
Die Gruppe der prekär Beschäftigten, die neue Arbeiterklasse, erscheint auf den ersten Blick sehr divers, weil ihre Mitglieder einiges trennt. So sind sowohl formal Geringgebildete mit maximal Pflichtschulabschluss als auch Menschen mit höherer Ausbildung überdurchschnittlich häufig von unsicheren, schlecht bezahlten Jobs betroffen. Berufseinsteiger ebenso wie über 50-Jährige und im besondere Maße Frauen und Beschäftigte mit Migrationsgeschichte. Doch sie alle haben exakt dieselben Probleme: Sie verdienen wesentlich schlechter. Selbst wenn sie Vollzeit arbeiten, sind ihre Gehälter im Schnitt um ein Viertel niedriger als die von stabil Beschäftigten, und sie haben keine sichere Lebensgrundlage, geschweige denn eine planbare Zukunftsperspektive.
Egal ob als befristete externe Lehrende an der Universität, freie Architektin in einem renommierten Büro, als Bankkauffrau angestellte Endvierzigerin, Leiharbeiter in einem Industriebetrieb oder Ein-Personen-Unternehmer im IT-Bereich - sie alle können sich nicht sicher sein, ihren Job auch noch in den nächsten zehn Monaten zu haben. Die unfreiwillig Teilzeitbeschäftigte im Einzelhandel oder im Gesundheits- und Sozialbereich kommt mit ihrem Gehalt nicht besser über die Runden als der vollzeitbeschäftigte Paketbote oder die Küchenhilfe, die sich zwölf Stunden am Stück sechs Tage die Woche bis spät in der Nacht die Beine in den Bauch stehen muss.
Von der Schicksals-
zur Solidargemeinschaft

Während eine wachsende Gruppe von Menschen durch instabile und atypische Jobs häufig mehrmals pro Jahr mit Arbeitssuche, Jobwechsel und Arbeitslosigkeit zu kämpfen hat, hat nur etwa die Hälfte der österreichischen Beschäftigten einen stabilen Arbeitsplatz über zumindest drei Jahre. Diese deutliche Segmentierung des Arbeitsmarkts hat fatale Konsequenzen für die Betroffenen und ihre Familien, aber auch für unsere gesamte Gesellschaft. Diese Spaltung beeinflusst das Klima in unserem Land, unser Zusammenleben und die Politik, die diesen Umstand mitunter skrupellos instrumentalisiert.
Aber die in den 1980er Jahren zum Dogma verklärte Mär, wonach wir alle von der Tellerwäscherin zur Millionärin werden könnten, wenn wir uns nur genug anstrengen, und das Ideal des Individualismus und der Ellbogen beim Erklimmen der Karriereleiter haben uns das Selbstverständnis der Gemeinschaft ausgetrieben; das Bewusstsein dafür, dass wir unabhängig davon, wo und wie wir arbeiten, alle lohnabhängig sind; dass wir durch den unaufhörlichen Lohndruck alle schlechter bezahlt werden; dass "Flexibilisierungen", also fehlende rechtliche Regulierungen, uns alle gleichermaßen treffen können. Klassenunterschiede zwischen den Privilegierten und denen, die für ihr Geld arbeiten müssen, gibt es heute genauso wie vor hundert Jahren, sie sehen nur anders aus, und wir haben verlernt, sie auch als solche klar zu benennen. Wir müssen in Zeiten der Digitalisierung ähnliche Entwicklungen beobachten wie vor hundert Jahren während der Industrialisierung.