Zum Hauptinhalt springen

Ein zusätzlicher Kontinent

Von Kurt Ruppi

Gastkommentare

Bei Klima- und Energiepolitik geht es um nicht weniger als um die Zukunft der menschlichen Zivilisation.


Ein herkömmliches Treibhaus hat das Ziel, wachstumsfördernde Bedingungen zu erzeugen und Unwetter abzuhalten. Es braucht Licht und Wärme, es ist daher in aller Regel ein Glashaus und wird geheizt; die Hülle soll möglichst gut wärmegedämmt sein und die Heizung wird kontrolliert und optimiert.

Unser Planet war bereits vor der Existenz lebender Organismen ein Treibhaus (vermutlich ist das immer eine Vorbedingung für das Entstehen von Leben). Vor zehntausend Jahren noch war das Klima in einer natürlichen Balance, nur Sonnenlicht und ein Rest der Eigenwärme unseres Planeten hielten die Oberfläche der Erde im Temperaturbereich um 0° Celsius. Grob lebensfeindliche Bedingungen gab es nur bei massiven Vulkanausbrüchen oder dem Einschlag eines Asteroiden, und auch dann nur eine Zeit lang, bis die spärlichen Reste des irdischen Lebens den Strom der Arten wieder angepasst hatten und in eine neue Richtung lenkten.

Und heute sind wir Menschen das Leitfossil für das "Anthropozän", wenn es einmal jemanden geben sollte, der auf unsere Epoche zurückblickt. Wir haben erstmals die Finger drin, im Treibhaus Erde, seit zwei- oder dreihundert Jahren massiv, und wir ändern die Regelgrößen. Wir erhöhen die Heizleistung, und wir stärken die Wärmedämmung der Außenhaut:

Zusätzlich zu den natürlichen Kräften (Sonnenenergie und Erdwärme) haben wir das Feuer als nützlich entdeckt, wir verwenden fossile Energieträger (Öl, Gas und Kohle) und Atomkraft, wir haben Wasserkraft und Gezeiten zur Stromerzeugung eingespannt (Gravitation), und wir beginnen auch die Sonne direkt zu nutzen (Solarzellen, Wind und Warmwasser); und seit einigen Jahrzehnten wissen wir, dass wir damit unser Treibhaus aus der Balance bringen. Denn egal, was wir mit der gewonnenen Energie tun: Ob Stahlkochen, Häuser und Suppen wärmen, Motoren antreiben - jede Energieform wird zuletzt zu Wärme; direkt oder indirekt, sofort oder später, langsam und unmerklich, oder blitzartig - und sie heizt unser Klima auf. So funktioniert Entropie im Alltag, wenn ich nicht irre.

Gleichzeitig und zwangsläufig erzeugen wir damit CO2, weil unsere Energieerzeugung weltweit in der Hauptsache auf Verbrennungsvorgängen basiert; heiße Gase steigen nach oben, kühlen dabei ab, und nach einigen Kilometern werden sie so langsam, dass sie durch ständigen Nachschub und mit anderen Treibhausgasen zusammen eine weniger durchlässige Sperrschicht bilden, welche die Wärme zurückhält und nicht mehr so schnell in den Weltraum entweichen lässt, wie das natürliche Treibhaus zuvor.

Das ist der Prozess, den wir verursachen, und der immer noch von vielen bestritten wird: Wir drehen an beiden Schrauben gleichzeitig, wir erhöhen die Temperatur der Atmosphäre durch bessere Wärmedämmung und mehr Heizleistung. Würde noch Methan freigesetzt, weil der Permafrostboden auftaut, dann wäre einer der gefürchteten Kipppunkte erreicht, der diesen Prozess noch beschleunigen würde.

Die absehbare Entwicklung

Zunächst wird sich in den nächsten drei Jahrzehnten die Bevölkerungszahl der Erde vermutlich um etwa ein Drittel kontinuierlich erhöhen - und die werden konsumieren müssen, und sie werden auch reisen, telefonieren, googeln wollen, so wie wir. Das allein entspricht schon einem zusätzlichen Kontinent auf unserem Planeten und dementsprechend größeren Energieverbrauch, und es ist mit Sicherheit unvermeidlich. Noch dazu wird das Durchschnittsalter zunächst deutlich sinken, und die Jugend hat den Fokus mehr auf dem Bildschirm als alte Leute . . .

Weiters stecken wir schon seit Jahren in einer Phase schnellen Wachstums von Big Data und Internet, und in den vergangenen Tagen und Wochen waren die Medien voll mit Digitalisierung, Wettbewerb, Innovation und ähnlichen Themen. In diesem Zusammenhang möchte ich auf einen Vortrag von Harald Lesch hinweisen (https://bistum.tv/videos/542-dioezesanempfang-2019-vortrag-von-prof-dr-harald-lesch), der ein Risiko der Digitalisierung zeigte, welches (auch nach meiner Meinung) vernachlässigt wird. Harald Lesch ist Kosmologe und Philosoph, er ist durch seine Fernsehreihen hinreichend bekannt; und er hat berichtet, dass das Internet zurzeit durch 3,9 Milliarden Menschen weltweit genutzt wird. Würde man das Netz als ein eigenes Land betrachten, wäre es etwa so groß wie China und Indien zusammen, und es hat heute schon einen Stromverbrauch, der an dritter Stelle der Welt nach China oder den USA liegt (nach anderen Schätzungen an sechster Stelle - immerhin).

