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Altpräsidenten im Unruhestand

Von Paul Mychalewicz

Gastkommentare

Was tun, wenn man als Staatsoberhaupt seine Amtszeit abgedient hat und nun gewissermaßen aufs Altenteil verwiesen ist? Der Befund fällt nach Land und Person durchaus unterschiedlich aus.


Ein verhaltensauffälliger US-Präsident motivierte unlängst seinen unmittelbaren Amtsvorgänger, mit einer langen Tradition zu brechen und sich an vorderster Front ins Schlachtengetümmel vor den Midterm Elections zu werfen. So viel zur aktuellsten "Verführung", der ein abgetretener Präsident (Barack Obama) durch seinen Nachfolger (Donald Trump) ausgesetzt war.

Von der Ermordung John F. Kennedys 1963 abgesehen, war Franklin D. Roosevelt 1945 der letzte US-Präsident, der im Amt starb. Damit war man in den USA regelmäßig mit der Frage konfrontiert, wie sich Präsidenten nach ihrer Amtszeit verhalten sollten. Die meist geübte Praxis war, sich Zurückhaltung aufzuerlegen und nur selten tagespolitische Kommentare abzugeben.

Kampf um ein besseres Bild in den Geschichtsbüchern

Freilich gab es unterschiedliche Nuancierungen und Abweichungen. Ihre Regierungszeiten mögen höchst unterschiedlich gewesen sein, gemeinsam war Lyndon B. Johnson und George W. Bush die Hinterlassung äußerst unpopulärer Kriege, nämlich jene in Vietnam beziehungsweise im Irak. Ein weitgehender Rückzug aus der Öffentlichkeit schien damit ratsam. Überdies litt Johnson unter seiner angegriffenen Gesundheit, was in anderer Form auch auf Ronald Reagan zutraf.

Manche US-Präsidenten kämpften nach ihrer Amtszeit um ein besseres Bild in den Geschichtsbüchern. Aus unterschiedlichen Gründen trifft dies auf Richard Nixon und Jimmy Carter zu. Nixon musste nach dem Watergate-Skandal zurücktreten, um einer Amtsenthebung zuvorzukommen. Seine - wesentlich von Henry Kissinger getragene - Außenpolitik einschließlich einer Öffnung gegenüber China wurde jedoch vielfach positiv gesehen. In gewissem Ausmaß ist ihm durch zahlreiche Reisen und Interviews sowie neun Bücher ein Umschwung in der öffentlichen Meinung gelungen. Gleichzeitig sanierte er sich damit auch finanziell. Carter wiederum scheiterte bei seiner Wiederkandidatur vor allem wegen der misslungenen Befreiungsaktion für US-Geiseln im Iran. Ein Erfolg seiner Amtszeit war aber wohl das Abkommen zwischen Ägypten und Israel. Auch nach seiner Amtszeit wirkte er bei verschiedenen Friedensabkommen mit und wurde so zum hochgeachteten Ex-Präsidenten.

Deutlich zurückgezogener lebte George Bush senior, er blieb aber humanitär tätig. Äußerst umtriebig agierte Bill Clinton, der seine zahlreichen Auftritte geradezu zu einem Geschäftsmodell gemacht hat. In seiner Unterstützung für die Präsidentschaftsambitionen seiner Ehefrau Hillary Clinton blieb er jedoch erfolglos. Ein Comeback aus der Politpension versuchte Kurzzeitpräsident Gerald Ford, der ernsthaft erwog, Vizepräsidentschaftkandidat an der Seite Reagans zu werden. Diese "Dream Ticket" genannte Konstellation scheiterte jedoch an Fords Forderung nach einer beinahe "Co-Presidency".

Französische Ex-Präsidenten auf einem ehrenvollen Podest

Den ersten Präsidenten der Fünften Republik in Frankreich (ab 1958) blieb - mit Ausnahme von Valéry Giscard d’Estaing - kaum Zeit nach ihrem Amt. Charles de Gaulle und François Mitterand starben im Jahr nach ihrem Amt. Georges Pompidou starb sogar in seiner Funktion.

Die anderen vier Präsidenten sind noch am Leben. Von einer Erfolgsstory kann wohl nur bei Giscard, der Mitterand bei seiner Wiederkandidatur unterlag, gesprochen werden. Er fühlte sich mit 55 Jahren zu jung zum Pensionisten und war noch als Regionalpräsident in der Auvergne, vor allem aber im EU-Parlament tätig. Dort war er nicht nur als Abgeordneter, sondern auch als Vorsitzender des Verfassungskonvents aktiv. Jacques Chirac hingegen wurde von seiner Zeit als Pariser Bürgermeister eingeholt und wegen finanzieller Verfehlungen bedingt verurteilt. Weitere Ungemach blieb ihm wohl im Hinblick auf seinen Gesundheitszustand erspart.

