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Überhasteter Aktionismus

Von Heinz Fischer

Gastkommentare

Gedanken zum Nationalratsbeschluss, die Schließung des Dialogzentrums KAICIID zu fordern.


Ich habe 38 Jahre in meinem Leben im Parlament gearbeitet, darunter 12 Jahre als Präsident des Nationalrates. Für mich ist das Parlament (Nationalrat und Bundesrat) das zentrale Organ der Demokratie, das auch entsprechend ernst genommen werden muss. Aber großer Respekt für das Parlament darf auch Kritik am Zustandekommen oder am Inhalt einer einzelnen Entscheidung, die in großer Hast getroffen wurde, nicht ausschließen. Im Gegenteil: Kritik gehört zum Wesen des Parlamentarismus.

Das gilt zum Beispiel für die Entschließung des Nationalrates vom 12. Juni betreffend die Freilassung des jungen saudi-arabischen Staatsbürgers Murtaja Qureiri und die Schließung des König-Abdullah-Zentrum für interreligiösen und interkulturellen Dialog (KAICIID). Eingebracht wurde der Entschließungsantrag im Nationalrat am Vormittag des 12. Juni in der Debatte anlässlich des Amtsantrittes einer neuen Bundesregierung, und schon wenige Stunden später wurde über diese außenpolitische Entscheidung - meines Wissens ohne Kontakt zum Ministerium - abgestimmt.

Es war dies der Versuch, in aller Eile, knapp vor dem Ende der Gesetzgebungsperiode, eine Empfehlung zu beschließen, wonach Österreich aus dem auf einer Vereinbarung zwischen Papst Benedikt XVI. und dem inzwischen verstorbenen saudischen König Abdullah beruhenden Dialogzentrum KAICIID austreten möge.

Begnadigungsforderung an Zentrumsschließung gekoppelt

Der Erstantragsteller vermischte sehr clever seine Aktion gegen das Dialogzentrum mit einer Aktion zugunsten eines jungen Mannes, der sich in Saudi-Arabien in Haft befindet und dessen Hinrichtung nach dem Wortlaut des Entschließungsantrages als unmittelbar bevorstehend dargestellt wurde. Im Antrag heißt es wörtlich: "Wer 13-jährige Kinder einsperrt und anschließend köpfen lässt, kann kein Dialogpartner sein." Inzwischen haben CNN und andere internationale Medien und Agenturen berichtet, dass Meldungen über eine drohende Hinrichtung des 18-jährigen Murtaja Qureiri erfreulicherweise nicht den Tatsachen entsprechen.

Aber der Antragsteller hat sich natürlich etwas dabei gedacht, dass er seinen Antrag zum Rückzug aus dem KAICIID so formuliert hat, dass beide Themen des Antrages - das Eintreten für einen jungen Häftling in Saudi-Arabien und die Forderung nach Schließung des Dialogzentrums - in einem Antragstext zusammengefasst wurden und daher Gegenstand einer gemeinsamen Abstimmung waren: Wer sich für eine Begnadigung des Häftlings aussprechen wollte, musste auch gegen das Dialogzentrum stimmen. Und wer für das Dialogzentrum stimmen wollte, setzte sich dem Vorwurf aus, gegen die Forderung nach Freilassung eines jungen Häftlings einzutreten. Man merkt die Absicht . . .

In der Sache des Dialogzentrums geht es um den Stellenwert und die Sinnhaftigkeit eines Dialoges zwischen unterschiedlichen und voneinander abweichenden Positionen; es geht aber auch um die Rolle Österreichs und Wiens als Standort für internationale Organisationen.

Weder ein "Saudi-Zentrum" noch ein "Anti-Saudi-Zentrum"

Ich habe das Zustandekommen dieses in Wien angesiedelten Dialogzentrums ebenso begrüßt wie die damalige österreichische Bundesregierung, Spitzenvertreter der christlichen Kirchen und des Judentums sowie die anderen am Zustandekommen dieses Projektes beteiligten Staaten. Es haben bemerkenswerte Veranstaltungen im Dialogzentrum stattgefunden, und ich weiß, dass Kardinal Christoph Schönborn eine grundsätzlich positive Meinung über die Rolle Österreichs beim Zustandekommen dieser Vereinbarung und über die Rolle Wiens als Sitz dieser internationalen Organisation hat.

