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Warum nicht einmal Kasachstan?

Von Helga Freund

Gastkommentare

Das Problem "Overtourism": Sowohl Einheimische als auch Urlauber beklagen sich über die scheinbar unaufhörlichen und immer intensiveren Touristenströme in die Metropolen dieser Welt.


In Österreich ist der Verdruss am Beispiel Hallstatt erkennbar: Das kleine Städtchen im Salzkammergut zählt 770 Einwohner. An gut besuchten Tagen kommen bis zu 10.000 Touristen in den Weltkulturerbeort - vorrangig aus dem asiatischen Raum. Logisch, dass hier nicht viel von der Kleinstadtidylle übrig bleibt. Aus diesem Grund hat der Gemeinderat nun beschlossen, den Massenandrang in geordnete Bahnen zu lenken. Ähnlich wie Flugzeuge auf Flughäfen sollen Touristenbusse künftig bestimmte Zeitfenster (Slots) zur Einfahrt in den Ort erhalten, um so die Ankünfte der Besucher zu regulieren.

Zwei Drittel meiden bestimmte überlaufene Destinationen

Das "Overtourism"-Phänomen und die daraus resultierenden Ärgernisse beschränken sich aber nicht nur auf Hallstatt - auch Salzburg und die Wiener Innenstadt stöhnen zuweilen. Die Österreicher kennen "Overtourism" aber nicht nur aus dem eigenen Land, sondern auch von ihren eigenen Reisen und Urlauben. Die Konsequenz? Das Reiseverhalten wird entsprechend angepasst. Bereits zwei Drittel der Österreicher meiden laut aktueller Umfrage schon bestimmte Destinationen beziehungsweise verzichten ganz bewusst auf touristische Hotspots.

29 Prozent haben "Overtourism" bereits erlebt. Sie beklagen überfüllte Plätze und Strände, den Verlust des lokalen Kolorits und lange Warteschlangen vor beliebten Sehenswürdigkeiten. Die am stärksten frequentierten Städte in Europa sind Barcelona, Amsterdam und Venedig. Kataloniens Hauptstadt zum Beispiel verzeichnet bei 1,6 Millionen Einwohnern gut 30 Millionen Urlauber im Jahr. Angesichts dieser Zahlen ist es also nicht verwunderlich, dass sich eine gewisse "Touristen-Phobie" einstellt - nicht nur bei den Bewohnern, sondern auch bei den Urlaubern selbst.

Tödlicher Bergsteigerstauauf dem Mount Everest

Eine besonders krasse - und zutiefst traurige - Entwicklung in Hinblick auf "Overtourism" sehen wir auch in der diesjährigen Klettersaison im Himalaya. Allein in der vergangenen Woche sind auf dem "Dach der Welt" mehr als ein Dutzend Bergsteiger verstorben, weil sich in den letzten Metern vor dem Gipfel des Mount Everest ein regelrechter Stau bildete - in der "Todeszone" über 8000 Meter, in der mit jeder Stunde die Überlebenschance sinkt. Eine Diskussion um die Beschränkung der Permits ist bereits entfacht, ebenso um eine mögliche Verpflichtung für Regierung und Tourenanbieter, nur wirklich erfahrenen Bergsteigern den Aufstieg zu erlauben.

Wie also selbst mit "Overtourism" umgehen? Nun, man könnte etwa eher in Richtung "Unbalanced Tourism" denken und sich selbst fragen: Muss ich da wirklich hin? Gibt es nicht eine andere Stadt, einen anderen Ort, ein anderes Land, das genauso sehenswert, aber noch nicht so überlaufen ist? Reiseziele abseits der touristischen Trampelpfade bieten neue Eindrücke, die vielleicht noch nicht von der breiten Öffentlichkeit tausendfach "geshared" oder "geliked" wurden. Und sie ermöglichen mit Sicherheit authentischere Begegnungen mit Einheimischen.

Anders als die toskanischen Städte Florenz, Pisa oder Siena liegen Volterra, Colle Val d’Elsa oder Montepulciano noch weitgehend im Verborgenen und bieten Reisenden ein echtes Stück Toskana. Über den Tellerrand geblickt, lassen sich neue interessante Destinationen erschließen, die noch nicht so viele auf dem Radar haben. Wie das beeindruckende Karpatenland Rumänien mit den reizvollen Städten Brasov oder Sibiu in Siebenbürgen zum Beispiel. Oder ein wenig weiter - wer bitte war zum Beispiel schon einmal in Kasachstan? Das dünn besiedelte Land beeindruckt mit einer unglaublichen landschaftlichen Schönheit rund um die alte Hauptstadt Almaty. Allein die entlegene Region Mangystau ist ein Grund, nach Kasachstan zu reisen. Von Massentourismus ist hier noch keine Spur und ja, auch der Urlaubs-Euro ist hier jede Menge wert.

Es muss ja nicht immerin der Hauptreisezeit sein

Wer die Hotspots dieser Welt dennoch nicht meiden möchte oder kann, sollte sich fragen: Muss ich genau dann verreisen, wenn alle hinfahren? Wann ist in diesen Städten weniger los, welche Reisezeit bietet sich an? Oftmals hilft es schon, die Vorsaison zu nutzen und die Reisen wenn möglich unter der Woche anzusetzen anstatt an einem verlängerten Wochenende. Gibt es Geheimtipps und alternative Sehenswürdigkeiten? In Rom ist das Quartiere Coppedè sehr zu empfehlen, in Barcelona ist der weniger überfüllte Mercat de Santa Caterina einen Besuch wert. Auch das durch seine Größe und Schönheit bestechende ehemalige Krankenhaus Hospital de Sant Pau unweit der Sagrada Familia mit seinem unterirdischen Gang kennt noch keinen Massentourismus.

Reisen kann und soll man an 365 Tagen im Jahr, es gibt immer etwas zu entdecken und zu erforschen - sowohl in der Nähe als auch in der Ferne. Und der Mut zu neuen Destinationen wird zumeist mit authentischen und intensiven Impressionen belohnt, die es eben noch nicht in sämtlichen Feeds auf Facebook oder Instagram gibt. Und jeder Reisende kann dann für sich überlegen, ob der Geheimtipp vielleicht doch noch ein wenig geheim bleiben sollte.