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Wer kontrolliert die Kleriker?

Von Clemens M. Hutter

Gastkommentare

Papst Franziskus verspricht "Null-Toleranz" gegenüber sexuellem Missbrauch in der Kirche.


Papst Franziskus setzte schon am vorigen Wochenende den leider kaum beachteten Auftakt zur großen Konferenz über sexuellen Missbrauch in der Kirche. Er entließ den früheren Washingtoner Erzbischof Theodore McCarrick wegen nachgewiesenen sexuellen Missbrauchs in den 1970er und 1980er Jahren aus dem Klerikerstand. Das ist im Kirchenrecht die Höchststrafe für Kleriker. McCarrick hatte bereits im Vorjahr seinen Rang als Kardinal verloren. Franziskus löste damit sein Versprechen ein, "Null-Toleranz" in Missbrauchskandalen zu üben.

"Wir brauchen einen Reformschritt in Richtung Gewaltenteilung. Dass es Autorität und Leitung braucht, ist klar, aber wer kontrolliert die Autorität, die Art, wie der Bischof oder Pfarrer sein Amt führt?" Stichelt so ein Hetzer oder Ketzer? Nein, das sagte eben erst der Wiener Kardinal Christoph Schönborn. Er bezog sich auf jene Kleriker, die Jugendliche sexuell missbraucht haben, und griff damit ein Strukturproblem der Kirche auf. Sie kennt nicht demokratische Gewaltenteilung in Gesetzgebung, Exekutive und Justiz. Dieses System teilt Macht auf und macht sie wechselseitig wirksam kontrollierbar. Deshalb kann Demokratie auch so "mühsam" sein, weil keine Macht alles bestimmen darf.

Die Kirche ist nicht demokratisch organisiert, weshalb alle Macht in der Hand des Papstes liegt und seine Entscheidungen widerspruchslos gelten. Zum Unterschied von totalitären Systemen herrscht in der Kirche aber Meinungsfreiheit in Fragen der Organisation, nicht aber in Grundsätzen des Glaubens. Deshalb übt der Papst seine Macht auch sanft aus.

Clemens M. Hutter war Chef des Auslandsressorts bei den "Salzburger Nachrichten".

Beschädigtes Ansehen der katholischen Kirche

Der Münchner Kardinal Reinhard Marx griff dieses Thema kritisch auf: "Die kirchlichen Strukturen, aber auch der Zölibat und der Umgang mit Sexualität, begünstigten den (sexuellen) Missbrauch klerikaler Macht. Ich schäme mich für die Verbrechen, die Menschen durch Amtspersonen der Kirche angetan wurden."

Die Deutsche Bischofskonferenz legte im vergangenen September eine Studie über "sexuellen Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester" vor - seit 1946 wurden 3677 Fälle bekannt. Und die katholische Kirche in Österreich registrierte seit 1946 rund 2000 Fälle. Offenkundig drangen längst nicht alle diese Fälle an die Öffentlichkeit, sie wurden verschwiegen und die Täter einfach auf andere Posten versetzt. Darauf spielte Kardinal Schönborn an: "Leute in unseren Reihen sagen, Schmutzwäsche wäscht man doch nicht öffentlich, das muss intern geklärt werden. Nein! Es muss auch öffentlich geklärt werden, vor allem, wenn es strafrechtlich relevant ist." Das ist ungleich milder als das Urteil Jesu im Evangelium: "Wer eines von diesen Kleinen, die an mich glauben, zum Bösen verführt, für den wäre es besser, wenn er mit einem Mühlstein um den Hals im Meer versenkt würde." Der offensichtliche Widerspruch zwischen moralischen Normen und der Praxis, Sexskandale zu vertuschen, hat das Ansehen der katholischen Kirche beschädigt. So schrumpfte der Anteil der Katholiken in Österreichs Bevölkerung seit 1945 von 89 auf 58 Prozent, und wegen Priestermangels werden Pfarren zusammengelegt.

Prominente deutsche Theologen verlangen von der Kirche, den "Reformstau" aufzulösen, dies sei ein Anliegen gerade der jungen Generation. Kardinal Marx fasste diese Entwicklung und den Istzustand pointiert zusammen: "Worte der Betroffenheit reichen nicht aus, wir müssen handeln." Gleichwohl sind von der Missbrauchskonferenz im Vatikan keine Wunder zu erwarten. Es genügt aber, wenn Missbrauch und Täter nicht mehr vertuscht werden und die Kirche ihr Ansehen durch "Null-Toleranz" gegenüber jenen aufbessert, die hohe Moral predigen und sich privat ganz heimlich an Jugendlichen vergreifen.