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100 Jahre Kriegsende und Erste Republik; 80 Jahre Novemberpogrome und wieder Kriegsbeginn, 40 Jahre Zwentendorf . . . Das Gedenken des vergangenen Jahres an diese Ereignisse wird wohl bald wieder langsam aus dem Bewusstsein der Medien und der Öffentlichkeit zurücktreten. Die vergangenen Wochen mit all ihren Bemühungen, die jungen Leute nicht vergessen zu lassen, welcher Grausamkeiten die Menschen fähig sind, welche Fehler dazu führen, dass sie geschehen, und welches Leid sie zur Folge haben, gehören zu den wichtigsten Aufgaben aller öffentlichen Medien. Diese Pflicht wurde - jedenfalls hier bei uns - erkannt und auch erfüllt. Und dies trotz aller Meinungsverschiedenheiten auf ausgezeichnete Weise.

So wie vor 100 Jahren ist auch jetzt wieder ein Neustart nötig - bitte wieder mit maßvollen Visionen! Österreich, Europa, die Welt hätten es bitter nötig. Erkannt hat das die Politik ja schon. So will Umweltministerin Elisabeth Köstinger, dass wir uns "auf den Weg in eine erdölfreie Gesellschaft machen". Wir sollten uns wieder der Gegenwart zuwenden und um jene großen Probleme und Risiken bemühen, die uns heute unter den Nägeln brennen. Sich dies zu wünschen und laut auszusprechen, steht jedem Bürger in jedem demokratischen Land zu.

Der wichtigste Schluss, der aus den Geschehnissen des vergangenen Jahrhunderts zu ziehen wäre, ist folgender: Jede Polarisierung, jede Missachtung der Anderen, jede Herausforderung oder Beleidigung politischer, religiöser, ethnischer oder wirtschaftlicher Gegner führt zu gesellschaftlichen Verhärtungen und kann früher oder später Grausamkeit, sogar Gewalt auslösen. Dass genau diese Polarisierung derzeit weltweit deutlich stärker wird - sei es durch Androhung oder Verhängen von Sanktionen oder Strafzöllen, Armut erzeugende Steuerflucht oder offene Gewalt und Krieg -, ist besorgniserregend und widerspricht allen christlichen und westlichen Werten.

Das durch Vorsorge geprägte menschliche Verhalten

Diese Polarisierungen wieder zu dämpfen, mit Bedacht und Verstand, und die notwendigen Aufgaben der Gegenwart anzugehen, ist sicher alles wieder tatsächlich sehr kompliziert; deshalb ist ein kritischer Blick auf die Startbedingungen notwendig.

Wie ist unser Umgang mit der Welt, was ist für uns Wirklichkeit, wie sehen wir die Gegenwart? Zunächst ist festzustellen, dass unsere Lebensweise wahrscheinlich aus dem Wunsch nach Vorsorge für die Zukunft entstanden oder - wenn man so will - dem Selbsterhaltungstrieb des Lebens zu verdanken ist. Neuntöter, Eichhörnchen oder Biber können zwar auch vorsorgen, wahrscheinlich instinktiv. Wir Menschen aber können es noch viel besser, wie wir meinen. Wir haben mehr und bessere Werkzeuge: geschickte Finger sowieso, aber zusätzlich Sprache und Schrift, viel Fantasie und auch den Verstand samt durch ihn erworbenem und weitergegebenem Wissen. Dies haben wir sehr effektiv zur Gestaltung unserer künstlichen Lebenswelt, unserer technischen Zivilisation genutzt, die auch starke Glanzlichter auf den Gebieten von Kunst, Philosophie und Wissenschaft gesetzt. Insgesamt ein bewundernswertes Netz vielfältiger Menschenkulturen, aber doch an Komplexität nicht vergleichbar mit dem Netz der Natur.