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Die Folgen eines Tweets

Von Rene Tebel

Gastkommentare

Was hinter dem angekündigten US-Rückzug aus Syrien stecken dürfte.


Ein kurzer Tweet - ein großer Schock: "We have defeated ISIS in Syria, my only reason for being there during the Trump Presidency", twitterte Donald Trump am 19. Dezember um 6.29 Uhr. Wenige Tage nach der Einnahme der letzten IS-Bastion im Euphrattal verkündete der US-Präsident also den Rückzug der 2000 US-Soldaten aus Syrien. Einen Abzug, der bereits in zwei bis drei Monaten vollzogen sein soll und mit dem auch die Luftschläge gegen den IS enden dürften.

Damit würde Trump seine Berater, Teile der Republikanischen Partei und das US-Militär vor den Kopf stoßen, Israel im Stich lassen, seine Verbündeten überrumpeln und die Vernichtung seiner treuesten regionalen Verbündeten im Kampf gegen den IS riskieren. Und dies einzig für einen kolportierten Verkauf von Patriot-Flugabwehrraketen im Wert von 3,5 Milliarden Dollar? Wohl eher sind die möglichen Beweggründe für diesen Schritt in der Sicherheitslage in Syrien und in Trumps Pragmatismus zu finden: In den vergangenen Wochen wuchs im US-kurdischen Machtbereich der Unmut der arabischen Bevölkerung über Zwangsrekrutierungen für die kurdisch dominierte SDF.

Zudem steigerte die Türkei den Druck, auch gegen den Willen der USA in Manbij und in Syrien östlich des Euphrats einzumarschieren. Beide Entwicklungen hätten ein unkalkulierbares Risiko für die US-Soldaten bedeutet und zudem in eine militärische Konfrontation mit der Türkei, der zweitstärksten Militärmacht der Nato, führen können. Doch warum sollte Donald Trump seine Soldaten gefährden und das Verhältnis zu einem wichtigen Bündnispartner für einen Krieg beschädigen, der "nicht der Krieg der USA" und nicht einmal rechtlich gedeckt ist?

Auch brauchen die USA keine Truppenpräsenz und keine 20 Militärstützpunkte, um in Syrien an jedem Punkt zuschlagen zu können: von ihren Stützpunkten im Irak, vom Militärflughafen Aviano in Italien, durch Flugzeugträgerverbände im Mittelmeer und in der Golfregion oder durch Fernlenkwaffen von U-Booten und Kriegsschiffen aus.

Außerdem wurden die Kurden von den USA stets nur als Verbündete im Kampf gegen den IS gesehen. Eine praktische Unterstützung ihrer Unabhängigkeitsbestrebungen war zu keiner Zeit ein Ziel der US-Politik: Dies mussten die Kurden nach ihrem Unabhängigkeitsreferendum im Nordirak erleben, beim türkischen Einmarsch in der Gegend von Afrin Anfang 2018 oder bei den laufenden Bombardements von Stellungen der kurdischen YPG im nordirakischen Sinjar.

Die Rechnung bezahlenam Ende die Kurden

Trumps Tweet-Politik kann allerdings über den Nahen Osten hinaus für die US-Außenpolitik höchst unangenehme Nebenwirkungen entwickeln: Ein US-Abzug kann den IS erstarken lassen. Schätzungen gehen von 40.000 IS-Kämpfern in Syrien und im Irak aus, die sich erneut konsolidieren könnten. Israels Erzfeind Iran könnte einen wichtigen Einflusskorridor und eine Transitroute durch den Irak gewinnen. Die Türkei dürfte in den nächsten Tagen mit verbündeten Dschihadistenmilizen die nordsyrische Grenze überschreiten und Manbij und weitere nordsyrische Regionen besetzen, wodurch sich für die Kurden die Erfahrungen aus Afrin mit der Ansiedlung einer arabischen Bevölkerung, Unterdrückung, Enteignung und Vertreibung wiederholen könnten.

Diese Gefahr ließe sich allenfalls abmildern, falls sich die Kurden dem syrischen Präsidenten Bashar al-Assad unterwerfen und den Traum vom unabhängigen oder autonomen Kurdengebiet begraben. Sollten sie sich für einen Unabhängigkeitskampf entscheiden, könnte postwendend neben der türkischen Front durch eine syrisch-russische Besetzung der bedeutendsten Erdgas- und Erdölfelder in Deir Ezzur eine zweite Kampflinie entstehen.

All das sind aber reine Gedankenspiele. Letztlich wissen wir nicht, ob es eine Übereinkunft der USA mit der Türkei und Russland gibt und was diese besagen könnte; wie sich die (noch) verbleibenden internationalen Mächte der Koalition wie Frankreich, Großbritannien oder die Golfstaaten verhalten werden; ob eine Machterweiterung der Türkei in Wladimir Putins Kalkül passt oder durch den Abzug der USA tatsächlich Syrien einem Frieden näher kommt; es ist nicht einmal sicher, dass Donald Trump seinen Entschluss tatsächlich umsetzt.

Wir kennen aber die großen Verlierer: die Kurden und die US-Außenpolitik. Trump verspielt mit einem Tweet den Glauben an die Zuverlässigkeit der USA als Bündnispartner. Sie können in Zukunft schwieriger lokale Verbündete gewinnen oder internationale Allianzen schmieden. Zudem könnte die russisch-iranisch-türkische Allianz ihren strategischen Erfolg als Blaupause verwenden, um die USA (und damit letztlich den Westen) aus weiteren Regionen verdrängen zu wollen.