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Steuerwidmung statt Kirchenbeitragsgesetz

Von Rudolf K. Höfer

Gastkommentare

Der in der NS-Zeit eingeführte Kirchenbeitrag ist das Hauptmotiv für Kirchenaustritte. Italien zeigt: Es geht auch anders.


Das vom NS-Regime am 1. Mai 1939 auferlegte Kirchenbeitragsgesetz wirkt als Hauptmotiv für die Kirchenaustritte in Österreich katastrophal. Nach der Annexion Österreichs durch Hitler-Deutschland 1938 setzte ein Jahr später der damalige Reichsstatthalter Arthur Seyß-Inquart das Kirchenbeitragsgesetz in Kraft. Er selbst wurde 1946 wegen Kriegsverbrechen zum Tod verurteilt und hingerichtet. Das Gesetz hingegen hat bis heute überdauert. Seit damals sind einige Kirchen zu Finanzbehörden geworden. Der Glaubwürdigkeit dient das wenig, ebenso wie die katholische Kirche durch Missbrauchsskandale und Vertuschung bis in höchste Ebenen schwer gelitten hat. Ist eine Wende möglich, wie Kardinal Reinhard Marx jüngst forderte? "Kirche darf Menschen nicht von oben herab begegnen." Machtgehabe ist nicht mehr gefragt.

Ein Relikt des Nationalsozialismus

Das von Seyß-Inquart erlassene Gesetz hat vor 80 Jahren Katholiken, Evangelischen, Reformierten und Altkatholiken den Kirchenbeitrag auferlegt, mit dem Ziel, "einen vernichtenden Schlag gegen die Kirchenorganisation" (Zitat Gauinspektor Hans Berner) zu führen. Die Bischöfe haben damals mutig, geschlossen und schriftlich dagegen protestiert. Als Relikt des Nationalsozialismus führt der Kirchenbeitrag seit den 1970er Jahren zu steigenden Kirchenaustritten. Somit wirkt die Intention, mit der er erfunden wurde, unvermindert weiter. Der fortschreitende Rückgang der Zahl der Katholiken in Österreich von 89 Prozent im Jahr 1950 auf heute 57 Prozent durch die Austritte rückt die Kirchen zunehmend "an den Rand" (Zitat Kardinal Christoph Schönborn). Die katholische Kirche allein verzeichnete von 1945 bis 2018 etwa 2,4 Millionen Austritte, aber sie betreffen auch evangelische, altkatholische und reformierte Kirche.

Neben Faktoren wie Säkularisierung und Demografie ist der Kirchenbeitrag für zwei Drittel der Ausgetretenen das Hauptmotiv, so die katholische Bischofskonferenz im Amtsblatt 1998. Die Kirchensteuer in Deutschland führt ebenso zu hohen Austrittsraten, in Südtirol (Bozen-Brixen, Italien) gab es 2018 dagegen nur 14 Austritte.

Es muss außer Frage gestellt sein, dass Religionsgemeinschaften zur Erfüllung ihrer vielen Aufgaben die erforderlichen Mittel brauchen. Spenden allein reichen nicht und könnten zu Abhängigkeit und Vorgaben durch die Spender führen, wie auch die häufig kritisierte Finanzierung aus dem Ausland. Eine Zusatzsteuer durch Lohnabzug wie die Kirchensteuer in Deutschland ist für keinen Finanzminister attraktiv. Eine zusätzliche Belastung ist der Bevölkerung nicht zumutbar.

Ein demokratisches Modellder Kirchenfinanzierung

Italien hat mit der Steuerwidmung ein demokratisches Modell der Kirchenfinanzierung. Eine für Österreich auch realistische und zukunftsfähige Möglichkeit ist die Widmung eines kleinen Teils der Steuerleistung beziehungsweise des Steueraufkommens wie in Italien. Bei dieser erfolgt eine jährliche frei gewählte Widmung mit Unterschrift bei der Steuererklärung, die auch in fünf anderen Ländern existiert. Eine Widmung ist möglich, aber nicht verpflichtend. Dem Widmungsergebnis folgend wird der nicht gewidmete Anteil des reservierten Budgets proportional zu den Widmungen den anerkannten Religionsgemeinschaften oder dem Staat zugeteilt.

