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Zurück nach Afrika!

Von Ingrid Thurner

Gastkommentare
Ingrid Thurner ist Ethnologin, Publizistin im Bereich Wissenschaftskommunikation und Lehrbeauftragte am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien. Sie war jahrelang auch freie Mitarbeiterin des Weltmuseum Wien und des Museum Niederösterreich. Alle Beiträge dieserRubrik unter:www.wienerzeitung.at/gastkommentare

Die französische Debatte um geraubtes Museumsgut verdeckt eine viel größere Schuld der einstigen Kolonialmächte.


Frankreich hat also beschlossen, ein paar Objekte an die westafrikanische Republik Benin zu überstellen - und zwar genau 26 Stück. Ob diese Rückgabe mehr ist als eine symbolische Geste, bleibt abzuwarten. Jedenfalls ist sie ein Signal für andere Länder, schleunigst ihre Kulturpolitik zu überdenken. Schon bangen ganze Museumsabteilungen um ihre Bestände und fragen sich, ob diese auch mit lauteren Mitteln in ihren Besitz gelangt sind.

Aber all die Fragen um Restitution verweisen nicht nur auf koloniale Schandtaten, sondern mehr noch
auf artverwandte rezente Verbrechen. Es wird zwar nun über vergangenes Unrecht betulich herummoralisiert, aber gleichzeitig ist die neokoloniale Brutalität nicht geringer als die koloniale. Die museale Debatte verdeckt, dass die westlichen Maschinerien der Repression immer schneller Unglück produzieren. Nur die Methoden und die Waffen sind effizienter geworden.

Es ist billig, kritische Interventionen allein auf die Geschichte, auf Relikte und historisches Fehlverhalten zu fokussieren. Mea-Culpa-, Mea-maxima-Culpa-Beteuerungen, aber mit dem Beiton Geht-mich-nichts-an, Gnade der späten Geburt, verkennen, dass das westliche Unterdrückungs- und Ausbeutungsprojekt
ja nicht der Vergangenheit angehört, sondern inzwischen perfektioniert wurde.

Eine Wirtschaftstheorie, die stete Steigerung als unumgänglich postuliert und die hemmungslosen Konsum als wichtigsten Wachstumsmotor feiert, verheimlicht die Begleitumstände. Die Forderung nach ständig neuen, immer billigeren und immer mehr Waren ignoriert, was
in den Fabriken und Regionen der Produktion angerichtet wird an menschlichem Leid und Umweltschäden.

Mangels klarer gesetzlicher Vorgaben ist soziale und ökologische Nachhaltigkeit bloß ein Anliegen weniger Unternehmen, die Nischenprodukte für zahlungskräftige Bobos liefern. Manchmal fahren große Konzerne eine vorübergehende Werbeschiene mit viel Trara um Bio, Ethno, Öko, Fair, meist im Gefolge eines Unfalls, der allzu viele Menschenopfer gefordert hat. In den armen Regionen der Welt schuften und sterben Menschen zur Aufrechterhaltung des Lebensstandards in den reichen Ländern, daran hat sich seit kolonialen Zeiten nichts verbessert.

Hinzu kommen die Kriege der Welt, die mit westlichen Waffen- und Kommunikationstechnologien Hunger, Elend, Versklavung und Tod ohne Ende produzieren. Und alle wissen um diese Zusammenhänge, sie gehen täglich durch die Nachrichten, alle profitieren davon. Niemand wird irgendwann sagen können, er habe nichts davon mitbekommen. Das ist die wahre,
die gegenwärtige Brutalität.

Daher ist die Diskussion um historische Schuld und geraubte Schätze in den Museen nur ein Nebenschauplatz der (neo-)kolonialen Repression, notwendig zwar und ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Aber angesichts der Katastrophen in Nahost und anderswo könnte man auch sagen, sie sei eine Heuchelei, die von den wahren Dramen ablenkt - Symbolpolitik eben, mit der heutzutage kleine Probleme gelöst werden, um den Blick auf die großen zu verstellen.