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Vom Ackerbauministerium zum Nachhaltigkeitsressort

Von Gerhard Poschacher

Gastkommentare

Der Weg war lang und von dramatischen politischen Ereignissen begleitet: Am 29. Jänner 1868 wurde als Konsequenz aus der Bauernbefreiung und dem Ausgleich mit Ungarn 1867 von Kaiser Franz Joseph die Errichtung des Ackerbauministeriums für die große Monarchie angeordnet.

Die Loslösung der Bauern vom Untertänigkeitsverband der Grundherren erforderte eine neue Agrarverfassung und auch die Schaffung von Bildungs- und Forschungsinstitutionen (1869: Höhere Bundeslehranstalt für Land- und Forstwirtschaft Francisco-Josephinum in Mödling, seit 1934 in Wieselburg; Hochschule für Bodenkultur in Wien 1872) zur Verbesserung der Ernährungs- und Produktionsgrundlagen.

Außerdem wurden die Ideen Friedrich Wilhelm Raiffeisens zur Gründung von Genossenschaften und Bereitstellung günstiger Kredite für notwendige Investitionen in der Landwirtschaft unterstützt. Damals ernährte ein bäuerlicher Betrieb zwei Personen, heute sind es im EU-Durchschnitt mehr als 100. Von Sichel und Sense über computergesteuerte Mähdrescher bis hin zu Turbo-Kühen mit bis zu zwölf Tonnen Jahresmilchleistung spannt sich der Bogen des biologisch-technischen Fortschritts.

Das vor 150 Jahren errichtete Ackerbauministerium hat bis heute - die NS-Diktatur ausgenommen - seine Kernkompetenzen beibehalten. Im Jahr 2002 wurde das Umweltministerium in das Agrarressort eingegliedert. Erstmals in der traditionsreichen Geschichte kommt aber im Jubiläumsjahr weder die Landwirtschaft noch die Umwelt im Ressortnamen vor. Die Agrar- und Ernährungspolitik wurde nach der Regierungsbildung 2018 in das neu organisierte Ministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus eingegliedert.

50 Vorgänger seit 1868

Elisabeth Köstinger hatte als Landwirtschaftsministerin 50 Vorgänger. Erster Agrarminister wurde 1868 Alfred Graf Potocki, der letzte in der untergehenden Monarchie war 1918 Ernst Emanuel Graf von Silva-Tarouca. Er wurde nach der Gründung der Ersten Republik vom niederösterreichischen Bauernführer Josef Stöckler abgelöst, der 1919 eine große Bauerndemonstration in Wien für den Schutz bäuerlichen Eigentums und gegen die "Diktatur des Proletariats" organisierte.

Eine beeindruckende Persönlichkeit in den stürmischen Jahren der Ersten Republik war der Tiroler Landwirtschaftsminister Andreas Thaler (1926 bis 1931), der erstmals moderne Förderungsmaßnahmen für die tierische und pflanzliche Produktion sowie für die Bergbauern realisierte. Und so umstritten Engelbert Dollfuß als Bundeskanzler mit der Schaffung des katholischen Ständestaats und als christlich-sozialer Politiker bis heute ist, so unbestritten sind seine Leistungen als Agrarpolitiker und Landwirtschaftsminister (1931 bis 1934), die untrennbar mit dem Aufbau des Genossenschaftswesens und der ersten Landwirtschaftskammer in Niederösterreich 1922 verbunden sind.

Der letzte Landwirtschaftsminister vor dem "Anschluss" 1938 war der Oberösterreicher Peter Mandorfer, der noch einen Bergbauernhilfsfonds einrichtete und dessen Aufgaben nach 1945 fortgeführt wurden. Das Landwirtschaftsministerium in Wien wurde 1939 aufgelöst und das Agrarsystem in den Reichsnährstand überführt. Nach der Wiedererrichtung der Zweiten Republik wurde der niederösterreichische Landwirt Josef Kraus von Bundeskanzler Leopold Figl zum Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft berufen. Er hatte die schwierige Aufgabe, die Agrarproduktion nach kriegsbedingten Schäden wieder aufzubauen, wozu der nach dem US-Außenminister George Marshall benannte Plan durch die Bereitstellung wichtiger Betriebsmittel (Dünger, Saatgut, Maschinen) einen wesentlichen Beitrag leistete. Schon im Jahr des Staatsvertrags 1955 war bei wichtigen Produkten (Getreide, Fleisch, Milch) die Selbstversorgung erreicht. Das Ministerium für Land und Forstwirtschaft übersiedelte 1952 von der Florianigasse im 8. Wiener Gemeindebezirk in das Regierungsgebäude, früher das k.u.k. Kriegsministerium, auf dem Stubenring, wo es bis heute untergebracht ist.

