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Die "Gelben Westen" und die Zivilgesellschaft

Von Erhard Fürst

Gastkommentare

Die französischen "Gilets jaunes" sind aus mehreren Gründen gefährlich.


Je mehr die demokratisch gewählten Parlamente und Regierungen in den Augen der Wähler an Wertschätzung verlieren, desto mehr setzen Bürger, Medien und Sozialwissenschafter auf die sogenannte Zivilgesellschaft samt Schwarmintelligenz und -finanzierung. Das zeigt sich aktuell bei der Bewegung der "Gelben Westen" in Frankreich. Diese wird von Sympathisanten gerne als "breites Bündnis der französischen Zivilgesellschaft" gefeiert. Dabei wird geschickt die freundliche Anmutung des Begriffs "Zivilgesellschaft" genutzt.

Aber was ist die viel beschworene Zivilgesellschaft eigentlich? In autoritären Regimes sind es Gruppierungen, die Widerstand leisten und für Menschen- und Bürgerrechte eintreten. Allgemeiner bedeutet sie das Heraustreten der Bürger aus dem Privaten, verbunden mit politischem Engagement, häufig in Richtung direkter Demokratie. Vielfach wird der Begriff synonym für die großen privaten Umwelt- und Hilfsorganisationen (NGOs) wie Greenpeace oder Ärzte ohne Grenzen verwendet. Meist steht er aber für freiwillig organisierte, gemeinsame Tätigkeit und Interessenpflege, etwa in Form von Feuerwehren, Gesangs- oder Dorfverschönerungsvereinen, aber auch schlagenden und nicht schlagenden Studentenverbindungen oder Identitären.

"Zivilgesellschaft" ist ein schillernder Begriff, eine Art Wieselwort, wie auch zum Beispiel "soziale Gerechtigkeit" (© Friedrich August von Hayek) - allgegenwärtig, aber kaum zu fassen. Der extrem breite und heterogene Begriff sollte daher mit Zurückhaltung und genauer inhaltlicher Definition verwendet werden und vor allem ohne vorauseilende positive Konnotation.

Keine Frage, die "Gilets jaunes" gehören zur Zivilgesellschaft und werden in Umfragen von einer Mehrheit der Franzosen positiv gesehen. Sie stellen allerdings aus mehreren Gründen eine gefährliche Spezies der Zivilgesellschaft dar. Diese Bewegung hat (noch?) keine Führungsstruktur, sie ist daher schwer greifbar und leider mit radikalen, gewaltbereiten Elementen durchsetzt. Das ist bei über Soziale Medien organisierten Großaktionen kaum zu verhindern.

Das vordergründige Anliegen niedriger Treibstoffpreise ist geballte Unintelligenz. Angesichts des Klimawandels und hoher Arbeitslosigkeit ist die steuerliche Verteuerung von Emissionen und nicht erneuerbaren Ressourcen bei gleichzeitiger steuerlicher Entlastung der Arbeit ein Muss. Und die letztlich den Protesten zugrunde liegenden, über viele Jahre aufgestauten sozialen und spezifisch regionalen Probleme sind kurzfristig nicht zu lösen. Dazu bedarf es der Umsetzung der Reformagenda des Präsidenten und seiner Regierung. Aber diese werden durch zunehmende Gewaltausbrüche geschwächt, ebenso durch die mehr oder weniger unverhohlene Unterstützung der "Gelbjacken" durch die Opposition mit Ausnahme der Grünen. Interessant ist, dass angesichts der in Paris wütenden "Stadtguerilla" auf breiter Front nach dem Staat gerufen wird: Er ist dank seinem Gewaltmonopol unverzichtbar.

Erhard Fürst war Leiter der Abteilung Industrie- und Wirtschaftspolitik in der Industriellenvereinigung.