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Wo bleibt der Pflege-Masterplan?

Von Alexandra Prinz

Gastkommentare

Die Regierung will demnächst einen Masterplan für die Pflege entwerfen. Dabei gibt es viel zu tun. Die Zahl der Pflegebedürftigen ist stark im Ansteigen begriffen. Allerorts wird jetzt schon der Mangel an qualifiziertem Pflegepersonal spürbar. Sowohl in Pflegeheimen als auch in der mobilen Pflege gibt es einen überproportional hohen Anteil an Arbeitsplätzen für Menschen mit Migrationshintergrund, ohne die bereits die aktuellen Pflege- und Betreuungsleistungen nicht erbracht werden könnten.

Dennoch ist es ein Faktum, dass in der Pflege generell einen Mangel an gut qualifiziertem einheimischen Personal herrscht, weil vor allem sprachliche, kulturelle und sozial-kommunikative Kompetenzen in der Betreuung von Demenzkranken besonders wichtig sind. Gutes Personal findet man nicht nur über eine zusätzliche Attraktivierung der Arbeitsbedingungen, sondern schlicht über bessere Bezahlung.

Die Kollektivverträge in der Pflege und Betreuung zählen langläufig nicht zu den am besten ausgehandelten, und Fachhochschulabgänger aus den Bachelor-Pflegestudienlehrgängen machen lieber eine Mechatroniklehre, weil man dort langfristig mehr verdient als in der Pflege mit Bachelor-Abschluss. Ebenso erhalten Polizeischüler in der Ausbildungszeit im zweiten Ausbildungsjahr (ohne Matura) so viel, wie der Kollektivvertrag der Sozialwirtschaft für ausgebildete FH-Abgänger des Studiums der Gesundheit- und Krankenpflege ausweist. Ein ausgelernter Polizist kommt laut Homepage der Polizei auf ein Grundgehalt von 3600 Euro brutto.

Davon ist die Pflege - vor allem in den mobilen Diensten - weit entfernt. Und vor allem in den mobilen Diensten fehlt das Personal. Also genau dort, wo gerade der Kollektivvertrag für Sozialwirtschaft verhandelt wird. Von dem die Arbeitgeber seit Jahren monieren, man könne nicht besser bezahlen, weil die öffentliche Hand kein Geld zur Verfügung stellt und Stunden- sowie Tagessätze in der Pflege und Betreuung zu niedrig sind.

Geringere Pensionen, aber mehr Pflegebedarf bei Frauen

Dieses Beispiel zeigt eindrücklich, wie wenig uns die Pflege von betroffenen Menschen wert ist. Für die Bezahlung der Pflege werden die Pension und das Pflegegeld herangezogen. Der Anteil der Pflegegeld beziehenden Frauen (217.683) war im Jahr 2017 fast doppelt so hoch wie jener der Männer (118.515). Hingegen sind die Durchschnittspensionen der Männer (1470 Euro) um 60 Prozent höher als jene der Frauen (912 Euro), zugleich leben Frauen im Durchschnitt vier Jahre länger als Männer.

Gesellschaftspolitisch und vor allem finanztechnisch sind Frauen noch lange nicht in allen Belangen gleichgestellt. Unabhängig von Karriereeinbußen durch Schwangerschaften, schlecht bezahlten Teilzeitjobs, Benachteiligungen bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, fehlenden Kinderbetreuungseinrichtungen und grundsätzlich schlechteren Karrierechancen haben Frauen auch 2019 noch lange nicht die volle Gleichberechtigung in der Gesellschaft erreicht.

In Bezug auf die Pflege erfahren Frauen bereits jetzt schon massive Benachteiligungen (der Sozialstaat muss mehr zuschießen, weil es im Erwerbsleben durch ungleiche Rahmenbedingungen nicht ausreichende Pensionen gibt), deren Folgen jedoch auch wieder auf die nächsten Generationen von Frauen abgewälzt werden. Deswegen trifft jeder Abbau von Sozialleistungen beziehungsweise Deregulierung (zum Beispiel Arbeitnehmerschutzrechte, 12-Stunden-Arbeitstage) Frauen in einem ungleich stärkeren Ausmaß als Männer. Durch die geringe Ausfinanzierung der Pflege können auch die überproportional in der Pflege tätigen Frauen nicht jene Gehälter erzielen, die einer wirklichen Gleichstellung würdig wären.

Hierbei geht es um Arbeitsbedingungen sowie Arbeitszeiten, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gewährleisten, wie auch um ein Einkommen, dass es einer alleinerziehenden Mutter in Teilzeitarbeit ermöglicht, würdig leben zu können, und darum, dass ihre Arbeitszeit in Form von Kindererziehung beziehungsweise auch von Pflege eines nahen Angehörigen voll auf die Eigenpension angerechnet wird.

35-prozentiger Wertverlust beim Pflegegeld in 25 Jahren

Das Pflegegeld wurde vor 25 Jahren eingeführt und seither fünfmal erhöht. In diesem Zeitraum erfuhr es einen 35-prozentigen Wertverlust, was sich wiederum auf die Finanzierung der Pflege auswirkt. Die Pflegegeldeinstufung wird bei einem Erstantrag auf Pflegegeld immer von Ärzten vollzogen, jedoch sind zunehmend auch diplomierte Fachkräfte darin tätig. Dabei werden vor Ort physische Fertigkeiten des jeweiligen Pflegegeldwerbers untersucht, die ausschlaggebend für den Erhalt der Basismaßnahmen wie Körperpflege, Grundreinigung, Haushalt sind. Für demente Menschen wird ein Erschwerniszuschlag erst ab der Pflegegeldstufe 4 fällig und auch nur dann, wenn es sich um eine aggressive Form der Demenz handelt.

