Zum Hauptinhalt springen

Politik ohne Ethik

Von Peter Kampits

Gastkommentare

Es bedarf einer Rückkehr zu Tugenden, die seit der Antike das Fundament eines florierenden rechtsstaatlichen Gemeinwesens bilden.


Verfolgt man die jüngsten Geschehnisse der österreichischen Politik, so fällt auf, dass immer wieder von der Verfassung und vom Rechtsrahmen die Rede ist - eine strengere Befolgung von Gesetzen soll die Undurchsichtigkeit von Parteifinanzierungen aufhellen, Korruptionsanwälte und Untersuchungsausschüsse werden gefordert - eines aber fehlt: ein Hinweis auf die enge Verflechtung von Ethik und Politik.

Damit ist weder eine Moralisierung der Politik noch eine Politisierung der Moral gemeint, sondern schlicht und einfach die Forderung nach einer ethischen Grundsätzen folgenden Politik. Dabei ist es unerheblich, ob man der von Max Weber geforderten Unterscheidung von Gesinnungs- oder Verantwortungsethik folgt - beide sind im Grunde genommen eng miteinander verbunden. Es geht einfach darum, jene staatsmännischen Tugenden wieder aufleben zu lassen, die seit der Antike das Fundament eines florierenden rechtsstaatlichen Gemeinwesens bilden. Es bedarf keiner ausgeklügelten ethischen Theorien, sondern einer Rückkehr zu Prudentia (Klugheit), Fortitudo (Tapferkeit), Temperantia (Mäßigung) und Iustitia (Gerechtigkeit), sowohl für den Einzelnen als auch für Institutionen.

Dass sowohl Anständigkeit als auch Fairness dazugehören, wurde vor allem in den sozial orientierten politischen Theorien der Gegenwart immer wieder betont. Die ausschließliche Berufung auf gesetzliche Rahmenbedingungen und deren allfällige Rückkoppelung auf strafrechtlich zu ahndende Verfehlungen greift zu kurz. Darum ist die Forderung nach Epikie (Billigkeit) unverzichtbar, da sie dort, wo die Gesetze nicht wörtlich greifen können, für die Angemessenheit der gesetzlichen Entscheidungen sorgen kann. Wegweisend für die Politik wäre in diesem Zusammenhang das Gesellschaftsmodell der "Decent Society", das Avishai Margalit entworfen hat, mit der Hauptforderung, dass die Menschen durch Institutionen keinerlei Demütigungen erfahren.

Im Gegensatz zu gesetzlichen Vorgaben kann Sittlichkeit nicht von außen auferlegt werden, sondern geht aus der autonomen Entscheidung des Einzelnen hervor - im äußersten Fall auch gegen die Verbindlichkeit des Gesetzes.

Die rechtliche Verantwortlichkeit ist gewöhnlich durch das staatliche Normensystem gesichert. Die politische Verantwortlichkeit hingegen wird nur selten von den Protagonisten übernommen und ist nur schwer einzufordern, da sie in erster Linie im Bereich des Ethisch-Moralischen angesiedelt ist und erst in zweiter Linie gesetzlich geahndet werden kann. Hinzu kommt, dass die Ahndungsmöglichkeiten, die der Gesetzgeber einräumt, im schlechtesten Fall nur diesem wieder zugutekommen können, weil auf politischer Ebene nicht das Volk die Regeln macht, sondern partikulare Interessen etwa der Parteien durch entsprechende Politik berücksichtigt werden. Dass man zum Beispiel bei Wahlspenden und Parteienfinanzierung überhaupt Offenlegung fordern muss, ist bereits ein Zeichen dafür, dass das System ethisch dringendst nachzubessern ist. Recht muss von der Ethik gestützt werden, Ethik bedarf des rechtlichen Schutzes. Die Ernennung von Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein kann als Signal in diese Richtung angesehen werden.

Peter Kampits ist Gründungs- und Altdekan der Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft an der Universität Wien.