Die beiden jüngeren Ex-Präsidenten Nicolas Sarkozy und François Hollande scheiterten entweder an der Wiederwahl oder haben es mangels Chancen gar nicht mehr versucht. Sarkozy wird wohl noch einige Zeit mit der Justiz zu tun haben. Verfassungsrechtlich stehen ehemalige französische Präsidenten immer noch auf einem Podest. So gehören sie automatisch dem Staatsrat an. Diese Position ist zwar nicht sehr einflussreich, aber eine offizielle Ehre.

Zweite Amtszeit in Deutschland eher selten

Mit ungleich geringeren Rechten ausgestattet sind die deutschen Bundespräsidenten. Überdies werden sie nicht vom Volk gewählt, sondern von der Bundesversammlung. Daher hatten im Amt populär gewordene Staatsoberhäupter keine Chance auf Wiederwahl, wenn sich die Mehrheitsverhältnisse in diesem Gremium geändert hatten. Dies traf wohl auf Walter Scheel, aber auch auf Roman Herzog und Johannes Rau zu. Zwei Amtszeiten waren jedenfalls Richard von Weizsäcker (1984 bis 1994) gegönnt. Als Respektsperson erwies er sich sowohl im Amt als auch danach. Seine Stellungnahmen zur deutschen Kriegsvergangenheit, aber auch zu aktuellen Themen hatten Gewicht.

Kein Bundespräsident starb im Amt, sondern manche überlebten diese Zeit noch viele Jahre. Noch am Leben sind drei ehemalige Staatsoberhäupter, wovon zwei vorzeitig zurücktraten. Horst Köhler tat dies in seiner zweiten Funktionsperiode nach Kritik an seinen Äußerungen zum Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan. Nach einiger Zeit im Ruhestand übernahm Köhler Sonderaufgaben in der UNO und in humanitären Organisationen.

Ins Gerede kam das Amt in der Zeit Christian Wulffs. Er trat nach bereits eineinhalb Jahre zurück, da ihm Vorteilsannahme vorgeworfen wurde. In einem Prozess wurde er jedoch freigesprochen. In einer öffentlichen Debatte wurde er einerseits als Opfer einer Medienkampagne gesehen, andererseits wurde aber auch die Angemessenheit seines Verhaltens in Zweifel gezogen. Nunmehr ist er wieder als Rechtsanwalt tätig, öffentliche Aufgaben nimmt er nur vereinzelt wahr. Als Kandidat über die Parteigrenzen hinweg folgte ihm Joachim Gauck, der auch versöhnend zwischen Ost- und Westdeutschland wirken sollte. Nach seiner Amtszeit übernahm er Gastprofessuren.

Heinz Fischer, Österreichs einziger aktiver Ex-Präsident

In Österreich stellte sich bis 1986 nicht die Frage nach dem Verhalten von Altbundespräsidenten. Rudolf Kirchschläger war der erste Funktionsträger, der nicht im Amt starb, er verbrachte aber die Zeit danach weitgehend zurückgezogen. Sein Nachfolger Kurt Waldheim legte sich schon wegen der Diskussion um seine Kriegsvergangenheit Zurückhaltung auf. Er versuchte lediglich, klarere Worte zu den Vorgängen zu finden. Von Thomas Klestil hätte man möglicherweise mehr öffentliche Auftritte erwartet, doch er starb zwei Tage vor dem Ende seiner zweiten Amtszeit.

Altbundespräsident Heinz Fischer fand eine ungewöhnliche Situation vor. Durch die vom Verfassungsgerichtshof angeordnete Wahlwiederholung gab es sechs Monate lang keinen Nachfolger. Wohlweislich reduzierten die vertretungsweise agierenden drei Nationalratspräsidenten ihre Amtstätigkeit auf ein Minimum. Damit wurde der gerade ausgeschiedene Bundespräsident zum häufig eingeladenen Ehrengast.

Auch das folgende Jahr bot für Fischer als Sonderbeauftragten der Bundesregierung für das Jubiläumsjahr 2018 einen vollen Kalender mit offiziellen Terminen. Körpersprachlich konnte man den Eindruck gewinnen, dass er diese Aufgaben sehr genoss. Es entstand damit fast der Eindruck einer heimlichen Verlängerung seiner Amtszeit um eineinhalb Jahre. Haben wir vielleicht ab diesem Jahr mit mehr Ruhestand für Fischer zu rechnen? Zu gönnen wäre es ihm.