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Falsche Fragestellung zum Thema Pensionen

Von Paul Kellermann

Gastkommentare
Paul Kellermann ist emeritierter Professor am Institut für Soziologie der Alpen-Adria-Universität. Alle Beiträge dieser Rubrik unter: www.wienerzeitung.at/gastkommentare

Die Sicherung der Renten ist keine durch die Bevölkerungsentwicklung entstandene Frage, sondern eine gesellschaftspolitische.


"Wer sichert die Pensionen?" So oder ähnlich wird seit Jahren immer wieder einmal öffentlich gefragt. Doch das ist sehr oberflächlich. Die Sicherung der Pensionen ist keine durch die Bevölkerungsentwicklung entstandene Frage, wie allgemein gemeint wird, sondern eine gesellschaftspolitische.

Die erste, existenzielle Frage müsste lauten: Wer sichert die Versorgung der Bevölkerung mit den "Mitteln des Lebens"? Diese Frage kann mit dem Verweis auf die ständig gestiegene Produktivität der verwendeten Produktionsmittel beantwortet werden. Angesichts der in den industriell entwickelten Ländern allgegenwärtigen Werbung für Waren aller Art sollte man annehmen, die Versorgung der Bevölkerung müsste derzeit sowohl qualitativ als auch quantitativ gesichert sein. Es ist auch nicht anzunehmen, dass die seit der ersten Industriellen Revolution im 18. Jahrhundert so stark gestiegene Produktion und Produktivität trotz eingesetzter Roboter und dergleichen zu einem plötzlichen Ende kommen werden. Daher ist die Sorge um die Pensionen eigentlich unangebracht - und doch gibt es sie.

Die zweite Frage müsste lauten: Wie ist der Einsatz der Produktionsmittel (menschliches Arbeitsvermögen und von Menschen geschaffenen Hilfsmitteln) organisiert?

Die dritte Frage wäre dann: Wie ist und soll der Zugang zu produzierten Leistungen (Gütern und Diensten) geordnet sein?

Und die letzte Frage wäre: Was ist der offenbar nur wenigen bekannte tieferliegende Grund für die Sorgen um die Pensionen? Die Antwort lautet: Die Verteilung der Mittel zum Zugang zu den vorhandenen Gütern und Dienst, also die Ungleichheit im Verfügen über Geld, das zu einer der wichtigsten Voraussetzungen zum Leben in der "Geldgesellschaft" geworden ist - in einer Gesellschaft, in der mehr oder weniger alles bezahlt werden muss, was gebraucht wird.

Dieses Mittel ist auch in Form der Pensionen ungleich verteilt. Dafür gibt es mehrere Gründe, die nur politisch zu beseitigen wären. Aber dazu fehlen offensichtlich das Wissen und die Kompetenz. Wollte man beides - sowohl die Sicherung der Pensionen als auch ein ausreichendes Warenangebot -, sollte man beachten: Die über das Tauschmittel Geld organisierte Wirtschaft besteht nicht nur aus dem Management der Unternehmen. Sie besteht aus den drei Komponenten Produktion (Herstellung von Gütern und Leisten von Diensten), Distribution (Zuordnung der wirtschaftlichen Leistungen nach finanzieller Verfügbarkeit) und Konsum (Verbrauch und Einsatz der Waren wiederum nach Geldverfügbarkeit).

Beachtet man das gesamte Wirtschaftssystem, geht es auch im Fall der Sicherung von Pensionen um die vernünftige, rationale und funktionale Organisation der Geldverfügbarkeit. Es geht um die Verteilung des Zugangsmittels zu den immer häufiger automatisch produzierten Leistungen, also um den Zugang zu Geld. Und erst hier kommt die Frage nach den Pensionen. Solange genügend produziert wird und die Geldverfügbarkeit mit Sachverstand geregelt ist, müsste man sich eigentlich weder um die wirtschaftliche Entwicklung noch um Pensionen Sorgen machen.

Sorgen muss man sich allerdings - sofern nichts Schlimmeres passiert (etwa kriegerische Konflikte als Folge der raschen Veränderungen der Lebensbedingungen auf dem Planeten) - um die Irrungen der öffentlichen Meinung sowie um die wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Ansichten der vergleichsweise wenigen Menschen, die die Rahmenbedingungen des Lebens der vielen anderen bestimmen.