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Der türkis-blaue Weg in eine autoritäre Demokratie

Von Gerfried Sperl

Gastkommentare

Erst die Wahl im Herbst wird zeigen, ob Österreich diesen Kurs endgültig einschlägt.


Nach dem Scheitern der türkis-blauen Koalition werden die Resultate der EU-Wahlen umso wichtigere Aufschlüsse über die Zukunft des traditionellen westeuropäischen Demokratiemodells bringen. Schaffen die nationalistischen Populisten starke Zuwächse, steigt der Druck, das liberale, auf Gewaltenteilung gebaute System durch ein autoritäres, illiberales zu ersetzen. Die Zahl der Verfechter dieser nur reduziert pluralistischen Regierungsvariante hat sich seit der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 stark vergrößert. Zum "Stammland" Ungarn ist Polen gekommen, dann Italien als eines der größten EU-Mitglieder. Welche ideologischen Gemeinsamkeiten gibt es?

Sie wollen die Kontrolle durch die Verfassungsgerichtshöfe durch regierungsnahe Richter ersetzen.

Sie wollen die Wahlsysteme so verändern, dass Mehrheitsparteien bereits mit 40 Prozent der Stimmen Zweidrittelmehrheiten bei den Mandaten erzielen.

Sie möchten die Medien, vor allem das Fernsehen, den jeweiligen Regierungen unterstellen: durch staatliche Finanzierung und/oder Beteiligung regierungsnaher Unternehmen.

Sie wünschen sich Wirtschafts- und Strukturhilfen aus Brüssel, lehnen jedoch soziale Verpflichtungen ab.

Sie möchten eine europäische Grenzarmee, die den Kontinent zur Festung macht. Einwanderer aus den islamischen Ländern werden als Erste zurückgeschickt.

Im Inneren der Länder wird ein Apparat zur Überwachung der Bürger aufgebaut, der weitgehende Vollmachten unter Ausschaltung der Justiz hat.

Rote Versuche, die Säulen der Demokratie zu schwächen

Einige dieser Entwicklungen hat der ehemalige Vizekanzler und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner in seinem Buch "Haltung" bezeichnet oder angedeutet. Sein Schluss: Auch in Österreich gebe es Anzeichen für die Formung einer "autoritären Demokratie". Mitterlehner stellt fest: "Die Regierung verkauft die Mindestsicherung als Errungenschaft für Österreicher zuerst, als hätte es den Artikel 1 der Menschenrechtskonvention - ‚Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren . . .‘ - nie gegeben." Er greift auch einen Aspekt auf, der bisher zu wenig diskutiert wird. Er vergleicht die Verstaatlichung des Asylwesens mit einer Art Verstaatlichung der Rechtsvertretung, so "als würde der Staat bei der Justiz auch gleich die Rechtsanwälte inkorporieren".

In der jüngeren österreichischen Geschichte hat es zweimal Versuche gegeben, die Säulen der Demokratie zu schwächen. Den ersten unternahm der Sozialdemokrat, ÖGB-Präsident und dann Innenminister Franz Olah. Da die parteipolitisch unabhängigen Zeitungen tendenziell SPÖ-kritisch waren, unterstützte er 1959 die Gründung der "Kronen Zeitung" mit massiven Geldflüssen des Gewerkschaftsbundes. Das war illegal, veränderte aber die österreichische Presselandschaft. In der SPÖ selbst wollte Olah Anfang der 1960er die Macht an sich reißen, traf aber auf erbitterten Widerstand des späteren Justizministers Christian Broda. Olah habe die SPÖ in eine "Führerpartei" verwandeln wollen, sagte Broda wiederholt während des Machtkampfes, der schließlich zum Ausschluss des auch an einem Machtzuwachs für den Geheimdienst arbeitenden Olah führte. "Schatten über Österreich" titelte damals die "Wochenpresse" unter ihrem Chefredakteur Bruno Flajnik. Olah antwortete mit Beschlagnahmen von Zeitungen.

