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Armut fördert Gewalt

Von Philipp Mittnik

Gastkommentare
© stock.adobe/cineberg

"Erziehungscamps" für Problemschüler wären der falsche Ansatz.


Vor kurzem sorgte der Vizebürgermeister Dominik Nepp (FPÖ) in Wien für (sehr kurze) mediale Aufregung, als er "Erziehungscamps" für Problemschüler forderte. Dort sollten Schüler nicht nur durch Sozialarbeiter und Ärzte betreut werden, sondern auch zum "Umdenken" etwa durch das Säubern von Obdachlosenheimen gebracht werden. Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky (SPÖ) stellte daraufhin fest, bei diesem Vorschlag handle es sich um "keine seriöse Bildungspolitik".

In diesem Zusammenhang sollte keinesfalls von "Bildungspolitik" gesprochen, sondern angeführt werden, dass diese Aussage dem Wunsch nach einem autoritären Erziehungsideal entspricht und daher bedingungslos abgelehnt wird. Auch Bildungsminister Heinz Faßmann wies Nepps Forderung nicht deutlich zurück, sondern gab in einem Interview mit der "Tiroler Tageszeitung" nur an, er sei von dieser Idee "auch nicht überzeugt".

Auch wenn Nepp sich über die folgenden "Nazi-Vergleiche" von Vertretern der Wiener Stadtregierung echauffierte, muss angeführt werden, dass die (Um-)Erziehung durch Arbeit nicht nur im Nationalsozialismus umgesetzt wurde (Stichwort: "Arbeit macht frei"), sondern auch in Chinas kommunistischer Diktatur (Laojiao-Lager). Im autoritären Bildungsverständnis sollen "schlechte" Menschen durch erniedrigende Handlungen zu "besseren" gemacht werden. Arbeit als Erziehungsmaßnahme gegen (politische) Gegner forderte auch der FPÖ-Chef bei mehreren Veranstaltungen ein. Demonstranten rief Heinz-Christian Strache wiederholt sinngemäß zu: "Jetzt könnt ihr noch laut schreien, wenn wir an der Macht sind, werdet ihr arbeiten müssen."

Zu den Fakten: Natürlich gibt es an Schulen Gewalt, die zu verurteilen ist. Auch die WHO konstatiert Österreich seit vielen Jahren ein Problem mit gewalttätigen Schülern, insbesondere Bullying. Gleichzeitig stellt die WHO aber auch fest, dass Österreich viel zu wenig Unterstützungspersonal beschäftigt, in vielen Schulen sogar gar keines. In der OECD-Wertung "Education at a Glance" liegt Österreich beim Unterstützungspersonal sogar an letzter Stelle. Daher wäre es wesentlich zielführender, keine autoritären "Schutzmaßnahmen" zu fordern, sondern an der Beseitigung der wahren Probleme zu arbeiten.

Die Verantwortung der Medien

Worum geht es überhaupt? In Österreich gab es 2017/18 rund 1,13 Millionen Schüler. Laut der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage an Innenminister Herbert Kickl gab es 2017 an Österreichs Schulen 835 Anzeigen wegen (schwerer) Körperverletzung - im Schnitt waren also 0,07 Prozent der Schüler gewalttätig. Selbst im Ballungsraum Wien betrug dieser Wert 0,12 Prozent. Die Vorstellung einer massenhaft gewalttätigen Jugend an Österreichs Schulen ist also nicht haltbar.

Immer wieder zeichnen Medien ein Bild des Schreckens. So berichtete der "Stern" bereits 1993 von der Klassen-"Front": "Das hier ist brutaler Krieg. Sie bewaffnen sich mit Messern, Pistolen und Knüppeln, schlagen sich krankenhausreif, erpressen Schutzgelder - an vielen deutschen Schulen herrschen Angst und Schrecken." Dies zeigt, dass Gewalt an Schulen keine neue Entwicklung ist und Medien häufig zur Skandalisierung beitragen. So kamen Bethina Greszik, Frank Hering und Harald A. Euler 1995 zum Schluss, es handle sich bei der "Brutalisierung der Schülerschaft (. . .) um eine medienunterstützte moderne Wandersage". Wie Gewalt seriös erkannt und entgegnet werden könnte, gibt etwa die Bildungsdirektion des Kantons Zürich an: So kann unter anderem ein gefördertes gutes Schulklima zu einem deutlichen Rückgang von Gewalt führen.

Das völlig veraltete differenzierte System der Halbtagsschule ist hier nicht förderlich, weil einfach zu wenig Zeit ist. Gewalt setzt fast auch immer in der Familie an, auf die eine Schule keinen Zugriff hat. Daher sollte die Schule ein Ort des Wohlfühlens und gemeinsamen Arbeitens sein und nicht einer permanenten Prüfungssituation. Selbst dann könnte nicht alle Gewalt verhindert, aber sicher reduziert werden.

"Erziehungscamps" sind jedenfalls nicht geeignet, um Gewalt zu verhindern. Durch die zusätzliche Stigmatisierung der Schüler hätten sie eher den gegenteiligen Effekt. Wesentlich zielführender wäre es, sich des Themas Armut anzunehmen. Hiervon sind nicht 0,1 Prozent der Schüler betroffen, sondern zum Beispiel in österreichischen Alleinerzieher-Haushalten bis zu 57 Prozent. Diese jungen Menschen besuchen verstärkt die Neuen Mittelschulen (NMS) und werden häufiger, auch aufgrund völliger Perspektivenlosigkeit, gewalttätig. Gewalt an Schulen ist ein komplexes Phänomen, bei dem eine einfältige Ethnisierung wie seitens der FPÖ nicht nur wenig förderlich, sondern sogar schädlich für die Jugend dieses Landes ist.

Philipp Mittnik leitet das Zentrum für Politische Bildung an der Pädagogischen Hochschule Wien.