Zum Hauptinhalt springen

Wohnpolitik für das 21. Jahrhundert

Von Jörg Wippel

Gastkommentare

Die Wiener Bauordnung steht zum Teil in Konflikt mit dem in der Verfassung verankerten Begriff der Freiheit des Eigentums - weil noch keine vernünftige Mietrechtsreform auf dem Tisch liegt.


Weltweit wachsen die Städte - Wohnungsnot in Ballungsräumen ist ein globales Phänomen und eine historische Konstante. Es genügt ein Blick zurück in die Geschichte Wiens: Dort überlegten seit Ende des 18. Jahrhunderts die Habsburger, beginnend bei Maria Theresia, wie man steigenden Mieten und Wohnungsmangel beikommen könnte. Man erwog Jahreszins-Beschränkungen für Hausbesitzer, verwarf die Idee, entschied sich für Steuererleichterungen, entrümpelte die Bauordnung und erweiterte das Stadtgebiet. Das gesamte 19. Jahrhundert hindurch, in dem Wien explosionsartig wuchs, galt die Devise: Wenn wir nur den Unternehmern die Bautätigkeit erleichtern, wird die Wohnungsnot bald beseitigt sein.

Doch immer wieder war das Gegenteil der Fall. In den Boomjahren wurde verlässlich ein Überangebot an Groß- und Luxuswohnungen produziert, der eigentliche Bedarf an kleineren, günstigen Wohnungen wurde nicht gestillt. Im 20. Jahrhundert brachte nicht zuletzt die Not zweier Weltkriege die Politik auf gänzlich konträre Gedanken. Mit dem letzten Habsburger-Regenten, Kaiser Karl, wurde der Mieterschutz zu einer politischen Konstante, im Roten Wien wurde die Gemeindebau-Idee geboren und nach dem Zweiten Weltkrieg in schwarz-rotem Konsens via gemeinnützigem Wohnbau beziehungsweise Wohnbauförderung das Land wiederaufgebaut. Was jetzt? Gibt es eine logische Weiterentwicklung der einzigartigen österreichischen Wohnpolitik-Geschichte für das 21. Jahrhundert?

Ländermaßnahmenversus Bundesgesetz

Einen beachtenswerten Schritt setzte vor kurzem der Wiener Landtag. Mit den Stimmen von Rot-Grün wurde eine neue Bauordnung verabschiedet. Drei Maßnahmen sollen langfristig leistbares Wohnen in der Stadt sicherstellen: Neu gewidmete Liegenschaften werden mit einer eigenen Widmung "geförderter Wohnbau" versehen, die vorsieht, dass auf zwei Drittel der Fläche sozialer Wohnbau errichtet wird. Abbrüche von Gründerzeit-Zinshäusern sind nun bewilligungspflichtig. Und es wird das Ziel ausgegeben, dass die Miete bei geförderten Wohnungen 5 Euro netto nicht übersteigen darf.

Nun sind Wohnbauförderung und Bauordnung Ländersache. Es steht Wien frei, Maßnahmen zu setzen, die es für Erhalt und Ausbau des weltweit geachteten sozialen Wohnbauprogramms für notwendig hält. Allerdings stehen diese Maßnahmen ohne Zweifel zum Teil in Konflikt mit dem in der österreichischen Verfassung verankerten Begriff der Freiheit des Eigentums.

Was treibt Wien an? Etwas, das in allen Metropolen der Welt gerade vor sich geht: exorbitant steigende Bodenpreise und steigende Mieten. Letzteres in den Griff zu bekommen, liegt in Österreich allerdings in der Hand des Bundes. Ihm obliegt die Wohnrechtsgesetzgebung. Insbesondere das Zinshaus-Abbruchverbot kann im Grunde als Notwehrmaßnahme gegen die Säumigkeit aller vergangenen Bundesregierungen gewertet werden, endlich das Mietrecht zu reformieren. Wien versucht damit auch, eine Sozialreserve im privaten Wohnungsbestand für sich zu erhalten: die billigen, der Vollanwendung des Mietrechtsgesetzes unterliegenden, gedeckelten Richtwertmieten. Aber kann das gutgehen?

Mietwohnungssektor marktnahe reglementieren

Die aktuelle Bundesregierung plant - so wie viele vor ihr - eine Wohnrechtsreform. Speziell das Mietrechtsgesetz soll entrümpelt und neu aufgesetzt werden. Ins Auge sticht dabei das Ziel, Zinshäuser aus der Mietpreisdeckelung "heraussanieren" zu können. Für Wohnungen auf dem höchsten Stand der Technik sollen "marktkonforme" Mieten verlangt werden dürfen, egal in welchem Jahr sie errichtet wurden. Das muss nicht zwangsläufig als Angriff auf die Leistbarkeit des Wohnens in den Ballungsräumen, insbesondere in Wien, verstanden werden.

Warum? Aktuell erlebt Wien einen Boom im Neubau freifinanzierten Eigentums - und das nicht mehr nur in guten Lagen, wo bereits Anzeichen einer Überproduktion in Form leerstehender, nicht-verkaufter Objekte sichtbar sind, sondern auch in durchschnittlichen und schlechten Lagen. Das ist gut, da die Eigentumsquote Wiens im Vergleich mit anderen Metropolen ohnehin bescheiden ist. Andererseits lässt sich daran die Gesetzmäßigkeit erkennen, dass "der Markt" lieber für die einkommensstarken Schichten produziert. Denn der viel größere Bedarf nach günstigen und kleineren Mietwohnungen wird aktuell nicht gedeckt.

Diese Situation "zwingt" Wien zu einer Maßnahme wie dem Zinshaus-Abbruchverbot. Aber nur so lange, als keine vernünftige Mietrechtsreform auf dem Tisch liegt. Und nein: Vernünftig heißt nicht, die Mehrwertsteuer auf Mieten zu streichen. Vernünftig hieße, auf der einen Seite den Eigentumswohnbau weiter seinem freien, sich selbst regulierenden Lauf zu überlassen und auf der anderen Seite den Mietwohnungssektor marktnahe zu reglementieren. Das geht gar nicht so schwer, und die Ansätze dazu werden im aktuellen Regierungsprogramm bereits aufgezeigt. Vernünftig wäre, diese Ansätze wie hier vorgeschlagen weiterzudenken:

rechtliche Gleichbehandlung aller Wohnungen unabhängig vom Errichtungsjahr;

Kriterium für Preisbildung ist die Qualität der Wohnung, des Hauses und der Lage;

freie Preisbildung für höchste Qualität und Abschläge für geminderte Qualität;

Richtschnur für höchste Qualität ist eine neu errichtete geförderte Wohnung. Mit diesem Maßstab ließe sich ohne Definition einer Obergrenze oder eines bestimmten Errichtungsdatums gleichsam eine natürliche Grenzlinie für den Mietzins ziehen, von der aus taxativ aufgezählte, verbindliche Abschläge zu berechnen wären.

Ein neues Bundeswohnrecht, das maßvoll sozialpolitische, wirtschaftliche und volkswirtschaftliche Interessen abwägt, könnte eine wirklich konstruktiv-kooperative Antwort auf die neue Wiener Bauordnung sein - und das zum Wohle der Mieterinnen und Mieter in allen österreichischen Ballungsräumen.