Zum Hauptinhalt springen

Nicht fahrlässig, vorsätzlich!

Von Reinhard Seiß

Gastkommentare

Nicht nur der Klimawandel, auch Österreichs Klimapolitik ist eine Katastrophe. Die beharrliche Untätigkeit der Regierenden ist schlichtweg ein Verbrechen an unseren Kindern und Kindeskindern.


Am Rande der jüngsten UN-Klimakonferenz in Kattowitz konstatierte Österreichs renommierteste Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb, dass die Mehrheit der Bevölkerung mittlerweile zu einschneidenden Reformen zur Eindämmung der Klimakatastrophe bereit wäre, die Politik sie aber trotzdem nicht ergreife.

Mit "die Politik" meint die Wissenschafterin die "große Politik", auf deren Sachlichkeit, Weitsicht und Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und ihrer Zukunft die Österreicher schon geraume Zeit nicht mehr zu hoffen brauchen.

Denn während auf der untersten politischen Ebene, in vorwiegend kleineren Kommunen, immer mehr Volksvertreter die Zeichen der Zeit spät aber doch erkannt haben und ihre eingeschränkten Möglichkeiten für eine nachhaltigere Entwicklung zu nutzen beginnen, drehen sich die jeweiligen Bundes- und Landesregierungen seit den 90er Jahren im Kreis. Nicht nur beim Klimaschutz, genauso bei überfälligen Reformen des Gesundheits-, Bildungs- oder Pensionssystems.

Und wenn jemand im österreichischen Politzirkus einmal wohltuend aus der Reihe tanzt, wie Salzburgs grüne Umwelt- und Raumordnungslandesrätin Astrid Rössler, wird er oder sie von Kollegen, Medien und folglich auch von Wählern dafür abgestraft.

Sicherer scheint es, sich auf haltlose Absichtserklärung zu beschränken, wie die im Vorjahr präsentierte Klima- und Energiestrategie der schwarz-blauen Bundesregierung. ÖVP-Nachhaltigkeitsministerin Elisabeth Köstinger gab vor, ohne Verbote, dafür aber mit positiven Anreizen jenen Turnaround schaffen zu wollen, an dem Österreich seit zwei Jahrzehnten scheitert. Konkret bietet das Papier wenige klare Ziele und Fristen, kaum verbindliche Zahlen, offen gebliebene Zuständigkeiten und eine Menge schwammig wirkender Maßnahmen.

Dabei hat sich die Republik mit der Verabschiedung des Kyoto-Protokolls 1997 rechtlich dazu verpflichtet, die Treibhausgase zu reduzieren. Nach kleineren Erfolgen ab 2005 nimmt deren Ausstoß seit 2014 aber wieder zu anstatt ab.

Während im Gebäudesektor, in Energiewirtschaft und Industrie, in der Landwirtschaft wie auch in der Abfallwirtschaft zumindest in geringem Ausmaß CO2 eingespart werden konnte, steigen die Emissionen im Verkehr Jahr für Jahr. Dass Österreich damit nicht im internationalen Durchschnitt liegt, sondern zu den expliziten Klimasündern zählt, verdeutlichen die Zahlen des Umweltbundesamts: Die heutigen 28 Staaten der EU verzeichneten von 1990 bis 2015 eine Zunahme der Treibhausgase um 20 Prozent, Österreich hingegen ein Anwachsen um 28 Prozent. Ebenfalls 20 Prozent trägt im EU-Schnitt der Verkehr zum Gesamtausstoß bei - in Österreich sind es 60 Prozent.

Mehr als bezeichnend für die klimapolitische Verantwortungslosigkeit war es, dass der freiheitliche Verkehrsminister Norbert Hofer quasi als erste Amtshandlung den Bau einer Waldviertel-Autobahn ankündigte. Das, obwohl Österreich über eines der dichtesten Autobahn- und Schnellstraßennetze der Welt sowie einen der höchsten Motorisierungsgrade Europas verfügt, deutlich vor der vermeintlichen Autofahrernation Deutschland. Im Waldviertel wurden erst vor wenigen Jahren Schienenstrecken stillgelegt und Bahnverbindungen ausgedünnt - Bürgerinitiativen für eine Autobahn gab es keine, dafür welche für einen bessern öffentlichen Verkehr.

