verfügt Benko nicht über das hundert- oder tausendfache Jahreseinkommen eines Beschäftigten, der sich über ein durchschnittliches Monatseinkommen von rund 2300 Euro freuen darf - die Relationen bewegen sich stattdessen im Verhältnis von 1:10.000 beziehungsweise 1:20.000; damit in Größenordnungen, die sich dem herkömmlichen Verständnis beruflicher Verhältnisse, die erbrachte Leistungen gegen Geldwerte tauschen, völlig entziehen. Die Arbeiterkammer hat dazu zuletzt eine Studie veröffentlicht, wonach obere und untere Einkommen immer weiter auseinanderdriften. Als Gegenmaßnahme schlägt sie vor, die Einkommensunterschiede auf maximal 1:60 zu beschränken. Hier aber streift ein Selfmademan zumindest zehntausend Mal mehr ein als die überwiegende Anzahl aller anderen sogenannten Leistungsträger. Und doch scheint dieser Vorgang ganz normal.

Kanzleramtsminister Gernot Blümel hat jüngst im "profil"-Interview auf einen Grundwert der ÖVP hingewiesen, der "Gerechtigkeit für die Leistungsträger" sicherstellen soll. Er bekannte sich damit zu den Prinzipien der "Meritokratie", wonach ausschließlich Ausbildung und daraus resultierende Leistungen beziehungsweise Verdienste die zentralen Ingredienzien einer herausragenden Reputation abgeben sollen.

Enge Beziehungen zwischen Politik und Wirtschaft

Vor kurzem lud Benko "Toute Vienne" zum traditionellen Törggelen in sein Park Hyatt Hotel ein. Augenscheinlich geschmeichelt von der Einladung eines rasch zu Reichtum Gekommenen machten Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), Vizekanzler HC Strache (FPÖ) und der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) mit ihrer Anwesenheit die engen Beziehungen zwischen Politik und Wirtschaft deutlich.

In seiner Berichterstattung über dieses Tête-à-Tête wollte der ORF dem Geheimnis der Benko’schen Erfolgsgeschichte auf die Spur kommen. Alle Interviewten waren sich darin einig, dass Benko ein fleißiger Arbeiter sei, darüber hinaus ehrgeizig, talentiert und kreativ - alles Eigenschaften, die ihm ein gutes Netzwerk ermöglichen.

Als besonders eloquent in der Formulierung von Lobeshymnen erwies sich der ehemalige Vorsitzende der SPÖ - irgendwann die Partei der kleinen Leute -, Alfred Gusenbauer, mittlerweile Beiratsvorsitzender von Benkos Signa-Gruppe: "Benkos Erfolgsgeschichte ist eigentlich ganz einfach und kein Geheimnis: Die Zahlen müssen stimmen, die Projekte müssen sich gut entwickeln, und tragfähige Finanzierungsformen müssen gefunden werden." Dass Benko 2014 wegen Korruption rechtskräftig verurteilt wurde, blieb nicht nur in diesem Beitrag ausgeklammert. Alle Sozialwissenschafter, die von einer "Refeudalisierung der Gesellschaft" sprechen, haben damit mehr Anschauungsmaterial, als uns lieb sein kann.

Es trifft sich, dass zeitgleich mit diesem hochpersonalisierten gesellschaftlichen Ereignis neue Studienergebnisse zur sozialen Lage der Künstler veröffentlicht worden sind. Warum die Studie fast ein ganzes Jahr lang im Bundeskanzleramt unter Verschluss gehalten wurde, erklärt sich, wenn die Autoren der L&R Sozialforschung von einem medianen Jahreseinkommen von 4500 Euro aus künstlerischen Tätigkeiten berichten. Im Vergleich zu 2008 hat sich just in dem Zeitraum, in dem Benko mit Hilfe seines politischen Netzwerkes sein Imperium errichtet hat, die prekäre Lage von Künstlern weiter verschärft: "Gut ein Drittel der befragten Künstler in Österreich ist mittlerweile armutsgefährdet (bei Berücksichtigung des gesamten Haushaltseinkommens, also sämtlicher Einkünfte aus Erwerbsarbeit, Transfers, Vermögenseinkünfte etc. aller Haushaltsmitglieder)", heißt es in der Studie.

Soziale Lage bestätigt Klischeebildung

Folgt man den Blümel’schen Gerechtigkeitsansprüchen für Leistungswillige, dann hat die Mehrheit der Künstler nicht nur den Schaden, sondern auch den Spott. Ihre durchschnittlichen Einkommensverhältnisse kommen nicht einmal in die Nähe Benko’scher Horizonte. Dazu sind sie in der Konkurrenzgesellschaft dem Verdacht ausgesetzt, keine gute Ausbildung und kein Talent zu haben, weder ehrgeizig noch kreativ und auch nicht gut vernetzt zu sein. Da hilft es wenig, dass Nina Verheyen zuletzt in ihrer Studie "Die Erfindung der Leistung" als ein komplexes gesellschaftliches Zusammenspiel noch einmal die ideologische Aufladung von "Leistung" herausgearbeitet hat; die aktuellen Trends zur sozialen Lage bestätigen die Klischeebildung in einem wachsenden Teil der Bevölkerung, wonach Künstler die herrschende Arbeitsmoral eher unterlaufen denn fördern würden. Das muss wohl auch Blümel so sehen, wenn er seit seinem Amtsantritt erst gar keine Anstalten macht, sich mit den Interessenvertretungen der Künstler zu treffen oder sich mit dringend anstehenden Fragen der Kulturpolitik auseinanderzusetzen.

Er sieht im bereits angesprochenen Interview öffentliche Förderung als "Sprungbrett in die wirtschaftliche Unabhängigkeit". Auf die Frage, ob er damit künstlerischen Erfolg und wirtschaftliche Unabhängigkeit gleichsetzen wolle, antwortete der Kunstminister: "In monetärer Hinsicht schon. Wenn wir von Förderungen sprechen, geht es um Geld."

Kaum Hoffnung auf ökonomischen Erfolg

Und damit hat er recht und gleichzeitig völlig unrecht. Alle verfügbaren Daten zeigen, dass kaum einer der Künstler, die es auf sich nehmen, unter prekären Verhältnissen zu arbeiten, hofft, irgendwann bloß ökonomisch zu reüssieren. Ja, auch Künstler suchen den Erfolg, aber ihren größten Erfolg sehen sie darin, dass ihnen Menschen zuhören, zuschauen, ihre Bücher lesen oder ihre Arbeiten am Bildschirm verfolgen, um daraus Inspiration zu ziehen. Diese Art der Anerkennung kann man nur sehr bedingt kaufen.

Sie wollen nicht mehr von dieser Welt, sie wollen eine andere Welt, in der nicht blindwütig anderen die Ressourcen genommen und für sich selbst angehäuft werden. Sie wollen eine Welt, in der es sich zu leben lohnt und die es künstlerisch auszugestalten gilt. In diesen Tagen stellte die Architektin Anna Heringer in einer Radiosendung anhand des einfachen und billigen Baustoffs Lehm ihre Sicht auf menschliches Zusammenleben vor. Irgendwann meinte sie - fast nebenher: "Der Kapitalismus, der zurzeit immer mehr Fehlentwicklungen gebiert, ist ein historisches Phänomen. Ebenso wie Menschen dieses in die Welt gebracht haben, können sie es auch wieder zu einem Ende bringen."

Als Einladung zur kollektiven Ermächtigung wäre das ein gutes Motto für eine leistungsgerechte Einschätzung der Stellung der Reichen in einer Gesellschaft, in der mehr und mehr Künstler ums schiere Überleben kämpfen.