Dass Angehörige oder Pflegekräfte auf Dauer physisch und psychisch extrem belastet sind, wird weder durch das Pflegegeld noch durch die in der Pflege geltenden Kollektivverträge adäquat abgebildet. Und von der schlechten Bezahlung der 24-Stunden-Betreuungskräfte, die letztlich wegen des eklatanten Einkommensunterschiedes zum Heimatland und fehlender öffentlicher (leistbarer) Pflegeplätze hier tätig sind, wird nicht gesprochen. Ohne sie würde das heimische Pflegesystem personell und finanziell völlig zusammenbrechen.

Die Folgen zeigen sich bereits in der Praxis, in der es jetzt schon zur Unterversorgung kommt. Viele ältere Menschen haben noch den Ethos, dem Staat nicht auf der Tasche liegen zu wollen, und suchen um das Pflegegeld erst gar nicht an. Doch irgendwann geht es dann doch nicht mehr, und ein hilfsbereiter Angehöriger füllt dann endlich den Pflegegeldantrag aus. Viel ist es oft ohnehin nicht - von 157 Euro Pflegegeld in der Stufe 1 kann man sich privat nicht viel an Betreuung leisten.

Mitarbeiter der Pensionsversicherungsanstalt, die zwecks Einstufung in Haushalte kommen, erzählen von schwierigen Situationen: Wohnungen, in denen seit Monaten nicht gelüftet wurde; oder 18 Grad Raumtemperatur, die der abgemagerte 90-Jährige und seine demente Frau, die keine Fremden in die Wohnung lässt, weshalb die Wäsche seit zwei Jahren nicht mehr gewaschen und kaum noch etwas eingekauft wurde, gar nicht bemerken. Auch Kinder sind oft keine Garantie für eine gute Versorgung im Alter.

Leidende Angehörige und unterbezahlte Pflegekräfte

Jene, die ihre Eltern selbst pflegen, leiden still. Zur physischen und psychischen Belastung der pflegenden Angehörigen kommt meist auch noch die finanzielle. Und dann ist da noch die Perspektive der Pflegekräfte, höchst begehrt, aber äußerst schlecht bezahlt. Der durchschnittliche Stundenlohn einer mobilen diplomierten Pflegekraft im aktuellen Kollektivvertrag der Sozialwirtschaft Österreich beträgt nach zehnjähriger Dienstzeit an die 11 Euro netto. Die Stundensätze der mobilen Dienste variieren zwischen 50 Euro (Wien) und 80 Euro (Steiermark). Die Verrechnung ist intransparent, Leistungen der medizinischen Hauskrankenpflege werden ausschließlich mit dem Sozialversicherungsträger direkt verrechnet; dem Normalbürger entzieht sich, was ein Verbandswechsel oder eine Infusionstherapie wirklich kostet, für Qualitätssicherung und Abklärungsgespräche gibt es keine eindeutig festgelegten Tarife.

Gesellschaftlich anerkannt ist, dass eine Arbeitsstunde eines Automechanikers 100 Euro oder mehr kostet. Es braucht eine gesellschaftspolitische Diskussion, warum für die Reparatur eines Fahrzeugs doppelt bis dreimal so viel ausgegeben wird wie für die Pflege von Menschen. Was bedeutet das für den Zusammenhalt einer Gesellschaft, die erst am Beginn der Herausforderung steht, die durch die demografische Entwicklung seit Jahren bekannt ist?

Nach den Gesetzen des freien Marktes müsste eine Verknappung des Angebots an Pflegekräften zu einer Wertsteigerung der Arbeitskraft führen. Dieser Markt wurde in den vergangenen Jahren verzerrt und kaputt gespart. Es war ein Trugschluss, dass das Problem durch den Import von Billigarbeitskräften lösbar wäre. Ökonomen wissen längst darüber Bescheid, was sich in wachsenden Renditen der Unternehmen im Bereich der Gesundheitsökonomie beziehungsweise des privatisierten Pflegesektors abzeichnet, die wiederum nur durch sinkende Einkommen und Qualitätseinbußen zu erzielen sind.

Die Gewerkschaften haben lange nicht verstanden, dass sich eine solche Situation perfekt für Lohnforderungen eignet. Den Pflegekräften wurde in den vergangenen Jahren jegliche politische Mitbestimmung genommen und zugleich auch ökonomisches Denken abgesprochen. Denn eine freiberufliche Verrechnung von Leistungen ist im Gesundheits- und Krankenpflegegesetz (GuKG) und im Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG) bis heute nicht vorgesehen, obwohl genau dies eine beträchtliche Entlastung der Ärzte und Ambulanzen bringen und den Pflegekräften jenes Einkommen sichern könnte, das ihnen zusteht. Nur mit einem Gesamtkonzept, das die Pflegekräfte wertschätzend miteinbezieht, sind die zukünftigen Herausforderungen langfristig zu meistern.

Gutes Personal findet man nicht nur über eine zusätzliche Attraktivierung
der Arbeitsbedingungen, sondern schlicht über bessere Bezahlung.

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