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Österreichisches "Eh schon wissen" versus zugewandertes "Please repeat"

Von Ernst Smole

Gastkommentare

Seit der Mitte der Nullerjahre entern Busse, vollbesetzt mit lernbegierigen jungen chinesischen und österreichischen Musikern, das steirische Mürztal, um sich hier durch renommierte Dozenten kundig in klassischer Musik zu machen. Gearbeitet wird an Werken von Haydn, Mozart, Beethoven und Brahms - auch die beiden letztgenannten Tonschöpfer gelten, wiewohl weit nördlicher beheimatet, nahezu weltweit als Österreicher. Tatsächlich waren sie Zugewanderte.

Nach einigen Tagen Kursbetrieb erscheinen die Eltern der Jungmusiker, um den Unterricht und die Orchesterproben für das Schlusskonzert im Wiener Musikverein mitzuerleben. Beim Unterricht - in Form von Einzelunterricht, aber in Anwesenheit aller jungen Künstler, die auf diese Weise mit- und voneinander lernen - erscheinen die chinesischen Eltern lückenlos mit Notizbuch, Schreibgeräten oder mit Laptops bewaffnet.

Die österreichischen Eltern vertreiben sich die Zeit mehrheitlich in Wald, Flur und Kaffeehäusern, schauen meist nur kurz bei der Kursarbeit vorbei. Die freundliche Einladung, den Unterricht mitzuverfolgen, um den Kindern beim Üben zuhause "Erinnerungshilfen" bieten zu können, wird mit einem flapsigen "Eh schon wissen" quittiert - die elterliche Lernbereitschaft ist nahe bei null! "Gar nichts wissen" würde viel eher zutreffen, denn das, was die Dozenten bieten, ist gleichermaßen für die chinesischen als auch für die österreichischen Jungsmusiker neu.

Ganz anders die chinesischen Eltern: Die Kugelschreiber tanzen, die Laptops glühen, und die häufigste an die Lehrenden gerichtete Bitte lautet: "What did you say? Please repeat!" - maximale Offenheit für Neues, hochaktives Interesse.

Szenenwechsel. Ein Amtshaus in Wien. Anfang März 2019. Im kleinen Kreis Präsentation des Konzeptes eines "BILDUNGS:PLANES FÜR ÖSTERREICH - Behebung der manifesten Grundrechnungsschwächen der heimischen Maturanten", der 40-prozentigen Analphabetenquote der Pflichtschulabsolventen, des größtenteils schulgemachten Fachkräftemangels, des schockierenden Ausmaßes von Schüler- und Lehrer-Burn-out, Redimensionierung des für 66 Millionen Einwohner ausgelegten, geradezu "ver-rückten" Schulverwaltungsföderalismus, der jede echte, in den Schülerherzen- und Hirnen ankommende Reform im Keim erstickt.

Am Tisch zwei weiße Österreicher und zwei im Kindesalter aus Schwarzafrika zugewanderte österreichische Staatsbürger, die in der Wiener Kommunalpolitik und in NGOs tätig sind. Bei Letzteren keine Spur von "echt österreichischem", resignierend-gelangweiltem "Eh schon wissen, schaumamol, sowieso schon seit Jahrzehnten bekannt, hamma eh schon alles versucht, geht aber nix, Schräubchendrehen tumma eh laufend, hilft aber nix", sondern geballtes Interesse, Zuwendung und ein Maß an Konzentration und Teilnahme, das auch jetzt, mehrere Stunden nach der Konferenz, geradezu körperlich nachwirkt.

Mittlerweile gibt es deutliche Zeichen der Bundesregierung in Richtung echter Bildungsreformen - Stärkung der Lehrpersonen, "Entstörung" des jede sinnvolle Innovation verhindernden Schulverwaltungsföderalismus. "Für eine Umsetzung dieser Reformen müsste der allgemeine Leidensdruck noch etwas steigen", bemerkte jüngst höchst zutreffend ein Dialogpartner aus der Regierungsriege. Ja - oder wir nehmen unsere aus Schwarzafrika oder aus anderen Weltgegenden stammenden Bürger - ausdrücklich ohne das verräterische "Mit(bürger)" - als Vorbild für Interesse, Anteilnahme und Menschenzugewandtheit.

Dann wird es am ausgewiesenen Krisenschauplatz "österreichische Schule" echte Fortschritte durch optimierten Nutzen für die Schüler geben und keine zusätzlichen, bemitleidenswerten Opfer durch weiter steigenden schulbezogenen Leidensdruck. Entsorgen wir daher das pessimistische und öde österreichische "Eh schon wissen" zugunsten des optimistischen, zugewanderten "Please, repeat".

Warum andere Weltgegenden zulegen und Europa zurückzufallen droht.

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