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Europa wird chinesisch

Von Gerfried Sperl

Gastkommentare

Die alte Seidenstraße gibt es noch immer. Aber sie ist zum Abenteuer für Asien-Touristen geworden und als "Heroin-Highway" zum Hotspot für Drogendealer und Spezialeinheiten der Polizei. Die neue Seidenstraße ist seit 2013 als Infrastrukturkonzept Chinas ein gewaltiges Indiz für die Realisierung des chinesischen Anspruchs, das neue Weltzentrum zu werden. Während US-Präsident Donald Trump laufend internationale Verträge aufgekündigt hat, fand in Peking Ende April eine Konferenz zur "Belt and Road Initiative" statt, an der 38 Staats- und Regierungschefs, darunter auch Bundeskanzler Sebastian Kurz, teilnahmen. Das Signal: Öffnung und Kooperation statt Isolation und Zwist.

Vor allem in ländlichen Regionen spürbar

Vieles an der leisen Expansion der chinesischen Wirtschaft bleibt den Stadtmenschen verborgen. Sie geht auf dem Land vor sich: Um 30 bis 50 Prozent billiger als europäische Traktoren sind ihre chinesischen Rivalen. Ein 75 PS starker Traktor der Marke Dongfeng beispielsweise kostet nur 30.000 Euro. Foton-Agrarschlepper (Tagesproduktion: 500 Stück) werden mit Perkins-Motoren von AVL List in Graz ausgestattet. Oder: Im Internet berichten junge Bauern, dass sie für 8000 Euro Selbstbaukästen von chinesischen Traktoren der Marke Jinma erwerben und die Teile wie ein Ikea- oder Kika-Möbel schnell und einfach zusammenbauen. Auf den Autobahnen verkehren immer mehr Trucks made in Ostasien - sie sind ein Resultat des 2011 fixierten 50:50-Ventures zwischen Foton und Daimler-Benz. Unter der Marke Lovol Aumann gibt es auch Bagger und Erntemaschinen zu Preisen, die von EU-Herstellern nicht zu schlagen sind.

Große Lkw, kleine Pkw - auch bei den Kleinwagen hat ein chinesischer Autokonzern kürzlich zugeschlagen. Seit etwa einem Jahr besitzt der private chinesische Hersteller Geely 10 Prozent der Aktien von Daimler Benz. Ende März wurde bekanntgegeben, dass der Stuttgarter Autoriese und Geely ein 50:50-Venture für die Smart-Produktion gründen. Das Design kommt aus Stuttgart, E-Motor und Antrieb aus China. Produziert wird nur noch in China. Die bisherigen Fabriken in Frankreich und Slowenien sollen größere Mercedes fertigen.

Hochgeschwindigkeitszügeund superschnelles Internet

Wie im Seidenstraßen-Konzept vorgesehen investiert China zugleich in die europäische Infrastruktur, speziell die südosteuropäische. Zwei Autobahnprojekte sind fix: eines von Athen nach Belgrad und das zweite von Belgrad nach Budapest. Passend dazu errichten die Chinesen im Hafen von Piräus einen Container-Terminal. Um die Erreichbarkeit Westeuropas zu steigern, hat man sich auch die Häfen von Genua und Triest eingeklinkt. Letzterer ist bekanntlich der Hauptexporthafen Österreichs. Jene chinesischen Hochgeschwindigkeitszüge, die - als erste Eisenbahngesellschaft in der EU - die private Westbahn geordert hat, sollen irgendwann Mitte der 2020er Jahre über den Semmering- und den Karawankentunnel auch Triest erreichen. Der Einstieg chinesischer Investoren in westeuropäische Bahnbetreiber ist nicht mehr ausgeschlossen.

Die finanzpolitischen Voraussetzungen werden gerade geschaffen. Während des Peking-Besuchs von Kanzler Kurz (der dafür - im Unterschied zur deutschen Kanzlerin Angela Merkel - den Westbalkan-Gipfel ausgelassen hat) wurde zwischen der österreichischen Bundesfinanzierungsagentur und der Commercial Bank of China ein "Memorandum of Understanding" unterzeichnet. Als erstes Land der Eurozone wird Österreich demnächst Staatsanleihen in Yuan begeben.

