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Ein Kopftuchverbot in der Schule kann Abschottung fördern

Von Ingrid Thurner

Gastkommentare
Ingrid Thurner istEthnologin, Publizistinim Bereich Wissenschaftskommunikation und Lehrbeauftragteam Institut für Kultur-und Sozialanthropologie der Universität Wien.Sie forscht, schreibt und lehrt zu den ThemenMobilitäten, Fremdwahrnehmungen und Medien. Alle Beiträge dieserRubrik unter:www.wienerzeitung.at/gastkommentare

Wie man mittels Körperpolitiken gesellschaftliche Normierungen durchsetzt.


Es gibt hierzulande ein eingespieltes Ritual: Immer, wenn man die Bevölkerung von unangenehmen Sachverhalten ablenken will, werden Kopftücher ausgepackt - und schon ist das unbequeme Thema vom Tisch, aus den Medien und aus den Gedanken potenzieller Kritiker.

Auch diesmal hat das Zündeln wieder geklappt, die alte Debatte ist neu entfacht, und sie lodert auf Kosten einer Minderheit. Im anstehenden Fall werden Schülerinnen instrumentalisiert. Vorgeblich zu ihrem Schutz sollen sie elterlichem Zwang entzogen werden. Unter dem Vorwand, für Kinderrechte einzutreten und die Sexualisierung kleiner Mädchen verhindern zu wollen, will man also nun "das Tragen weltanschaulich oder religiös geprägter Bekleidung, mit der eine Verhüllung des Hauptes verbunden ist", in Volksschulen untersagen.

Mit diesem Gesetzesentwurf wird pauschal unterstellt, dass muslimische Erziehungsberechtigte ihre Töchter zu unerwünschten Handlungen nötigen. Zudem wird schon kleinen Kindern signalisiert, dass freie Religionsausübung für jene Gruppe, der sie sich zugehörig fühlen, nicht gilt.

Nicht ein Kopftuch ist "mit österreichischen Grundwerten nicht vereinbar", wie der Herr Vizekanzler meint, sondern ein Kopftuchverbot. Es wird missachtet, dass das Recht jedes Einzelnen, seine Religion zu praktizieren, in der Europäischen Menschenrechtskonvention und auch in der österreichischen Verfassung garantiert ist. Im Rahmen der positiven Religionsfreiheit darf man die Verschleierung niemandem verbieten, und im Rahmen der negativen Religionsfreiheit darf auch niemand dazu gezwungen werden. Sollten Eltern dies nicht wissen oder ignorieren, wären Aufklärungsmaßnahmen und Überzeugungsarbeit sinnvoll.

Zudem wäre es eine extremistische Auffassung, nicht Religionsmündige zur Verhüllung zu zwingen. Gibt es solche Fälle in Österreich? Niemand legt dazu Zahlen vor. Nach islamischen Rechtsvorstellungen und Gepflogenheiten ist das Bedecken der Haare ab dem Eintreten der Menstruation üblich. Es mögen auch kleinere Mädchen in spielerischem Umgang Textilien um ihre Köpfe wickeln, Kinder imitieren gerne Erwachsene, und die Lust darauf kann auch nach ein paar Tagen oder Wochen wieder verschwinden. Das ist etwas anderes als Zwang.

Verbote jedenfalls sind ein Eingriff in die elterliche Erziehungskompetenz. In Reaktion darauf könnten Väter und Mütter ihre Kinder in Privatschulen schicken, um sie staatlichen Kleiderordnungen gar nicht erst auszuliefern. Die Abschottung, die Angehörigen des Islam immer vorgeworfen wird, wird mit so einer Vorschrift nur begünstigt.

Und warum wird es nur Muslimen verwehrt, durch Körpergestaltung ihren Glauben sichtbar zu machen? Warum dürfen alle Nicht-Muslime weiterhin mittels visueller Praktiken ihre Religionszugehörigkeit kundtun? Wie ist es in einer liberalen Demokratie möglich, Menschen derart ungleich zu behandeln? Wenn das Gesetz dann vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben wird, können die Zündler dennoch zufrieden sein: Die Stimmung gegen Muslime wurde in jenen Teilen der Bevölkerung, die dafür anfällig sind, weiter aufgeheizt.

Durch systematische Stigmatisierung, Kriminalisierung und Marginalisierung der Angehörigen des Islam wird Schritt für Schritt der gesellschaftliche Umbau vorangetrieben: zuerst ein Vermummungsverbot, dann die Kindergärten, nun die Volksschulen. Nicht länger erwünscht sind weltoffene Bürger und Diversität der Lebensentwürfe. Gleichbehandlung aller Menschen ist kein Anliegen mehr, sondern Gleichmachung, also Normierung. Nicht Integration und schon gar nicht Inklusion, sondern Assimilation ist das politische Ziel.