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Wie wir leben wollen

Von Veronika Gmachl

Gastkommentare

Die Digitalisierung ist voll im Gange - und sie verändert unsere Gesellschaft fundamental.


Als Kind verbrachte ich in den 1970ern und 1980ern viel Zeit im Wald, auf dem Bauernhof und in den Wirtshäusern der Verwandtschaft. Wir hatten ein Vierteltelefon mit Wahlscheibe. Im Büro meines Vaters lernte ich eine großartige Erfindung kennen: eine Schreibmaschine, bei der man einzeln Zeilen korrigieren konnte, bevor man sie von den Typen über das Farbband auf Papier drucken ließ. Das Versprechen großer Ersparnisse - an Papier und auch an Arbeitszeit - ermöglichte und rechtfertigte die hohe Investition.

Später bekamen mein Bruder und ich einen Commodore 64 von unseren Eltern. Wir saßen vor dem schwarzen Bildschirm mit den grünen Punkten und brachten uns selbst das Programmieren bei. Wir spielten und lernten dabei, brachten einer englischen Sprachsoftware bei, deutsche Worte richtig auszusprechen, entwickelten kleine Programme. Die Matura war von der Digitalisierung jedoch eigentlich unbeeinflusst, obwohl neben dem Raum, in dem wir auf Schreibmaschinen das Zehn-Finger-System lernten, ein EDV-Labor eingerichtet worden war - ausgestattet mit aussortierten Rechnern aus der Wirtschaft.

Einige Jahre später verfasste ich meine Abschlussarbeit - zusätzlich zur verpflichtenden gedruckten Version - in HTML, um sie nicht im Keller der Hochschule verstauben sehen zu müssen. Es ging um den Zoo in der Schule und die Schule im Zoo, ich war sicher, dass der gesamte Lehrplaninhalt auch draußen in der Natur vermittelbar war, und wollte den Zwischenschritt der künstlichen Lebenswelt Zoo verwenden, um die Menschen der Schule näher an die "echte" Welt zu bringen. Die Abspaltung des Menschen von der Natur kam mir - und kommt mir immer noch - falsch vor. Durch diese auf der Hochschul-Website verfügbare Arbeit wurden einige Menschen, die sich mit ähnlichen Themen auseinandersetzten, auf mich aufmerksam, und ich erkannte, dass es stimmt: Das Internet ist ein großartiges soziales Interaktionstool.

Eine bewusste Bildung neuer Gewohnheiten ist gefordert

In der Zwischenzeit haben sich die Technologie und ihre Anwendungsmöglichkeiten so weit voranentwickelt, dass es schwerfällt, all ihre Möglichkeiten zu überblicken. In der seit zirka 1800 existierenden Enzyklopädie, für die ich heute in Österreich Verantwortung trage, wird das so beschrieben: "Digitalisierung, im ursprünglichen Sinn die Umwandlung analoger Signale in digitale Daten, die mit einem Computer weiterverarbeitet werden können, in einem weiteren Sinn der Prozess einer alle Lebensbereiche umfassenden Transformation hin zu einem Dasein, dass von digitalen Daten bestimmt wird."

Um selbstbestimmt leben zu können, auf einem gesunden Planeten, eingebettet in eine Kultur, die das Miteinander fördert und individuelle Kreativität sowie Leistung möglich macht, ist gerade in Zeiten der Digitalisierung eine bewusste Bildung neuer Gewohnheiten gefordert. Nicht umsonst liest man allerorts, dass "der Mensch im Zentrum" sein müsse - und mit dieser Aussage schwingt nicht selten eine gewisse Angst mit. Von dieser Angst liest man schon in E. M. Forsters im November 1909 in der "Oxford and Cambridge Review" erschienenen Aufsatz "The Machine Stops". Er schreibt von einer durch "die Maschine" gesteuerten Menschheit, die in isolierten Zellen unter der Erde leben und nur mit Passierschein auf die Erdoberfläche dürfen.

Angst ist einschlechter Ratgeber

In den Sorgennarrativen von heute hört man etwa vom gläsernen Menschen, es werden Szenarien entwickelt, die es uns ermöglichen wollen, auf den Mars zu entfliehen, und es wird von Fehlentscheidungen der Künstlichen Intelligenz berichtet. Angst ist ein schlechter Ratgeber, darum eine kleine Anekdote dazu: Angeblich wurde ein Algorithmus entwickelt, der Millionen von E-Mails analysierte - wahrscheinlich um automatische, jedoch persönlich wirkende Antworten zu verfassen -, und immer, wenn der Algorithmus von einem E-Mail verwirrt war, antwortete er mit: "Ich liebe Dich." Dies schien die passende Aussage zu sein, wenn ein Mensch nicht mehr weiterwusste, und weist darauf hin, dass es eigenständig denkende Menschen braucht, um Technologie sinnvoll anzuwenden.

Als Biologie- und Mathematiklehrerin, als Managerin und Mutter gehe ich noch einen Schritt weiter: Nicht der Mensch, sondern unser Ökosystem namens Erde steht im Zentrum - und mit jeder noch so alltäglichen Entscheidung setzen wir einen Impuls. Das kann die Entscheidung gegen ein Plastiksackerl sein, die Entscheidung für einen Handykorb, in dem das Smartphone während des Mittagessens Pause macht, die Entscheidung für eine App, die beim Waldspaziergang die Himmelsrichtung zeigt oder Schritte zählen hilft, oder die Wahl der kurzfristig höheren, aber nachhaltigeren Investition in digitalisierte Produktionsprozesse.

Reflektieren und kommunizieren

Es könnte auch die Entscheidung sein, in einer "Smart City" das Leben und das Miteinander-Lernen so zu gestalten, dass die Kinder mithilfe von Technologie und einem Masterplan viel näher an - nein, mitten in - der "echten" Welt wären und Schule das wird, was sie wortursprünglich bedeutet: ein Ort zum Innehalten, um das Erlebte zu reflektieren. In so einer "Smart City" würde das Forschungsergebnis, das die positive Wirkung von Interaktionen mit Kindern auf demente Personen belegt, sofort zu Kooperationen zwischen Pflegeheimen, Kindergärten und Schulen führen, und es stünde Architektur zur Verfügung, die echte Begegnung ermöglicht.

In diesen Zeiten der schnellen Entwicklungen, in Zeiten der Informationsflut und der exzessiven Kommunikation ist es auf persönlicher Ebene ganz besonders wichtig, zu reflektieren und zu kommunizieren. Für die Reflexionsfähigkeit sind körperliche Gesundheit und Innehalten wichtig, für die Kommunikationsfähigkeit braucht man Grundlagenwissen und Empathie. Die Digitalisierung kann uns in all diesen Bereichen unterstützen und zwingt uns gleichzeitig, eine gute Balance zwischen dem was möglich ist und dem was nötig ist zu finden - damit auf gesellschaftlicher und globaler Ebene in jedem der vielen Teilbereiche die richtigen Entscheidungen fallen können, Kollateralschäden möglichst abgewendet sowie Kollateralnutzen erkannt und dienstbar gemacht werden können.