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Warum Österreich ein "Staatsziel Wirtschaftsstandort" braucht

Von Peter Koren

Gastkommentare
Peter Koren ist Vize-Generalsekretär der Industriellenvereinigung sowie Bereichsleiter für Infrastruktur, Transport, Ressourcen und Energie.
© Johannes Zinner

Wirtschaft und Nachhaltigkeit sind kein Widerspruch


Der Nationalrat stimmt heute, Mittwoch, über die geplante Verankerung eines wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandorts als Staatsziel ab. Mit Umweltschutz, Nachhaltigkeit, Forschungsförderung, Tierschutz, Lebensmittel- und Wasserversorgung stellt das Bundesverfassungsgesetz Nachhaltigkeit eine Reihe von Staatszielen in den Verfassungsrang. Besagte Ziele sind vollkommen legitim und sollen daher auch nicht hinterfragt werden. Sehr wohl zu hinterfragen ist aber, ob der Staatszielkatalog in seiner aktuellen Fassung vollständig ist und wirklich alle relevanten Bereiche abdeckt.

Bei genauerem Hinsehen tut er das nicht. Für Staat und Gesellschaft essenzielle Themen wie Wachstum und Beschäftigung - also die konkreten Voraussetzungen für allgemeinen Wohlstand und Arbeitsplätze - finden keine Erwähnung. Gerade das sind aber Aspekte, welche die hohe Lebensqualität in Österreich maßgeblich ausmachen. Sie müssen allerdings erwirtschaftet werden - von innovativen Unternehmen gemeinsam mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, unter international wettbewerbsfähigen Rahmenbedingungen.

Unvollständigkeit hat empfindliche Folgen für Wirtschaftsstandort und Jobs

Dass das nach wie vor nicht als legitimes Staatsziel gilt, ist ebenso unverständlich wie inakzeptabel. Insbesondere, da es alles andere als nur eine rein theoretische oder ideologische Frage ist. Denn in der Praxis hat diese Unvollständigkeit bereits zu unausgeglichenen Gerichtsentscheidungen mit empfindlichen Folgen für Wirtschaftsstandort und Jobs geführt. So beriefen sich die Richter des Bundesverwaltungsgerichts bei der Ablehnung einer dritten Piste für den Flughafen Wien auf den aktuellen - unvollständigen - Staatszielkatalog. In der Folge hob zwar der Verfassungsgerichtshof das Urteil auf, denn die in der Verfassung abgebildeten Staatsziele können nicht als subjektive Rechte geltend gemacht werden. Auch sind sie mangels ausreichender Bestimmtheit ungeeignet, daraus eine Genehmigungsentscheidung abzuleiten.

Dennoch stellt auch der Verfassungsgerichtshof klar, dass Staatsziele durchaus von Behörden und Gerichten zur Auslegung herangezogen werden. Sie sind also sehr wohl von praktischer Relevanz. Gerade im Anlagenrecht enthalten zahlreiche Gesetze Interessenabwägungsklauseln, weshalb sich Behörden und Gerichten in ihrer Interpretation gerne nach den verfassungsmäßig normierten Staatszielen orientieren. Umso deutlicher wären auch die positiven Auswirkungen einer Vervollständigung der Staatsziele sichtbar. Einerseits als Auslegungshilfe für Behörden und Gerichte, andererseits in Form eines starken Signals des Verfassungsgesetzgebers für Wirtschaft, Unternehmertum und Beschäftigung. Das würde bei potenziellen Investoren im Ausland vernommen werden, was wiederum Betriebsansiedlungen in Österreich erleichtern und Arbeitsplätze schaffen könnte.

Ausgeglichener Staatszielkatalog im Einklang mit heimischem und EU-Recht

Gerade vor dem Hintergrund einer sich wieder abschwächenden Konjunktur brauchen wir solche Signale dringend. Ein ausgeglichener Staatszielkatalog mit einer Staatszielbestimmung Wirtschaftsstandort ist somit das Gebot der Stunde - und wäre auch keineswegs nur eine österreichische Eigenart. Es stünde nämlich nicht nur im Einklang mit dem Staatsgrundgesetz, sondern auch mit europäischem Recht.

So ist im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union unmissverständlich zu lesen: "Die Union und die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die notwendigen Voraussetzungen für die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie der Union gewährleistet sind." Daneben enthält der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union auch ein klares Bekenntnis zu einem hohen Umweltschutzniveau in der Union. Die Ergänzung der Staatszielbestimmungen würde sich somit in vorhandenes Recht einfügen, in dem Wettbewerbsfähigkeit und Umweltschutz einander nicht ausschließen, sondern nebeneinander bestehen.

Und genau darum geht es: um eine Ergänzung und keinesfalls um ein Gegeneinander verschiedener Staatsziele. Das Ziel ist weder das Herunterschrauben von Standards noch das Schwächen von Anrainerrechten und dergleichen, sondern ausschließlich die gleichwertige Berücksichtigung und Wahrung aller Interessen. Das und nicht weniger muss der Anspruch eines verantwortungsbewussten Rechtsstaates sein.