Die Bezeichnung des Dialogzentrums als "Saudi-Zentrum" ist polemisch. Es wurde durch einen internationalen Vertrag gegründet, hat seinen Sitz in Wien und ist weder ein "Saudi-Zentrum" noch ein "Anti-Saudi-Zentrum", sondern ein Dialogzentrum, in dem viele Stimmen zu Wort kommen. Nach meinen Informationen arbeiten in diesem Zentrum mehr als 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus 28 Nationen. Nur 3 oder 4 davon kommen aus Saudi-Arabien.

Eines ist allerdings richtig: Der größte Geldgeber für das Zentrum ist Saudi-Arabien. Aber das ließe sich ja leicht korrigieren, indem andere Länder gleich hohe oder ähnlich hohe Beiträge leisten. Aber dazu gibt es leider wenig Bereitschaft. Dann sollte man sich aber auch nicht beklagen, dass die größten Beiträge aus Saudi-Arabien kommen, wenn eine ausgewogenere Verteilung bei der Finanzierung an mangelnder Zahlungsbereitschaft der anderen Partner scheitert.

Antrag nicht einmal in Reinschrift eingebracht

Der erfahrene österreichischer Pastoraltheologe und langjährige Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät an der Universität Wien, Paul Zulehner, beurteilt das Zentrum folgendermaßen: "Mehrmals habe ich an Veranstaltungen teilgenommen. Diese zeugten von einer großen kulturellen und interreligiösen Offenheit, setzten auf Dialog und gegenseitige Verständigung. Nie habe ich den Eindruck gewonnen, dass die Arbeit des Zentrums durch politische Interessen irgendeines Landes ausdrücklich oder untergründig beeinflusst worden wäre." Und er kritisiert die Ahnungslosigkeit, die dem Antrag auf Schließung des Zentrums zugrunde liege, sowie die mangelhafte Vorbereitung.

Einem Nationalratsbeschluss dieser Tragweite sollte doch ein Minimum an Vorbereitung und Vorberatung vorausgehen: zumindest eine zeitgerechte Kontaktierung des Außenministeriums allein schon deshalb, damit dieses auf Reaktionen der zweifellos überraschten Vertragspartner Österreichs vorbereitet ist. Aber die Hast, mit der dieser Antrag vorbereitet wurde (offenbar, um einen Überrumpelungseffekt zu erzielen) war so groß, dass im Präsidium des Nationalrates nicht einmal eine Reinschrift des Antrages eingebracht werden konnte, sondern ein Text mit handschriftlichen Korrekturen. So wurde zum Beispiel die im ursprünglichen Antrag ebenfalls enthaltene Forderung, unter bestimmten Voraussetzungen "sämtliche diplomatischen Beziehungen zu Saudi-Arabien abzubrechen", handschriftlich durchgestrichen. Sieht so die gründliche Vorbereitung eines wichtigen Antrags zur österreichischen Außenpolitik aus?

Ich denke also, dass eine endgültige Entscheidung in dieser Angelegenheit - nicht zuletzt auch im Hinblick auf die komplexe Rechtslage - noch sorgfältiger Überlegungen bedarf. Entschließungen des Nationalrates treten ja bekanntlich nicht in Rechtskraft, sondern haben empfehlenden Charakter. Und in einer neuen Gesetzgebungsperiode mit einem neu gewählten Nationalrat hat eine neu gebildete Bundesregierung das Recht - vielleicht sogar die Pflicht -, alle Argumente nochmals zu prüfen, auch die Auswirkungen einer solchen Entscheidung auf Wien und Österreich als bewährten Standort für internationale Organisationen zu berücksichtigen und darauf aufbauend eine sachgerechte Entscheidung zu treffen und den Nationalrat darüber am Beginn der nächsten Gesetzgebungsperiode zu informieren.