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Herausforderung Pflegereform

Von Helfried Bauer und Karoline Mitterer

Gastkommentare

Dass der Pflegebereich Reformen braucht, steht außer Frage. Doch wie kann es gelingen, dass Bund, Länder und Gemeinden an einem Strang ziehen?


Prognosen der Statistik Austria zeigen einen markanten Anstieg von älteren Personen in den nächsten Jahrzehnten. Die Nachfrage im Pflegebereich wird in den nächsten Jahrzehnten massiv steigen. Es gilt, zeitgerecht ein ausreichendes und qualitativ hochwertiges Angebot (ambulante, stationäre wie auch Pflege zu Hause) zur Verfügung zu stellen. Dass der Pflegebereich Reformen braucht, steht außer Frage.

Doch die Gebietskörperschaften verfolgen nicht immer die gleichen Ziele, sie stehen auch vor unterschiedlichen Herausforderungen und verfolgen eigene Interessen. Was also braucht es, um eine Reform tatsächlich in Gang zu bringen? Zunächst ein gemeinsames Problemverständnis sowie gemeinsame Ziele betreffend Finanzierung, Qualitätsstandards und verbesserte institutionelle Steuerung. Und last but not least auch die Bereitschaft und das Vertrauen zu nachhaltigen Lösungen.

Gemeinschaftsaufgabe Pflege

Sowohl Bund, Länder als auch Gemeinden tragen Verantwortung im Pflegebereich. Deutlich wird dies anhand der aktuellen Finanzierung der Pflege (siehe Abbildung). Der Bund trägt die Ausgaben für das Pflegegeld, dieses wird von Ländern und Gemeinden ko-finanziert. Auch die 24-Stunden-Betreuung wird von Bund und Ländern gemeinsam getragen.

Bei den Ländern und Gemeinden liegt der Schwerpunkt auf der Finanzierung der Pflegedienstleistungen, daher von Pflegeheimen, Tagespflegezentren oder der mobilen Pflege. Die Gemeinden ko-finanzieren die Pflegedienstleistungen der Länder über die Sozialhilfeumlage, teils erbringen sie auch selbst Leistungen. Zusätzlich fließen Mittel aus dem Pflegefonds ein, welcher von Bund, Ländern und Gemeinden dotiert wird.

Insgesamt trägt der Bund die Hälfte der Ausgaben im Pflegebereich, Länder und Gemeinden finanzieren etwa zu gleichen Teilen die zweite Hälfte. Diese Übersicht umfasst jedoch nur jene Ausgaben, welche von der öffentlichen Hand getragen werden. In die Pflege fließen zusätzlich 1,4 Mrd. Euro an Beiträgen von betreuten Personen oder deren Angehörigen.

Mangelnde Kooperation

Die Dynamik der Ausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden sind unterschiedlich. Das Pflegegeld wurde seit 1993 nur fünfmal für alle Stufen valorisiert. In den letzten fünf Jahren erhöhte sich das Pflegegeld um nur drei Prozent. Dem gegenüber stiegen die Ausgaben für Pflegedienstleistungen, welche von Ländern und Gemeinden gemeinsam getragen werden, um 17 Prozent, die Sozialhilfeumlagen sogar um 26 Prozent.

Ein markantes Beispiel ist auch die Abschaffung des Pflegeregresses. Hier wurde eine Maßnahme beschlossen, ohne die konkreten kurz- und langfristigen Wirkungen sowie damit verbundene Zusatzkosten für Länder und Gemeinden zu kennen. Schlussendlich hat zwar der Bund diesen einen Großteil der höheren Belastung ersetzt, aber die längerfristigen Wirkungen werden von Ländern und Gemeinden zu tragen sein. Denn diese Maßnahme trägt letzten Endes zu einer Attraktivierung der stationären Pflege bei, wohingegen im mobilen Bereich nach wie vor (teils) Selbstbehalte bestehen. Damit widerspricht diese Maßnahme dem allgemeinen Entwicklungsziel "Mobil vor stationär" im Pflegebereich.

Unterschiedliche Organisation

Die Organisation von Pflege und Altenbetreuung unterscheidet sich zwischen den Ländern, teils auch zwischen Gemeinden. Stationäre Pflegeeinrichtungen können - je nach Land - sowohl von Gemeinden/Gemeindeverbänden, aber auch vom Land getragen werden. In Vorarlberg und Wien bestehen eigene Trägerorganisationen (z.B. Vorarlberger Sozialfonds). Auch in der mobilen Pflege oder bei Tageszentren bestehen differenzierte Leistungen. Qualitätsvolles Management im Weg von Care-und-Case-Management erscheint unterschiedlich entwickelt.

