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Der österreichische Journalismus schafft sich ab

Von Muamer Becirovic

Gastkommentare
Muamer Becirovic ist Herausgeber des Online-Magazins www.kopfumkrone.at.

Die heimischen Medien haben eine gründliche Selbstreflexion nötig. Die Deutschen sind uns hier meilenweit voraus.


So gut wie keine Branche ist derartig verkorkst und konservativ wie der österreichische Journalismus. Das Budget stecken die Chefredaktionen lieber in Society-Get-Togethers und Feiern, statt ihre guten Redakteure mit Recherchegeld auszustatten, um Exzellenz hervorzubringen. Das Credo der Chefredaktionen ist, auf Twitter von Armin Wolf oder Florian Klenk gelobt, für Moderationen gebucht oder gesehen zu werden. Österreichs Journalismus hat eine gründliche Selbstreflexion nötig.

Als freier Redakteur komme ich mit vielen Journalisten aus verschiedenen Zeitungen in Kontakt. Man unterhält sich, tauscht sich aus. Und je länger ich nun schreibe, desto drastischer fällt die Kritik der Kollegen an der eigenen Branche aus. Es gebe generell wenig Geld in der Branche. Das ist klar. Beachtlich ist, was man mit dem vorhandenen Geld anstellt. Es scheint so, als hätten kulturelle Nuancen der k.u.k.Monarchie und ihrer aristokratischen Attitüde überlebt, unbedingt gesehen werden und anderen gefallen zu müssen. Die Qualität leidet darunter extrem.

Ich habe zwei Newsletter abonniert: den Newsletter eines angesehenen österreichischen Chefredakteurs und den eines deutschen Chefredakteurs. Beide betreuen diesen gut und verlässlich. Dessen ungeachtet ist das Niveau der geistigen Auseinandersetzung so weit voneinander entfernt wie Moses geteilte Meereshälften. Während Österreichs Kommentatoren einander die Schädel einschlagen, weshalb die Meinung des anderen falsch und die eigene richtig ist, verfassen die Deutschen Beiträge mit tiefgründigen, analytischen und äußerst zeitlich aufwendigen Argumentationsketten, die in Österreich nicht auffindbar sind.

Ob’s uns Österreichern gefällt oder nicht: Die deutschen Medien sind uns meilenweit voraus. Nicht nur wegen ihres größeren Budgets - das ist zu kurz gegriffen. Sondern auch wegen ihrer akribischen Recherche, des besseren Schreibstils, der gründlicheren und tiefergehenden Analysen. Sie scheinen auch in vielerlei Bereiche mehr zu wissen. So lieferte etwa jüngst die "Zeit" einen genialen Text mit dem Titel "Wie radikal ist realistisch?", dessen Redakteur für die Erstellung Wochen geschrieben und gedacht haben muss. Nichts Vergleichbares wird man in Österreich finden.

Zum einen hat das damit zu tun, dass die äußerst klugen Köpfe dieser Republik lieber in Branchen gehen, in denen man entweder Macht oder viel Geld für seine Arbeit angeboten bekommt. Zum anderen werden bei uns unkonventionelle Köpfe nicht zugelassen. Interessante Querulanten kommen nicht einmal in die Nähe davon, einen Text schreiben zu dürfen. Schon gar nicht etwas von Bedeutung. Lieber kopiert man Agenturmeldungen von APA oder DPA, statt diese unangenehmen und oft klugen Köpfe in die Tasten hauen zu lassen. Keine Branche in Österreich lässt derartig wenig Unkonventionalität zu wie der Journalismus. Wir vermeiden die kontroverse Diskussion, wo wir nur können. Kritik empfinden wir als Majestätsbeleidigung, so detailliert und ausführlich argumentiert sie auch sein mag. Winston Churchills Texte, die die Redakteure mit Heugabeln in Richtung Büro des Herausgebers trieben, wurden trotzdem publiziert. Wieso? Weil der Herausgeber sie gut fand und man auch extravagante Leute wie ihn und seine Texte aushalten müsse.

In Österreich wäre Churchill wohl mit Sicherheit kaum publiziert worden. Und das ausschließlich aus persönlichen Empfindlichkeiten. Mein Gott, was könnte der andere über mich denken? Wie kommt das denn rüber, wenn wir den bei uns schreiben lassen? Ich war erstaunt darüber, dass das unter anderem ernsthafte Erwägungen sind, weshalb man Leute schreiben lässt oder nicht, so gut belegt und argumentiert der Text auch sein mag. Die Eintrittshürden in Österreichs Presse sind viel zu hoch. Exzellenz wird man damit definitiv nicht anziehen. Wir werden die Qualität des österreichischen Journalismus erst dann wieder gehoben haben, wenn es für deutsche Journalisten kein Abstieg mehr ist, hierher zu wechseln. Bis dahin müssen wir uns gefallen lassen, dass die Nachbarn um ein Vielfaches besser sind.