Kontra: Zukunftsfähiges Wirtschaften braucht jetzt Klima- und Umweltschutz

Von Universitäten, IWF, jungen Menschen auf der Straße, selbst aus dem Vatikan, von überall tönt es: Klimawandel passiert, die Klimakrise verschärft sich, wir müssen verantwortungsvoll handeln. Die österreichische Regierung steckt den Kopf in den Sand und versucht mit einem weiteren Vorstoß, einen "wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort" als Staatsziel zu verankern, den unnachhaltigen Entwicklungspfad zu manifestieren.

Seit 1750 ist die Durchschnittstemperatur um rund 1 Grad gestiegen. Der Weltklimarat (IPCC) rät dringend, den Anstieg bei 1,5 Grad zu begrenzen, um schwerste Folgen für Millionen Menschen weltweit abzuwenden. Das wird gelingen, wenn die CO2Emissionen bis 2030 in etwa halbiert und die Wirtschaft in den darauffolgenden beiden Jahrzehnten dekarbonisiert wird. Die Trends gehen noch immer in die andere Richtung. Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre stieg indes zuletzt auf mehr als 415 ppm (Teilchen pro Million Teilchen). Die Treibhausgas-Emissionen nahmen in Österreich zuletzt um 3,3 Prozent zu. Der Weltbiodiversitätsrat warnt, dass von den acht Millionen Tier- und Pflanzenarten weltweit rund eine Million vom Aussterben bedroht sei. Vor anderthalb Jahren berichteten deutsche Entomologen, die Insektenpopulation sei in den vergangenen 30 Jahren um drei Viertel geschrumpft.

Produktions- und Lebensweise schadet Umwelt und Klima

Die aktuelle Produktions- und Lebensweise vor allem in reichen Ländern schadet der Umwelt und dem Klima. Da eine intakte Umwelt vielen Wirtschaftssektoren bedeutende Dienste leistet und ein einigermaßen stabiles Klima Grundlage für die Nutzung bestehender Infrastruktur wie menschliche Entwicklung ist, brauchen wir dringend eine striktere Umwelt- und Klimapolitik. Die Problemlagen haben oft den Charakter sozialer Dilemmata, die es Einzelnen erschweren, den gesellschaftlich nötigen Beitrag zu leisten. Die volkswirtschaftliche Theorie ist klar und schreibt verantwortungsvolle Regulierung vor, die allen nachhaltiges Handeln ermöglicht. Trotz schwieriger Ausgangslage haben viele Unternehmen in Antizipation von strikterer Umwelt- und Klimapolitik schon Maßnahmen ergriffen. Das Fehlen ausreichend ambitionierter Regelwerke, die Planungssicherheit schaffen würden, ist problematisch und teuer.

Die Aktivistin Greta Thunberg warnte beim Weltwirtschaftsforum: "Das Haus brennt." Sie forderte Ökonomen und Entscheidungsträger auf, so zu handeln, wie sie es in einer Krise täten. Die Österreicher bat jüngst der Kanzler bezüglich der längst überfälligen Ökologisierung des Steuersystems um Geduld. So hatte Greta sich das nicht vorgestellt. Die Notwendigkeit, externe Effekte zu internalisieren, um der Volkswirtschaft nicht zu schaden, ist breiter ökonomischer Konsens. Es geht um die Berücksichtigung von Auswirkungen wirtschaftlichen Handelns, die durch Marktpreise noch nicht abgedeckt sind.

Kohlenstoffsteuer weit über EU-Niveau schadet Schwedens Wirtschaft nicht

Wenn die Option, Steuern zu erhöhen, zu unpopulär ist, kann man vielleicht dem Beispiel des kanadischen Premiers folgen und die Maßnahme "Preis auf Verschmutzung" oder Bepreisung von Kohlenstoff nennen. Wer möchte schon, dass gesellschaftlich unerwünschtes Handeln ohne Konsequenzen bleibt? Schweden hat 1991 eine Kohlenstoffsteuer eingeführt und seither kontinuierlich erhöht. Derzeit entspricht die Steuer 139 Dollar je Tonne CO2-Äquivalent - beim EU-Emissionshandel sind es 20 Dollar. Schweden ist nicht allein; auch die Schweiz, Finnland, Norwegen und Frankreich haben Kohlenstoffsteuern, die weit über EU-Niveau liegen. Keines dieser Länder wurde dadurch wettbewerbsunfähig oder der Wirtschaftsstandort geschädigt. Im Gegenteil: Die Entscheidungsträger signalisieren, dass sie Bedingungen schaffen, die zukunftsorientiert sind.

Auch wenn die Wirkmacht von Staatszielen in Frage gestellt wird, ist das Signal in der aktuellen Zeit - eine Minute vor zwölf in der Klimakrise - fatal, da ein "Staatsziel Wirtschaftsstandort" kurzfristige ökonomische Interessen mancher priosiert über die Entwicklungsmöglichkeiten vieler. Ein derartiges Staatsziel würde wirtschaftliche Interessen von wenig innovativen und noch immer umweltschädlich Produzierenden schützen, statt alle auf zukunftsfähiges Wirtschaften vorzubereiten und dabei zu unterstützen. Die dringend nötige Transformation würde verschoben - wohlwissend, dass sie nicht aufgehoben werden kann.