Den zweiten Versuch inszenierte Bruno Kreisky. Als der Bundeskanzler (vom Publizisten Kurt Vorhofer als "Sonnenkönig" bezeichnet) nach der verlorenen Zwentendorf-Abstimmung 1978 von der SPÖ eine "Generalvollmacht" erhielt und die darauf folgende Nationalratswahl im Mai 1979 mit 51 Prozent der Stimmen gewann, war der Sinn des Ganzen, sicherzustellen, dass er weiterhin tun konnte, was er vorher schon getan hatte: die SPÖ ohne Widerstand zu führen, Postenbesetzungen alleine zu entscheiden, auch die in der Regierung. Vielleicht hätte er damals sogar Wahlrechtsänderungen à la Viktor Orbán durchgebracht. So hatte diese "Generalvollmacht" einen autoritären Effekt, einen absolutistischen Geschmack, aber keine staatspolitischen Folgen. Interessant ist, dass im Zuge der Machtübernahme von Sebastian Kurz in der ÖVP selbst von journalistischer Seite keine Erinnerungen an Kreiskys Vorgehen wach wurden.

Die FPÖ-Spitze hätte Kurz in eine autoritäre Politik gedrängt

Wäre die türkis-blaue Koalition jetzt fortgesetzt worden, hätte das FPÖ-Spitzentrio Heinz-Christian Strache, Norbert Hofer und Herbert Kickl Kanzler Kurz Schritt für Schritt in eine autoritäre Politik gedrängt. Drei Aspekte:

Bei den nächsten regulären Wahlen hätte man eine Zweidrittelmehrheit zu erreichen versucht. Dann hätte dieser rechtspopulistische Block nicht nur Verfassungsänderungen beschließen können, sondern für die Zeit ab etwa 2025 auch ein neues Wahlrecht. Eines, das seine Verfassungsmehrheit absichern würde.

Wiederum mit der Voraussetzung der Zweidrittelmehrheit an Mandaten wäre eine Entmachtung der Bundesländer beabsichtigt gewesen und damit das Ende der föderalistischen Grundstruktur Österreichs. Mit der Zentralisierung der Gebietskrankenkassen ist (trotz der selbst von ärztlicher Seite begrüßten Vorteile gegenüber dem bisherigen System) ein erster Schritt schon auf dem Weg. Das Totschlagargument dabei: Zentralisierung ist billiger.

Setzt Kurz Akzente, die zurück in die politische Mitte führen?

Aus dem Ibiza-Video, das Straches Karriere beendet hat, gehört eine Passage zu diesem Katalog: der Kauf von 50 Prozent der "Kronen Zeitung" durch russische Oligarchen und das damit verbundene Ende der Unabhängigkeit des Blattes und seiner Redaktion. Selbst wenn der ehemalige Vizekanzler dies "im Suff" gesagt haben sollte, gilt eindeutig: In ihm wohnen solche Ideen und zeigen damit seine diktatorischen Ambitionen.

Die große Frage ist, wie Kurz seinen Wahlkampf anlegen wird. Bleibt er auf der Linie der zerbrochenen Koalition oder setzt er Akzente, die wieder zurück in die politische Mitte führen? Ein Beispiel: An der Flüchtlingspolitik der türkis-blauen Bundesregierung war ablesbar, wie sehr sie sich an der ungarischen Linie orientierte: Am besten keine Flüchtlinge aufnehmen, und jene, die schon da sind, mit Hungerlöhnen abspeisen. Verteidigt Kurz weiterhin den Stundenlohn von 1,50 Euro oder rückt er davon ab? Ein zweites Beispiel: Welchen ORF wünscht er sich? Weiter mit Finanzierung durch Gebühren oder mit Steuergeldern?

Ein rot-blauer Faden ziehtsich von Olah zu Kickl

Überwölbt wurde dieses "neue Österreich" bis jetzt vom Wunsch des Innenministers Kickl, einen effizienten Überwachungsapparat zu schaffen, der ihn zum Exekutor der Visionen George Orwells machen würde. Insofern zieht sich ein rot-blauer Faden von Olah zu Kickl. Ein Hauch von Metternich weht durch die ministeriellen Kanzleien.

Österreich ist derzeit geprägt von einem seltsamen Gegensatz. Der politischen Verengung à la Ungarn und Polen steht eine gesellschaftspolitische Liberalisierung gegenüber, die allerdings nicht hausgemacht ist. Vor wenigen Tagen wurde in einer Geburtsurkunde mit dem Wort "divers" der erste Österreicher mit einem "dritten Geschlecht" eingetragen. Nicht auszuschließen ist, dass dieser Gegensatz bestehen bleibt und eine Schlagzeile Realität wird, die jüngst das Satireportal "Tagespresse" publiziert hat: "Neuwahlen: Kurz will ab Herbst wieder mit FPÖ regieren."