Überwölbt wird all das durch den Vormarsch der Chinesen im Internetgeschäft. Der Schlüssel ist 5G, das neue superschnelle Mobilfunknetz. Österreich ist eines der ersten EU-Länder (nach Ungarn und Polen), wo der Ausbau mithilfe des als Smartphone-Hersteller bekannten Privatkonzerns Huawei voll im Gange ist. Über T-Mobile läuft der Testbetrieb in 17 Gemeinden, die größte ist Ried im Innkreis. 2025 soll Huawei mit dem flächendeckenden Ausbau fertig sein. "Europa wird chinesisch" - diese Aussage mag übertrieben sein, aber die Internet-Technologien sind in der Tat das leise und unsichtbare Spinnennetz, über den ganzen Kontinent gespannt.

Dass die kritischen Stimmen gegenüber der Kooperation mit China zunehmen, darauf hat Thomes Seifert in einem Bericht vom Pekinger Gipfel am 26. April in der "Wiener Zeitung" hingewiesen - vor allem auf das Gespenst der Schuldenfalle, in die kleine Länder leicht tappen. Auf den Malediven hat dies sogar zu einem Regierungswechsel geführt. EU-Mitglieder sind besser kapitalisiert. Hier geht es vielmehr um strategische Fragen.

Die Chinesen füllen auf leisen Sohlen das US-Vakuum auf

Die USA sind immer noch der wirtschaftlich und wissenschaftlich stärkste Staat. Aber sie agieren konventionell und die Regierung unter Präsident Trump kündigt schrittweise alle Verträge, die ihnen nicht von vornherein "America first" garantieren. Die Chinesen kommen auf leisen Sohlen und sind dabei, überall, wo es geht, das US-Vakuum aufzufüllen und jene Fantasie zu entwickeln, die den USA im Moment fehlt.

Dazwischen manövrieren Russland und die EU. Die Russen setzen ihre Rohstoffmacht ein (siehe Pipeline North Stream), weil sie anders als die Chinesen kein Gesamtpaket anbieten können. Die Europäer könnten wegen der Vielfalt ihrer Ressourcen ähnlich agieren wie China - allein, ihnen fehlt eine koordinierte Offensivkraft. Eine europäische Armee (mit Unterstützung der gierigen Rüstungsindustrie) würde der EU zwar die Muskeln wachsen lassen, nicht aber die Gehirne und den Einfluss jener, die es mit der chinesischen Strategie aufnehmen könnten.

Weder militärische Rüstung noch effiziente Wirtschaftsplanung können zwei Gefahren der fernöstlichen Expansion begegnen: Wie sehr wird der modernisierte chinesische Kommunismus die Zukunft der europäischen Demokratie beeinflussen? Und wie sehr werden chinesische Sichtweisen das Denken europäischer Wissenschafter und Manager beeinflussen? Dazu kommt die Frage, wie stark der Zugriff der riesigen Politbürokratie auf all jene ist, die jetzt schon und in Zukunft vermehrt in und mit Europa arbeiten. Gibt es so etwas wie ein Sickern abendländischer Geisteshaltung in das kollektive chinesische Denken und Fühlen?

2017 wurde in Peking ein Gesetz beschlossen, das im Ausland arbeitende Firmen zur Informationsweitergabe (de facto: Zur Spionage) verpflichtet. Huawei-Gründer Ren Zhengfei hat heftig dementiert, dass sein Konzern für so etwas zu haben sei. Aber die Enthüllungen der vergangenen Jahre und die Verstörungen durch russische Hackerangriffe auf sensible Daten im US-Wahlkampf erzeugen eine Unsicherheit: Wie viel des Gesagten stimmt? Und was davon sind "Fake News"?

Die neue Seidenstraße und Pekings leise Expansion.