Zum Hauptinhalt springen

Wo kann es und wo soll es hingehen?

Von Markus Hengstschläger

Gastkommentare

Die Zukunft der medizinischen Genetik.


Die Innovationen der aktuell laufenden Industriellen Revolution 4.0, Digitalisierung, Big Data, Künstliche Intelligenz und das Internet der Dinge finden gerade ihre ersten Anwendungen im Fachbereich der medizinischen Genetik. Die Kombination der Ergebnisse neuester technologischer Entwicklungen in der Analyse des menschlichen Erbguts ("Next Generation Sequencing") mit vielen anderen erhobenen individuellen medizinischen Daten des einzelnen Patienten, um dadurch zielgerichtete Diagnosen, Prophylaxen und Therapien entwickeln zu können, wird heute gerne als Präzisionsmedizin bezeichnet.

Genau diese Ziele hat die medizinische Genetik eigentlich schon immer verfolgt, vor allem auch kombiniert mit dem Bereitstellen der unverzichtbaren detaillierten genetischen Beratung der Patientinnen und Patienten über sich daraus ergebende Chancen und Risiken. Es steht aber heute bereits fest, dass die digitale Revolution die Anwendungen der medizinischen Genetik zum Wohle des Individuums in naher Zukunft auf eine nächste Stufe heben wird.

Grundsätzlich unterscheidet man in der Genetik monogene von multifaktoriellen Krankheiten. Bei Ersteren stehen Veränderungen in einem Gen kausal im Zusammenhang mit der Erkrankung, Zweitere werden durch das Zusammenwirken genetischer Komponenten mit bestimmten Umweltfaktoren ausgelöst. Der Mensch hat vielleicht etwa 23.000 Gene, und man kennt heute mehrere tausend Erkrankungen, bei denen spezielle genetische Anlagen von Bedeutung sind. Gentests mit dem Ziel der Detektion solcher pathogenen Mutationen bei klinisch bereits bestehender Erkrankung können der Bestätigung, der Differenzialdiagnose, der Einschätzung der Prognose und vor allem auch der Optimierung des Therapiekonzeptes dienen.

Durchbruch in der Humangenetik

Andererseits ist es aber auch möglich, durch sogenannte prädiktive genetische Untersuchungen Voraussagen darüber zu machen, ob beziehungsweise mit welcher Wahrscheinlichkeit eine zum Zeitpunkt der Testung gesunde Person in Zukunft an einer bestimmten Krankheit erkranken wird. Folglich ist es heute schon bei vielen genetischen Erkrankungen möglich, durch entsprechende prophylaktische Maßnahmen den Ausbruch der klinischen Symptome zu verlangsamen, zu minimieren oder gar zu verhindern. Da es zwar sehr viele genetisch mitbestimmte Erkrankungen des Menschen gibt, viele davon aber seltene Krankheiten sind, ist es umso wichtiger, die akademische Forschung auf diesem Gebiet entsprechend auszustatten, um immer mehr Patienten mit neu entwickelten Konzepten für Prophylaxe oder Therapie helfen zu können.

Es war der US-Präsident Bill Clinton, der erstmals nach vielen dafür notwendigen Jahren äußerst kostspieliger internationaler Forschungsbemühungen die erfolgreiche komplette Durchsequenzierung eines humanen Erbguts präsentierte. Mit den neuen Technologien des "Next Generation Sequencing" steht der Humangenetik heute ein Instrument zur Verfügung, das es ermöglicht, so riesige Analysedaten, wie es die DNA-Daten eines Menschen mit ihren etwa 3,3 mal 109 Basenpaaren nun einmal sind (oft reicht die Veränderung eines Basenpaares in einem Gen aus, um eine Erkrankung auszulösen), äußerst kostengünstig in wenigen Tagen zu erstellen.

Es ist zu erwarten, dass weltweit vernetzte Computersysteme gewissermaßen über "Deep Learning" letztendlich so viel Künstliche Intelligenz entwickeln werden, um jedes Erbgut eines Menschen höchst effizient darauf interpretieren zu können, ob und für welche Erkrankungen entsprechende genetische Anlagen darin enthalten sind beziehungsweise welche genetische Veränderungen ohne Konsequenz für deren Träger sind.

Unabhängig davon, ob solche genetischen Analysen nun im Zuge der künstlichen Befruchtung am Embryo vor dem Transfer in die Gebärmutter (Präimplantationsdiagnostik), während der Schwangerschaft am Fetus (Pränataldiagnostik), eventuell im Zuge des Neugeborenen-Screenings, bei Krebspatienten oder beispielsweise auch zur Optimierung der Verschreibung von Medikamenten ("Pharmacogenomics") angewendet werden - aus dieser vorhersehbaren Entwicklung ergibt sich logischerweise eine massiv steigende Bedeutung entsprechender genetischer Beratung durch Experten.

Parallel dazu muss permanent eine detaillierte ethische Diskussion und Abwägung vieler zwangsläufig entstehender Fragestellungen geführt werden: Bei wem soll/darf wann unter welchen Umständen eine genetische Untersuchung durchgeführt werden? Das auch im österreichischen Gentechnikgesetz verankerte Recht auf Nichtwissen muss geschützt bleiben. Wer darf unter welchen Umständen Zugriff auf die genetischen Daten eines Menschen haben? Wie steht es um den Datenschutz? Welche Daten dürfen für Forschungszwecke verwendet werden?

Nicht alles, was möglich ist, darf gemacht werden

Gerade auch als Konsequenz aktueller Forschungsentwicklungen im Bereich der medizinischen Genetik werden der Menschheit vielleicht schon in naher Zukunft für viele Erkrankungen ganz neue therapeutische Konzepte zur Verfügung stehen. Ein Paradigmenwechsel von einer bisher fast ausschließlich reparierenden Medizin in Richtung immer mehr regenerierender Ansätze über Stammzellen, "Tissue Engineering" oder Organe aus dem 3D-Drucker ist bereits eingeläutet. Auch den neuesten Entwicklungen im Bereich der Gentherapie, dem Korrigieren von krankheitsauslösend veränderten Genabschnitten über "Genome Editing" durch Ansätze wie die Genschere Crispr/Cas9, wird von vielen höchstes therapeutisches Potenzial zugeschrieben.

So berechtigt all diese Hoffnungen auch sind, und so unverzichtbar folglich auch die Grundlagenforschung in all diesen Bereichen ist, so sehr muss allerdings stets auch darauf hingewiesen werden, dass nicht alles, was gemacht werden kann, auch gemacht werden darf. In Zukunft wird die Anwendung neuester genetischer Forschungsergebnisse zum Wohle des Menschen auch davon abhängen, inwieweit sie von entsprechenden ethischen Abwägungen und Folgeabschätzungen begleitet wird.

Zum Autor