Die 1984 in Italien eingeführte Steuerwidmung ist keine neue "Kultursteuer", weil ohne jede Belastung für Einzelne, sondern würde in Österreich für den Großteil der Bevölkerung eine treffsichere Steuerentlastung von etwa 1,1 Prozent bringen und das Budget dabei weit geringer belasten. Da der Kirchenbeitrag bisher schon von der Steuer abgesetzt werden kann, stünde im neuen Modell neben anderen Einsparungen (Inkassokosten derzeit etwa 15 Prozent oder 60 Millionen Euro) eine beträchtliche Summe zur Verfügung, sodass ein gewisser Prozentsatz des Steueraufkommens zur Widmung freigegeben werden könnte, dessen Höhe österreichischen Verhältnissen entsprechen müsste. Da die Bürger die Steuern aufbringen, hätte der Staat keinen nennenswerten Verlust, der gewidmete Betrag käme wieder den Bürgern zugute. So könnte eine demokratische Mitwirkung die aus der NS-Zeit stammende Zwangssteuer ersetzen.

Der Staat hätte keinen finanziellen Verlust

Mit den steigenden Kirchenaustritten gehen zunehmend kirchliche Arbeitsplätze verloren. Von einem realistischen Volumen von etwa 600 Millionen Euro für die Widmung ist etwa ein Drittel (200 Millionen) derzeit bereits ohnehin für das Budget als Kostenfaktor vorhanden (durch Absetzbeträge, Klagen und Exekutionen bei Gericht, Bearbeitung von weit mehr als 55.000 Austrittsakten bei Bezirksämtern). Mit der Steuerentlastung (gut 500 Millionen durch Abschaffung des Kirchenbeitrags) von etwa 1,1 Prozent würden durch Konsum 15 bis 20 Prozent davon wieder ins Budget zurückfließen. Mit der Widmung für den Staat verblieben diesem etwa 15 Prozent oder 100 Millionen Euro. So wäre lediglich eine Belastung für das Budget von etwa 200 Millionen Euro zu erwarten - angesichts der umfassenden Problemlösung jedenfalls gerechtfertigt.

Die Steuerwidmung bei zeitgleichem Entfall des Kirchenbeitrags würde auch die Bezieher kleinerer Einkommen vom Mindestkirchenbeitrag (29 Euro) entlasten, ebenso Selbständige, denen bei gleichem Einkommen ein mehr als viermal so hoher Mindestkirchenbeitrag (124 Euro) abverlangt wird. Das würde mehr soziale Gerechtigkeit bringen und von Armen nicht mehr abkassiert.

Bisher sind steuerfreie Einkommen in Österreich (1,8 Millionen Personen mit weniger als 11.000 Euro Jahreseinkommen) nicht vom Kirchenbeitrag befreit wie in Deutschland von der Kirchensteuer. Die Eintreibung des Kirchenbeitrags kostet in Österreich jährlich gut 60 Millionen Euro und könnte entfallen, die Angestellten könnten nach Auskunft kirchlicher Verantwortlicher weiter beschäftigt werden.

Anstatt des noch geltenden Nazi-Gesetzes kann ein zukunftsorientiertes Modell der Steuerwidmung zur gesicherten Finanzierung der anerkannten Religionsgemeinschaften das Zwangsinkasso mit gerichtlichen Klagen ersetzen, damit nicht weiter Menschen gegen ihren Willen durch eine unsinnige und auch unbiblische Konstruktion als Apostaten (vom Glauben Abgefallene) behandelt werden bis hin zum Ausschluss von Abendmahls- und Eucharistiefeier. Das Kirchenrecht kennt nämlich keinen Kirchenaustritt.

Wenn Kirchenleitungen das Vertrauen aufbringen, dass anstelle des NS-Zwangsgesetzes ihnen die Menschen bei freier Entscheidung mit der Steuerwidmung engagiert erforderliche Mittel zuweisen, kann der schon absehbare Verlust von Arbeitsplätzen in den Kirchen eher vermieden werden. Die Politik ist dabei auch gefragt.

"Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann", so der heuer verstorbene deutsche Rechtsphilosoph Ernst-Wolfgang Böckenförde. Als bedeutender und unverzichtbarer Faktor der Gesellschaft bleiben damit die Religionsgemeinschaften ins Bewusstsein gehoben. Statt der Abwendung von ihnen wird das Engagement für sie gefördert. Dass in der Republik Österreich ein NS-Gesetz mit schädlicher Intention und katastrophaler Wirkung bis heute exekutiert wird, sollte nach 80 Jahren Anlass sein, es zu überdenken.