Es zeigen sich insgesamt grundsätzliche, politische Probleme im föderalen System. Die Interessen der Bürger stehen wohl nicht im Mittelpunkt, wenn die steigenden Anforderungen und finanziellen Lasten möglichst dem jeweils anderen Partner aufgehalst werden. Auch Mängel im Steuerungssystem bestehen, wegen ungenügenden institutionellen und organisatorischen Regelungen, aber auch wegen fehlender gemeinsamer Strategien. Es gibt wenig gegenseitiges Vertrauen und eine mangelnde Bereitschaft für Innovation und Lernen voneinander.

Anhörung statt Mitbestimmung

Ende 2018 wurde der Masterplan Pflege von der Bundesregierung präsentiert. Er benennt einerseits Zielrichtungen (v.a. "Mobil vor stationär"), andererseits enthält er eine Vielzahl an Einzelmaßnahmen (wie etwa Imagekampagnen und Zertifikate). Antworten auf wichtige Fragen - etwa Pflegefinanzierung, Pflegepersonalmangel oder Verbesserung der Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Berufstätigkeit - sollen im Laufe des Jahres 2019 erarbeitet werden.

Im Masterplan wird in erster Linie von "Konsultationen" gesprochen. Dies lässt nicht erwarten, dass ein gemeinsamer strategischer Prozess auf Augenhöhe angestrebt wird. Bisher wurde ein Arbeitskreis "Pflegevorsorge" eingerichtet. Zusätzlich fand das Forum "PFLEGE.fit für die Zukunft" mit verschiedenen Stakeholdern statt. Ein intensiver Diskussionsprozess - insbesondere zu zentralen Fragestellungen - hat nicht stattgefunden. Bund, Länder und Gemeinden werden den Pflegebereich nur gemeinsam qualitativ und quantitativ weiterentwickeln können. Hierzu wäre eine Verbesserung der Mehr-Ebenen-Steuerung anzustreben, welche stärker auf Information, Koordination und - bei Bedarf - auf differenzierte Verträge setzt. Ohne gute Verhandlungsdesigns sowie zeitgemäße Lösungen zum Interessenausgleiche wird eine Pflegereform nur schwer zu beschließen und tatsächlich umsetzbar sein.

Gemeinsame Ziele

Es braucht zuerst gemeinsame, gebietskörperschaftsübergreifende strategische Ziele, geeignete Prozesse und Instrumente zur Koordination, Maßnahmen zum Ausbau der Kapazitäten und deren Finanzierung. Fundament eines gelungenen Reformprozesses wären jedenfalls vertrauensbildende Maßnahmen sowie institutionelle Innovationen.

Dies bedeutet, die Governance-Perspektiven stärker zu berücksichtigen:

Herausfinden von bestehenden Stärken und Schwächen - etwa mit Gap-Analysen der OECD

föderale Kooperation und Abstimmungsprozesse hinsichtlich Outcomes (Wirkungsziele)

Anpassen bestehender Regeln, um teils schwierige Fragen zu lösen (z.B. Personalmangel, Kontrakte zwischen Akteuren, Ergebnismessung, Ergebnisverantwortung sowie Innovationsbereitschaft).

Zentraler Ansatz ist ein gemeinsamer Zielentwicklungsprozess zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, welcher zu einem gemeinsamen Verständnis der Problemlagen und Zielausrichtungen führt. Dies betrifft etwa Fragen, wie die Pflege in einem mehrjährigen Zeitraum - auch personell - ausgestaltet sein soll. Wie soll das Verhältnis zwischen mobilen und stationären Diensten sein? Welche Rolle sollen Tageszentren haben? Wie sollen Schnittstellen zwischen Gesundheit und Pflege funktionieren?

Es braucht keine neuen Erfindungen, man kann auch schon bestehende innovative Ansätze nutzen. Hierzu zählen etwa der neue Zielsteuerungsprozess im Gesundheitswesen oder das Einrichten von Fonds zur Erarbeitung von strategischen Zielen, zum Management der Leistungserbringung und zur Finanzierung der Leistungen, wie in Vorarlberg und in Wien. Sie können als Möglichkeiten der erforderlichen Governance-Reformen bei mehreren Regierungsebenen und anderen Akteuren betrachtet und weiterentwickelt werden.