Der Maßstabssprung am Land

Mit ihrer vorgestrigen Mobilitätspolitik steht die FPÖ aber bei weitem nicht alleine da. Auch vor dem Regierungswechsel ließ der Bund gegen jede klimapolitische Vernunft Autobahnen und Schnellstraßen bauen. Auf Länderebene wirken alle etablierten Parteien mit am Torpedieren der eigenen verkehrs- und umweltpolitischen Sonntagsreden.

Im schwarzen Oberösterreich kämpfte die Landesregierung gegen den Bürgerwillen jahrzehntelang dafür, in Linz im Geiste der 60er Jahre eine Stadtautobahn zu bauen, mit deren Errichtung im Vorjahr "endlich" begonnen werden konnte. Das schwarze Niederösterreich schlug für die erste privat finanzierte Autobahn Österreichs, die weitgehend unausgelastete Weinviertel-Autobahn, eine Schneise durch die Landschaft sowie - laut Rechnungshof - ein Loch ins Staatsbudget. Das rot-grüne Wien hält eisern an seinem Schnellstraßenring, unter anderem quer durch den Nationalpark Donau-Auen, fest, was mehr Auto-Pendler in die Hauptstadt lockt, den Speckgürtel weiterwachsen lässt und das streng geschützte Feuchtgebiet der Lobau gefährdet.

Hand in Hand mit der zunehmenden Autogerechtigkeit unseres Landes geht dessen Zersiedlung einher: Wenn man dank der ständig ausgeweiteten Infrastruktur bequem überall hinkommt, ist es logisch, dass Einfamilienhäuser, Gewerbegebiete und Abholmärkte dort entstehen, wo die Aussicht am schönsten, das Betriebsbauland am günstigsten und die Erreichbarkeit durch (motorisierte) Kunden am besten ist. Dadurch wachsen die Distanzen zwischen Wohnsiedlungen, Arbeitsstätten und Handelseinrichtungen mehr und mehr, und ihre Verbindung wird immer stärker vom Auto abhängig.

Gewachsen sind die alltäglichen Distanzen auch infolge eines Dimensionssprungs innerhalb der Siedlungsräume. Seit Beginn der Massen-Motorisierung hat eine Maßstäblichkeit Platz gegriffen, die nicht mehr am Fußgänger, sondern am Autofahrer orientiert ist.

In den Städten beschränkt sich die traditionelle, kleinteilig funktionsdurchmischte Bebauung inzwischen auf die historischen Quartiere. Heutige Gebäude haben oft die Dimension ganzer Baublöcke und lassen den Straßenraum veröden, anstatt ihn zu beleben. Dies wird dadurch verstärkt, dass etliche Häuser mittlerweile mehrheitlich über die Tiefgarage und kaum noch vom öffentlichen Raum aus betreten werden. Wer will durch derartige Viertel zu Fuß gehen? Das klassische Stadthaus mit Läden, Dienstleistern oder Gaststätten im Erdgeschoß, mit Arztpraxen und Büros im Obergeschoß sowie Wohnungen darüber wird so gut wie nicht mehr gebaut. Ganze Stadtteile dienen nur noch einer einzigen Funktion: In der Wohnanlage wird gewohnt, im Büroviertel oder im Gewerbegebiet ausschließlich gearbeitet, im Einkaufs- oder Fachmarktzentrum wird gehandelt und im Schul- oder Universitätscampus gelernt. So zerfallen unsere Städte in weitgehend leblose Teilbereiche, die nur vom Auto zusammengehalten werden.

Im ländlichen Raum hat die Automobilisierung in den vergangenen fünf, sechs Jahrzehnten für einen Maßstabssprung gesorgt. Waren bis in die 50er Jahre auch in Dörfern noch geschlossene Bebauungsformen mit gemischter Nutzung üblich, so breiteten sich spätestens ab den 70er Jahren freistehende Einfamilienhäuser auf bis zu 2000 Quadratmeter großen Parzellen aus. Diese Vervielfachung der Grundstücksfläche schlug sich in einer Vervielfachung der Wegelängen nieder und leistete dem Zweitauto Vorschub.

