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Die EU muss in den Regionen sichtbarer werden

Von Julia Bachtrögler und Harald Oberhofer

Gastkommentare

Kann die Regionalpolitik der Europäischen Union das Wahlverhalten beeinflussen?


Die EU-Wahl am vergangenen Sonntag wurde in vielen Ländern nicht nur vor dem Hintergrund der Abfrage der Meinung der Wahlbevölkerung zu innenpolitischen Entwicklungen mit Spannung verfolgt. Einerseits deutet dabei die überraschend hohe Wahlbeteiligung auf ein gesteigertes Interesse an der Europäischen Union und ihrer Politik hin. Andererseits spiegelt sich dieses Interesse nicht nur in Stimmen für proeuropäische Parteien wider. In Frankreich etwa konnte der von Marine Le Pen angeführte euroskeptische Rassemblement National die meisten Stimmen auf sich vereinen, und auch in Italien liegt die europakritische Lega von Regierungschef Matteo Salvini in Führung. Insgesamt fielen die Stimmenzuwächse der europakritischen Parteien aber moderater als erwartet aus.

Im aktuell laufenden mehrjährigen Finanzrahmen der Europäischen Union bildet das Budget für die EU-Regionalpolitik nach den Ausgaben für die gemeinsame Agrarpolitik den zweitgrößten Budgetposten. So wurden etwa im Jahr 2017 rund 53,5 Milliarden Euro zur Förderung der europäischen Regionen ausgegeben. Das Ziel dieser Politiksäule ist es, über systematische Investitionen zur Stärkung der Wirtschaft und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze insbesondere, aber nicht nur, in strukturell schwächeren Regionen beizutragen. Hierdurch soll sich die Lebensqualität der europäischen Bürgerinnen und Bürger in den geförderten Regionen verbessern.

Mehr Geld und effektivere Politik fördern EU-Akzeptanz

In einer kürzlich erschienen wissenschaftlichen Studie gehen wir der Frage nach, ob die europäische Regionalpolitik durch die angestrebte Verbesserung der Lebensqualität auch die Einstellung der Bevölkerung gegenüber der EU verändern kann. Konkret wird untersucht, ob die Wählerinnen und Wähler in Regionen, die in einem vergleichsweise hohen Ausmaß von der EU-Regionalförderung profitiert haben, verstärkt proeuropäisch wählen beziehungsweise weniger Stimmen an euroskeptische Parteien vergeben.

Als Fallbeispiel dient dabei die französische Präsidentschaftswahl von 2017. Diese bietet sich besonders für eine solche Untersuchung an, da dem proeuropäischen Kandidaten Emmanuel Macron, der eine weitere Integration der EU anstrebt, Marine Le Pen als stark euroskeptische Kandidatin gegenüberstand.

Die Ergebnisse der Untersuchung deuten darauf hin, dass die Wählerinnen und Wähler in Regionen, die in der Förderperiode vor der Wahl relativ mehr EU-Regionalförderung pro Kopf bezogen, weniger stark für Le Pen und vermehrt für Macron stimmten. Das proeuropäische Wahlverhalten war darüber hinaus in den Regionen besonders stark ausgeprägt, in denen die EU-Regionalförderung auch tatsächlich positiv zum Beschäftigungswachstum beigetragen hat. Ein um einen Prozentpunkt höheres Beschäftigungswachstum in den geförderten Unternehmen in der Region war mit einem im Durchschnitt um zwei Prozentpunkte niedrigeren Wahlanteil für Le Pen verbunden. Dieser empirische Befund deutet also darauf hin, dass die europäische Regionalpolitik durchaus positiv zur Einstellung der Bevölkerung gegenüber der EU, die in ihrer Wahlentscheidung Niederschlag findet, beitragen kann.

Wirksamkeit von Förderungen darstellen und verbessern

Diese Erkenntnis ist ein Auftrag für die europäische und auch die nationale Politik. Eine stärkere und öffentlich wirksamere Darstellung der Maßnahmen der EU in den einzelnen Regionen kann die Sichtbarkeit derselben und somit die Unterstützung für die europäische Politik in der Bevölkerung steigern. Zugleich gilt es allerdings auch die Wirksamkeit europäischer Förderungen in den geförderten Unternehmen und damit in den betroffenen Regionen zu verbessern und diese auf die lokalen Bedürfnisse auszurichten. Vorliegende Studien deuten nämlich darauf hin, dass die EU-Regionalfördermaßnahmen auf nationaler Ebene zwar zu einem zusätzlichen Beschäftigungs-, Wertschöpfungs- und Produktivitätswachstum in den geförderten Unternehmen beitragen können, es aber deutliche Unterschiede zwischen und auch innerhalb der Länder gibt.

Es müsste also wissenschaftlich untersucht werden (können), warum in gewissen Regionen die EU-Regionalförderung insgesamt zu mehr Beschäftigung führt, während in anderen Regionen keine spürbaren Effekte nachzuweisen sind. Dies kann die Wissenschaft allerdings nur dann leisten, wenn die hierzu notwendigen Daten in der maximal möglichen Detailliertheit für Forschungszwecke bereitgestellt werden. Da Individualdaten zu den Förderungsempfängern nicht für alle EU-Mitgliedsländer in derselben Qualität und Quantität zur Verfügung stehen, ist ein empirischer Vergleich der Effektivität der EU-Regionalpolitik und einzelner Maßnahmen daraus zwischen den EU-Mitgliedstaaten und vor allem auf der lokalen Ebene kaum möglich. Im Sinne einer evidenzbasierten effizienten und effektiven Politikgestaltung wäre es jedoch notwendig, diese Befunde flächendeckend zur Verfügung zu haben, um die finanziellen Mittel durch eine Reform der EU-Regionalpolitik ab 2021 wirksam und zielgerichtet einsetzen zu können.

Die zukünftige EU-Kommission und das neugewählte EU-Parlament sollten sich diesem Thema jedenfalls zügig annehmen, umso mehr, da eine wirksame Politikgestaltung dazu beitragen kann, die Zustimmung für euroskeptische Parteien zu reduzieren.

Eine Langfassung des Textes ist als Policy Brief der Österreichischen
Gesellschaft für Europapolitik erschienen: www.oegfe.at/policybriefs