Eine historische Lücke

Auf das 150-jährige Jubiläum des Ministeriums wurde bis heute vergessen und auch keine Veranstaltung abgehalten, um bedeutende Minister in der Zweiten Republik sowie die Leistungen der Verwaltung und Wissenschaft zu würdigen. Minister Karl Schleinzer (1964 bis 1970) hat das große Verdienst, mit dem Buch "100 Jahre Landwirtschaftsministerium" die Entwicklung der Agrar- und Ernährungswirtschaft von der Monarchie bis zu Republik dokumentiert zu haben. Dem Tiroler Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter wurden konkrete Vorschläge für die Fortführung von Schleinzers Publikation unterbreitet. Er wurde nicht umgesetzt. Ministerin Elisabeth Köstinger sowie Bauernbund und Landwirtschaftskammern bekunden kein Interesse, die agrarhistorische Lücke seit 1968 zu schließen und den reichen Erfahrungs- und Wissensschatz der noch lebenden Zeitzeugen für spätere Generationen zu nutzen.

Im Rückblick auf die Vergangenheit in der Zweiten Republik sind bis zu Österreichs EU-Beitritt 1995 vor allem die Marktordnungsgesetze (1950/1958) mit Produktions-, Absatz- und Versorgungssicherheit für Bauern und Konsumenten mit preisgünstigen Lebensmitteln hervorzuheben. Wichtig waren auch mehrere Lohn- und Preisabkommen zwischen Landwirtschaft und Gewerkschaft zur Regelung der Agrarmärkte. Das Landwirtschaftsgesetz (1960) schuf mit dem "Grünen Plan" den rechtlichen Rahmen für die Förderung der Land- und Forstwirtschaft.

In sozialpolitischer Hinsicht waren das Zuschussrentengesetz (1957) und das Bauernkrankenversicherungsgesetz (1965) Meilensteine für die bäuerliche Bevölkerung. Strukturpolitische Initiativen (Siedlungsgrundsatzgesetz, Besitzstrukturfonds), die verstärkte Berücksichtigung der Nebenerwerbslandwirtschaft und der Bergbauern sowie der damaligen Grenzregionen in den 1970er und 1980er Jahren leiteten eine Wende in der Nachkriegsagrarpolitik ein. Die Erfolgsstory für eine nachhaltige und ökologische Landwirtschaft und die Entwicklung der ländlichen Regionen begann im Jahr 1988 mit dem ökosozialen Agrarmanifest des damaligen Ministers Josef Riegler, der seinen 80. Geburtstag am 1. November mit dem Buch "Vorrang Mensch" gefeiert hat.

Vorbereitung auf die EU

Mit der Gründung der Agrarmarkt Austria 1992 als Vorbereitung auf die Eingliederung der Land- und Forstwirtschaft in das EU-Agrarsystem wurden Förderungsabwicklung und Kontrolle neu geregelt. Zu den bedeutendsten Landwirtschaftsministern nach 1945 zählen Eduard Hartmann (1959 bis 1964), der Vater des Landwirtschaftsgesetzes, und der bereits erwähnte Karl Schleinzer, der die Agrarpolitik mit der Sozialpolitik verzahnte, um den verstärkt einsetzenden landwirtschaftlichen Strukturwandel in den 1960er Jahren sozial und ökonomisch abfedern zu können.

Franz Fischler bereitete von 1989 bis 1994 gegen teilweise erhebliche Widerstände der Landwirtschaftskammern und Genossenschaften die österreichische Agrar- und Ernährungswirtschaft auf den EU-Binnenmarkt vor. Als EU-Agrarkommissar gelang ihm 2000/2003 die bisher größte und nachhaltigste Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) mit Umweltprogrammen und ländlichen Entwicklungsstrategien. In der Zweiten Republik haben ÖVP-Landwirtschaftsminister (Josef Riegler, Wilhelm Molterer, Josef Pröll) auch als ÖVP-Obmänner und Vizekanzler die Politik in
Österreich entscheidend mitgestaltet.

Vor 150 Jahren wurde der Grundstein für das heutige Landwirtschafts- und Umweltministerium gelegt.
Ein Jubiläum, das kaum wahrgenommen wurde.

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