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Gelassenheit statt neuer Verbotsgesetze

Von Christian Ortner

Gastkommentare

Warum sich die Demokratien ihren Gegnern mit Argumenten und nicht mit simplen Verboten stellen sollte.


Bruno Kreisky hatte, im Kontext seiner Zeit, nicht unrecht, als er in seinen Memoiren 1986 beklagte, die Parole von der "Diktatur des Proletariats" hafte der SPÖ "wie ein Brandmal an", das vom politischen Gegner stets mit Erfolg gegen die Partei verwendet werden könne.

Zwar hat die SPÖ die Errichtung einer derartigen Diktatur nie programmatisch zu einem Ziel erklärt; trotzdem flirteten einzelne Proponenten in der Partei seit jeher mit dem Begriff. Und so waren etwa bei Mai-Kundgebungen der SPÖ bis in die 1980er immer wieder die Parole "Demokratie, das ist nicht viel - Sozialismus ist das Ziel" oder das Lied "Wir woll’n die volle Diktatur des Proletariats" zu hören. Österreichs Demokratie hat es bekanntlich ganz gut ausgehalten und die SPÖ, der dergleichen Radikalität letztlich wesensfremd war und ist, bekanntlich auch. So what also.

Die kleine historische Reminiszenz ist jedoch insofern ganz aufschlussreich, als die SPÖ neuerdings "antidemokratische Bewegungen" europaweit untersagen will. So unterstützte Sabine Schatz, "SPÖ-Sprecherin für Gedenkkultur", via APA-Aussendung eine "Forderung nach europaweitem Verbotsgesetz gegen ‚antidemokratische Bewegungen‘", wie es in der Titelzeile hieß.

Man muss kein erklärter Gegner der Demokratie sein, um ein allfälliges grundsätzliches Verbot antidemokratischer Bewegungen problematisch zu finden. Denn warum soll jemand, der die schrullige Auffassung vertritt, dass etwa die "Diktatur des Proletariats" oder zum Beispiel eine absolutistische Monarchie mit einem von Gott ausgewählten Kaiser der Demokratie vorzuziehen sei, diese Meinung nicht zum Ziel einer Partei machen dürfen, die dann eben versucht, Wähler zu überzeugen?

Das durchaus zutreffende Argument, dass weder die "Diktatur des Proletariates" noch die Widererrichtung des Kaiserreiches sinnvoll erscheinen, ist in diesem Kontext irrelevant. In einer wirklichen Demokratie muss es möglich sein, auch die Demokratie selbst zur Diskussion zu stellen, wenn dies im Rahmen der Verfassung geschieht, die das hierzulande grundsätzlich nicht ausschließt, anders als das deutsche Grundgesetz.

Eine Auseinandersetzung mit den Gegnern der Demokratie ist natürlich durchaus notwendig, wo immer sie auftauchen, was ja zum Glück eh nicht allzu oft vorkommt - aber sie kann sinnvollerweise nur mittels Argumenten, nicht mittels Verboten erfolgen. Ebenso gelassen und unverkrampft, wie der Staat und die Spitze der SPÖ in den 1980ern mit den paar verbliebenen Anhängern der "Diktatur des Proletariates" verfahren sind.

Sichtbar wird hier und heute eine problematische Grundtendenz, den Korridor der zulässigen Diskussionen immer enger zu gestalten. "Mich erstaunt, wie viele Menschen (...) die Kraft des guten Arguments unterschätzen. Sie fürchten, ohne Zwang, Ächtung und Verbote die ‚Rechten‘ nicht schachmatt setzen zu können", schrieb jüngst der stets nüchtern abwägende "NZZ"-Chefredakteur Eric Gujer. Und "die Neugier auch auf die dunkleren Ecken des intellektuellen Universums" drohe verloren zu gehen. "Im Namen des politischen Anstands herrscht eine geistig-moralische Ödnis."

So ist es. Und mit neuen, europaweiten Verboten wird das Problem nicht kleiner, ganz im Gegenteil.