Und wenn man dann noch berücksichtigt, was wir alles machen wollen, wenn wir global digitalisiert sind:

Künstliche Intelligenz (KI) und Big Data für weitere Automatisierung der Produktion, Warenströme just in time, computerbestellt;

Roboter für Pflege, Operationen, Diagnoseautomaten und riesige Datenbanken für die Medizin;

Vereinfachungen in vielen Lebensbereichen wie Einkauf, Verkehr mit Behörden und auf der Straße . . .

"Time machine" für die Historiker, "map of life" für die Biologen, Big Data für die Astronomie und und und . . .

Und was wir alles nicht wollen, aber aushalten werden müssen:

die Geschäftsmodelle und die Werbung der Konzerne wie Google, Amazon und Konsorten;

Straßen, Autos, Wohnungen voller Spione;

Überwachung, Erziehung, Information im Sinne von Regierungen und Behörden . . .

Risiko dieser Entwicklung

Euphorie, Phantasie und Optimismus scheinen zurzeit grenzenlos. Aber: Internet und Cloud sind keine nebelhaften Wolken, sondern zuallererst Hardware, die erzeugt werden muss - riesige Speicherhallen, viele Milliarden von Kleingeräten, Millionen von Kabelkilometern, Raketen und Satelliten und Relaisstationen . . . Die Erzeugung kostet Energie, der Betrieb und die Entsorgung auch; niemand wird abschätzen können, wie viel zusätzliche Energie nötig sein wird - sicher ist nur, auch aus dieser Energie wird Wärme.

Ich denke, dass wir einen Wettlauf erleben werden zwischen weiterer Aufheizung des Klimas und der Errichtung einer weltweiten Mischform, eines Bio-Technotops von Maschinen, Daten und deren lebenden Anwendern. Das macht uns Menschen zwar nicht zu einer Spezies von Cyborgs, aber die menschliche Gesellschaft, das Leben auf dem Planeten Erde schon. Die Evolution hat nichts im Sinn, die tut nur alles, was möglich ist - absichtslos; aber im Sinne des Homo sapiens (wenn der nicht gerade zum Homo stupidus verkommt) - und erst recht im Sinne des Schöpfers kann eine solche Entwicklung wohl nicht sein.

Aber ich vermute doch, dass der Kampf gegen den Klimawandel in diesem Wettlauf zweiter Sieger sein wird, wenn nicht schneller und entschlossener von den Regierungen der Welt gehandelt wird. Ich vermute auch, dass wir jedenfalls dabei sind, dem Planeten Erde noch einen zusätzlichen weiteren Kontinent in der Größe Asiens aufzuladen: Einerseits durch das Bevölkerungswachstum und andererseits auf Grund zusätzliche Energie- und Wärmeproduktion durch unser Verhalten; zusammen mit unserem derzeitigen "Ökologischen Fußabdruck", der schon um fünfzig Prozent zu groß für die Erde ist, kämen wir dann locker auf einen Bedarf von drei Planeten. Das wäre dann kein "Fußabdruck" mehr, das wäre ein echter Fußtritt für die Erde.

Der Worst Case

Auch Stephen Hawking hat ähnliche Schlüsse gezogen. Er hat sogar verlangt, die Raumfahrt so rasch weiterzuentwickeln, dass wir spätestens nach hundert Jahren die Erde verlassen könnten - sie würde dann nicht mehr in der Lage sein, organischem Leben brauchbare Bedingungen zu bieten.

"Fridays for future" - das ist ein wachsender Teil unserer Jugend, der mit dem sogenannten "Kampf" gegen den Klimawandel, den unserer Regierungen veranstalten, völlig unzufrieden ist. Sie wollen wirkliche Anstrengungen fordern, sie wollen machtvolle Demonstrationen organisieren, denn es geht um ihre Zukunft, um die Bedingungen, unter denen sie leben werden müssen. So wie die Bürger Ostdeutschlands 1989 wollen sie einmal in der Woche die Straßen füllen, in vielen Ländern der Welt, in Wien jeden Freitag und am 15. März mit einer Großdemo. Ich wünsche ihnen viel Erfolg, denn ich bin auch nicht mit unerfüllten Versprechungen zufrieden (CO2- Reduktion zum Beispiel, Kohle, Plastik . . .); nach meiner Meinung geht es um nichts weniger als um die Zukunft der menschlichen Zivilisation, und dies haben noch nicht viele Menschen wirklich verstanden - ja nicht einmal versucht, es zu verstehen.