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Wiens Börse sollte aus der Frankfurter Erfahrung lernen

Von Holger Blisse

Gastkommentare
Holger Blisse ist Wirtschafts- und Sozialwissenschafter (Buchtipp: "Geld und Gesellschaft", Wissenschaftlicher Rat 2018). Alle Beiträge dieser Rubrik unter: www.wienerzeitung.at/gastkommentare

Ein neues Segment für KMU: Zugang zu Risikokapital oder Aufhebung mittelständischer Wirtschaftsstrukturen?


In Wien ist nun ein neues Börsensegment für KMU an den Start gegangen. Vom regulierten Kapitalmarkt geht etwas Faszinierendes aus. Dort kann in großem Umfang und schnell Kapital aufgenommen und angelegt werden. Aktien gelten als Substanzwerte und tragen zum Erhalt des Geldwerts bei. Börsen sind aber auch sehr anfällig für Stimmungen, so kommt es zu starken Kursschwankungen bis hin zum Crash mit erheblichen Vermögensentwertungen und -umverteilungen. Dies wiederum belastet Alterssicherungssysteme, die allein auf eine Kapitaldeckung setzen.

In jedem Fall braucht es genügend Marktteilnehmer, die sich den regulatorischen Bedingungen und Börsen-Usancen unterwerfen. Die Ausrichtung auf den Kapitalmarkt - mit neuen Publizitätspflichten, eventuell einer Umstellung der Rechnungslegung und regelmäßiger Marktpflege - ändert die Kultur eines Unternehmens grundlegend. Doch auf diese Weise kann das über eine Kreditfinanzierung nicht zu erhaltende Kapital für weiteres Wachstum (gegebenenfalls Übernahmen), notwendige, aber in ihrem Erfolg noch nicht einschätzbare Investitionen oder auch eine Expansion ins Ausland leichter finanziert werden.

Allerdings gerät dabei etwas aus dem Blick, dass sich mittelständische Unternehmen auch einem (Erwartungs-)Druck aussetzen, der zu einem ganz anderen Verhalten gegenüber der Belegschaft führen und auch die Treue zum Standort Österreich aufheben kann. Wir leben im Zeitalter der Globalisierung. So ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich im Börsenkurs positiv entwickelnde Firmen in den Blick von Investmentfonds und anderen institutionellen Investoren geraten und sich allmählich die Eigentümerstruktur verändert. Aus anfangs geringen Anteilen (unter der niedrigsten Meldeschwelle von 4 Prozent) kann irgendwann eine Sperrminorität (über 25 Prozent) werden. Spätestens dann gelangen von den Investoren entsandte, möglicherweise fremdsprachige Personen in den Aufsichtsrat eines KMU, bestimmen in der Folge auch die Wahl neuer Vorstandsmitglieder und gestalten so die Firmenpolitik und -strategie mit. Von börsennotierten Aktien trennt man sich auch als Unternehmensgründer und -inhaber leichter.

Nicht immer ist die Einführung eines neuen Börsensegments ein Erfolg. Erinnert sei an den Hype 1997 um das neue Börsensegment in Frankfurt für Firmen der "New Economy" in den Zukunftsbranchen Informationstechnik, Multimedia, Biotechnik und Telekommunikation. Die Erwartung auf rasch steigende Kurse erfüllte sich anfangs und führte zu Börsengängen "am laufenden Band", obwohl viele Firmen gerade erst gegründet waren und nur über eine gute Idee verfügten. Viele der rund 300 notierten Aktien verloren an Wert, im Juni 2003 wurde das Börsensegment wieder geschlossen. Am Ende lagen zwischen den niedrigsten und höchsten Bewertungsständen für das gesamte Segment 200 Milliarden Euro Differenz.

Daraus haben gewiss auch die Initiatoren in Wien gelernt. Doch auch hier besteht der Verdacht, dass die Börsennotierung nur eine kurze Übergangszeit lang währt, bis das KMU als Wettbewerber einem größeren Wettbewerber zugeführt werden konnte und diesen stärkt. Die Monopolisierung im Privateigentum fördernde Kraft des Marktes würde sich bewahrheiten. Natürlich bieten sich auch Möglichkeiten, die Mitarbeiter zu beteiligen. Doch dafür braucht es keine Aktiengesellschaft und keine Börsennotierung. Jedenfalls dürften auch die Sozialpartner (für die Arbeitnehmer-Mitbestimmung) und die Finanzmarktaufsicht (für den Anlegerschutz) gefordert sein, damit sich die Frankfurter Geschichte in Wien nicht wiederholt, sondern hier eine Erfolgsgeschichte geschrieben wird.