Gesellschaftliche Sünde Auto

Der Teufelskreis von Siedlungsentwicklung und Verkehr hält sich zum einen von selbst am Laufen. So laden etwa die großzügig bemessenen Garagen- oder Parkplätze, die in den Bauordnungen für jeden Wohnbau, jeden Supermarkt, für jedes Bürogebäude und jede Sportstätte vorgeschrieben sind, geradezu zum Autofahren ein. Nachweislich pendeln zahlreiche Niederösterreicher nach Wien mit dem Auto statt mit der Bahn, weil sie am Arbeitsplatz einen kostenlosen Stellplatz haben, den ihre Arbeitgeber errichten mussten - egal, ob der Gewerbebetrieb neben einer Schnellbahnstation, der Büroturm neben der U-Bahn steht. Auch die Attraktivität des Einkaufs mit dem Kofferraum basiert maßgeblich auf dem Überangebot von rund 2,8 Millionen Stellplätzen, die zwischen Neusiedler- und Bodensee allein bei Handelseinrichtungen parkgebührenfrei auf rund vier Millionen Autos warten.

Laut Verkehrsclub Österreich sind die für Einfamilienhäuser vorgeschriebenen Garagenplätze - in der Regel zwei, in manchen Gemeinden auch drei - selten einmal ausgelastet. Statistisch gesehen kommen auf einen Haushalt in Klagenfurt 1,2 Pkw, in St. Johann im Pongau knapp 1,3 und im peripher gelegenen Feldbach in der Südoststeiermark rund 1,7 Pkw.

Die Bauordnungen in all diesen Bereichen der Realität anzupassen oder - noch besser - sie nach klimapolitischen Zielsetzungen zu reformieren, wäre eines von vielen Geboten der Stunde. Zum anderen wird besagter Teufelskreis von diversen Steuern, Abgaben und Förderungen sowie einer mangelnden Kostenwahrheit angeheizt.

Österreichs Autofahrer decken bei weitem nicht alle gesellschaftlichen Kosten, die sie verursachen. Zwar refinanzieren Mineralöl- und Kfz-Steuer sowie die Autobahnmaut mehr oder weniger die Errichtungs- und Erhaltungskosten des Straßennetzes, nicht jedoch die enormen Unfall-, Gesundheits- und Umweltweltfolgekosten des Autoverkehrs oder die Wertminderung von Immobilien entlang stark befahrener Straßen.

Österreichs letzte Chance

Diese Effekte werden von den Betroffenen oder von der Gesellschaft getragen. Auch die Parkgebühren im öffentlichen Straßenraum entsprechen nicht annähernd dem Wert des in Anspruch genommenen Bodens, bedenkt man, was in der Innenstadt zehn Quadratmeter Bauland und gleich daneben eine zehn Quadratmeter große Parklücke kosten. Die Pendlerpauschale und die Steuerbegünstigung von Firmenwagen bedeuten weitere Kostenverzerrungen im Verkehr, die kaum mehr sozialen Ausgleich schaffen, sondern überwiegend Vergünstigungen für den Mittelstand darstellen - zu Lasten der Attraktivität umweltfreundlicher Mobilitätsformen. Nicht zuletzt steht selbst die Wohnbauförderung einer nachhaltigen Entwicklung im Wege, so lange sie das Häuschen im Grünen mit Doppelgarage, abseits der Zentren und des öffentlichen Verkehrs, subventioniert.

All das ist auch der "großen Politik" längst bekannt - und wurde ihr erst von heimischen Wissenschaftern und dem World Wide Fund For Nature in Erinnerung gerufen, die eine Vielzahl umweltkontraproduktiver Steuern und Subventionen auflisteten. Im Zuge der von der Regierung geplanten Steuerreform müsse "das gesamte Steuer- und Abgabensystem auf Klimaschutz und Energieeffizienz optimiert werden", so die Experten in ihrem offenen Brief, in dem sie in wohltuender Unverblümtheit vor "rein kosmetischen Maßnahmen" warnten. Vermutlich ist das die einzige Chance, wie Österreich klimapolitische Schadensbegrenzung schaffen kann: Nämlich sich aus allen gesellschaftlichen Lagern vehement zu Wort zu melden und keine weiteren Ablenkungsmanöver mehr hinzunehmen, bis die Regierenden aus reinem Populismus auf die berechtigten Ängste der Bürger reagieren.