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Was gegen das "Staatsziel Wirtschaftsstandort" spricht

Von Sigrid Stagl

Gastkommentare
Sigrid Stagl ist Ökonomin und Professorin für Umweltökonomie und -politik an der Wirtschaftsuniversität Wien. Sie leitet das Institute for Ecological Economics.
© WU Wien

Zukunftsfähiges Wirtschaften braucht jetzt Klima- und Umweltschutz.


Von Universitäten, IWF, jungen Menschen auf der Straße, selbst aus dem Vatikan, von überall tönt es: Klimawandel passiert, die Klimakrise verschärft sich, wir müssen verantwortungsvoll handeln. Die österreichische Regierung steckt den Kopf in den Sand und versucht mit einem weiteren Vorstoß, einen "wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort" als Staatsziel zu verankern, den unnachhaltigen Entwicklungspfad zu manifestieren.

Seit 1750 ist die Durchschnittstemperatur um rund 1 Grad gestiegen. Der Weltklimarat (IPCC) rät dringend, den Anstieg bei 1,5 Grad zu begrenzen, um schwerste Folgen für Millionen Menschen weltweit abzuwenden. Das wird gelingen, wenn die CO2Emissionen bis 2030 in etwa halbiert und die Wirtschaft in den darauffolgenden beiden Jahrzehnten dekarbonisiert wird. Die Trends gehen noch immer in die andere Richtung. Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre stieg indes zuletzt auf mehr als 415 ppm (Teilchen pro Million Teilchen). Die Treibhausgas-Emissionen nahmen in Österreich zuletzt um 3,3 Prozent zu. Der Weltbiodiversitätsrat warnt, dass von den acht Millionen Tier- und Pflanzenarten weltweit rund eine Million vom Aussterben bedroht sei. Vor anderthalb Jahren berichteten deutsche Entomologen, die Insektenpopulation sei in den vergangenen 30 Jahren um drei Viertel geschrumpft.

Produktions- und Lebensweiseschadet Umwelt und Klima

Die aktuelle Produktions- und Lebensweise vor allem in reichen Ländern schadet der Umwelt und dem Klima. Da eine intakte Umwelt vielen Wirtschaftssektoren bedeutende Dienste leistet und ein einigermaßen stabiles Klima Grundlage für die Nutzung bestehender Infrastruktur wie menschliche Entwicklung ist, brauchen wir dringend eine striktere Umwelt- und Klimapolitik. Die Problemlagen haben oft den Charakter sozialer Dilemmata, die es Einzelnen erschweren, den gesellschaftlich nötigen Beitrag zu leisten. Die volkswirtschaftliche Theorie ist klar und schreibt verantwortungsvolle Regulierung vor, die allen nachhaltiges Handeln ermöglicht. Trotz schwieriger Ausgangslage haben viele Unternehmen in Antizipation von strikterer Umwelt- und Klimapolitik schon Maßnahmen ergriffen. Das Fehlen ausreichend ambitionierter Regelwerke, die Planungssicherheit schaffen würden, ist problematisch und teuer.

Die Aktivistin Greta Thunberg warnte beim Weltwirtschaftsforum: "Das Haus brennt." Sie forderte Ökonomen und Entscheidungsträger auf, so zu handeln, wie sie es in einer Krise täten. Die Österreicher bat jüngst der Kanzler bezüglich der längst überfälligen Ökologisierung des Steuersystems um Geduld. So hatte Greta sich das nicht vorgestellt. Die Notwendigkeit, externe Effekte zu internalisieren, um der Volkswirtschaft nicht zu schaden, ist breiter ökonomischer Konsens. Es geht um die Berücksichtigung von Auswirkungen wirtschaftlichen Handelns, die durch Marktpreise noch nicht abgedeckt sind.

Kohlenstoffsteuer weit über EU-Niveau schadet Schwedens Wirtschaft nicht

Wenn die Option, Steuern zu erhöhen, zu unpopulär ist, kann man vielleicht dem Beispiel des kanadischen Premiers folgen und die Maßnahme "Preis auf Verschmutzung" oder Bepreisung von Kohlenstoff nennen. Wer möchte schon, dass gesellschaftlich unerwünschtes Handeln ohne Konsequenzen bleibt? Schweden hat 1991 eine Kohlenstoffsteuer eingeführt und seither kontinuierlich erhöht. Derzeit entspricht die Steuer 139 Dollar je Tonne CO2-Äquivalent - beim EU-Emissionshandel sind es 20 Dollar. Schweden ist nicht allein; auch die Schweiz, Finnland, Norwegen und Frankreich haben Kohlenstoffsteuern, die weit über EU-Niveau liegen. Keines dieser Länder wurde dadurch wettbewerbsunfähig oder der Wirtschaftsstandort geschädigt. Im Gegenteil: Die Entscheidungsträger signalisieren, dass sie Bedingungen schaffen, die zukunftsorientiert sind.

Auch wenn die Wirkmacht von Staatszielen in Frage gestellt wird, ist das Signal in der aktuellen Zeit - eine Minute vor zwölf in der Klimakrise - fatal, da ein "Staatsziel Wirtschaftsstandort" kurzfristige ökonomische Interessen mancher priosiert über die Entwicklungsmöglichkeiten vieler. Ein derartiges Staatsziel würde wirtschaftliche Interessen von wenig innovativen und noch immer umweltschädlich Produzierenden schützen, statt alle auf zukunftsfähiges Wirtschaften vorzubereiten und dabei zu unterstützen. Die dringend nötige Transformation würde verschoben - wohlwissend, dass sie nicht aufgehoben werden kann.