Zum Hauptinhalt springen

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein!

Von Ulrich H. J. Körtner

Gastkommentare
Ulrich H. J. Körtner ist Ordinarius für Systematische Theologie (Reformierte Theologie) an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.

Mit der Feiertagsregelung zum Karfreitag werden christliche Werte mit Füßen getreten.


Im Raimund Theater läuft derzeit wieder einmal die Rockoper "Jesus Christ Superstar", die 1971 in New York uraufgeführt wurde. Jesus, wie ihn uns die Evangelien schildern, war kein Superstar, kein Popstar mit gigantischer Bühnenshow, kein Guru oder Fernsehprediger, der sich von seinen Anhängern teure Limousinen finanzieren lässt. Er gehörte nicht zum Kreis der Mächtigen, der Reichen, Schönen und Berühmten.

Jesus stand auf der Seite der Armen, der Kranken und Ausgestoßenen. Er nahm sich derer an, die Unrecht getan hatten und wussten, dass sie auf Vergebung angewiesen waren. Er wandte sich denen zu, deren Leben verpfuscht war und die sich darum von Gott und der Welt verstoßen glaubten. Arm kam er zur Welt und lebte in freiwilliger Armut, ohne ein festes Dach über dem Kopf. Arm und verstoßen starb er am Kreuz. Sogar von seinem Gott, dessen anbrechende Herrschaft er in Wort und Tat verkündigt hatte, glaubte er sich in der Stunde des Todes verlassen.

Das Licht des Ostermorgens fällt auf den Karfreitag

Doch von diesem Menschen bekennen die Christen wie der römische Hauptmann unter dem Kreuz, dass er Gottes Sohn gewesen ist. In ihm hat Gott sein Ja zu uns Menschen, sein endgültiges Ja zu seiner Schöpfung gesprochen, und darauf sprechen die Christen am Karfreitag das Amen.

In der christlichen Tradition verbindet sich der Karfreitag über weite Strecken mit einer düsteren Stimmung und Leidensmystik. Die Evangelien berichten, wie sich der Himmel über Golgatha verfinstert, als Jesus stirbt. Aber im Bekenntnis des Hauptmanns finden wir schon einen Vorschein des Ostermorgens. Christen begehen den Karfreitag nicht, um das Leiden zu verherrlichen, sondern weil von Ostern her, von der Auferweckung Jesu von den Toten, das Kreuz als Ort des Heils verständlich wird, als Quelle des Lebens und der göttlichen Liebe, die stärker ist als alles Leiden und selbst als der Tod.

Der Apostel Paulus hat das folgendermaßen ausgedrückt: "Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben, dass durch sie entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Christi" (2. Korinther 4,6), der das wahre Ebenbild Gottes ist. In der "Dreigroschenoper" von Bert Brecht singt Mackie Messer: "Denn die einen sind im Dunkeln / Und die andern sind im Licht. / Und man siehet die im Lichte / Die im Dunkeln sieht man nicht." Von Ostern her fällt das Licht auf Golgatha. Christus öffnet uns die Augen für die, die im Dunkeln sind und auf unsere Hilfe, Gemeinschaft, Achtung und Anerkennung warten.

Die Menschheit empfängtdie Würde zurück

Bei Dietrich Bonhoeffer heißt es: "Christus wurde Mensch wie wir. In seiner Menschheit und seiner Niedrigkeit erkennen wir unsere eigene Gestalt wieder. (. . .) In der Menschwerdung Christi empfängt die ganze Menschheit die Würde der Gottebenbildlichkeit zurück. Wer sich jetzt am geringsten Menschen vergreift, vergreift sich an Christus, der Menschengestalt angenommen hat und in sich das Ebenbild Gottes für alles, was Menschenantlitz trägt, wiederhergestellt hat. In der Gemeinschaft des Menschgewordenen wird uns unser eigentliches Menschsein wiedergeschenkt."

In Christi Menschwerdung, Tod und Auferstehung stoßen wir auf den letzten Grund dessen, was man heute gern als Werte unserer Gesellschaft und unserer Zivilisation bezeichnet. Aber wir erleben auch, dass man sich lautstark auf christliche Werte beruft und diese dann in Politik und Gesellschaft mit Füßen tritt. Es ist doch sonderbar: In unserem Land, wo in öffentlichen Gebäuden - in Kindergärten, Klassenzimmern und Gerichtssälen - Kreuze als Symbol für grundlegende Werte von Gesellschaft und Staat hängen, ist ausgerechnet jener Tag, der wie kein anderer den Ursprung und eigentlichen Sinn dieses Symbols verdeutlicht, für die Bevölkerungsmehrheit ein Arbeitstag.

Das Kreuz ist kein harmloses Kulturlogo, aber auch keine Waffe, die man gegen Andersdenkende richten darf. Das Kreuz steht vielmehr für die bedingungslose Würde aller Menschen, insbesondere Bedürftiger und Schwacher, und für eine Kultur der Barmherzigkeit und Mitmenschlichkeit. Das sind wesentliche Grundlagen einer humanen Gesellschaft, die die Realität des Leidens nicht verdrängt, an die der Gekreuzigte uns erinnert. Er ruft dazu auf, Leidenden beizustehen und auch Leid in all seinen Erscheinungsformen entgegenzutreten. Wem es mit alldem ernst ist, der sollte für den Karfreitag als gesetzlichen Feiertag für alle eintreten.

Stattdessen hat die Bundesregierung den Karfreitag auf dem Altar wirtschaftlicher Interessen geopfert. Schon steht die Forderung im Raum, es solle künftig gar keine religiösen Feiertage mehr geben, dafür mehr Urlaubstage. Die Menschen könnten dann selbst entscheiden, ob sie zu religiösen Festen freinehmen wollen oder nicht. Die Kanzlerpartei hat dieser Idee zwar erst einmal eine Abfuhr erteilt, aber selbst den Weg in diese Richtung geöffnet.

Laizismus à la Frankreichkäme einem Kulturbruch gleich

Wenn Religion zur reinen Privatsache erklärt wird, mündet das in einen Laizismus à la Frankreich, der in unserem Land gegenüber der bisherigen Präsenz von Religion im öffentlichen Raum einem Kulturbruch gleichkäme. So wichtig es ist, Arbeit zu schaffen (hoffentlich eine solche, von der Menschen auskömmlich und in Würde leben können): Der Mensch lebt nicht vom Brot allein!

Zum Autor

Protest

Am heutigen Karfreitag veranstaltet die Evangelische Kirche gemeinsam mit den Altkatholiken in der Lutherischen Stadtkirche (1010 Wien, Dorotheergasse 18) um 11.30 Uhr eine gemeinsame Aktion. Unter dem Motto "Seid getrost" protestieren sie gegen die umstrittene Feiertagsregelung.