Wollen wir die Ergebnisse für Österreich anwenden, müssen wir die heroische Annahme treffen, dass sich die Aufmerksamkeiten für einen Wikipedia-Artikel in Österreich in etwa so verteilen wie auf der gesamten Welt. Das PEW-Research Center in Washington schätzt, dass weltweit die englischsprachige Version der Enzyklopädie 97,2 Milliarden Anfragen erhält, gefolgt von Japanisch (15 Milliarden), Spanisch (14,3), Deutsch (13 Milliarden), Russisch (12), Französisch (9,2), Italienisch (6,4), Chinesisch (4,9), Portugiesisch (4,1) und Polnisch (3,5).

Starker Trend zu
mehr Ungleichheit

Die Ergebnisse bestätigen jedenfalls mit aller Wucht erneut die These, wonach der "Faktor Kurz" für längere Zeit die Politik in Österreich dominieren werde. Ob’s einem passt oder nicht, wird man sich mit den Ursachen auseinanderzusetzen haben. Die wirtschaftliche Ungleichheitsperspektive betont nach den US-Politologen Ronald Inglehart und Pippa Norris die Konsequenzen für das Wahlverhalten, die sich aus dem starken Trend zu mehr Einkommens- und Wohlstandsungleichheit im Westen und damit auch in Österreich ergeben.

Beeinflusste einst der "Genosse Trend" das Wahlerhalten der Österreicher unter Bruno Kreisky, 1970 bis 1983 zugunsten der Sozialdemokratie, sieht die Welt heute ganz anders aus. Die globalen Waren-, Arbeitskräfte-, Dienstleistungs- und Kapitalströme, insbesondere in der EU, sind der eine Mühlstein, der die Sozialdemokratie langsam zermalmt. Der Zustrom von Migranten und Flüchtlingen, die Erosion der organisierten Arbeiterschaft, die neoliberale Sparpolitik seit Mitte der 80er Jahre waren die Brandbeschleuniger der populistischen Wende.

Inglehart und Norris nennen aber auch den zweiten Mühlstein: den gegenläufigen Trend zu mehr grüner Politik, der ebenso die Sozialdemokratie in Ländern wie Deutschland auf der Linken entbehrlich zu machen scheint. Er beruht auf dem hohen Maß an existenzieller Sicherheit, das die Menschen in den entwickelten westlichen Gesellschaften in den Nachkriegsjahrzehnten erlebten, die nun eine Generationen mit postmaterialistischen Werten wie Kosmopolitismus und Multikulturalismus hervorgebracht hat, was eine wachsende Unterstützung für Parteien wie die Grünen und andere schafft, die sich für Umweltschutz, Menschenrechte und Gleichstellung der Geschlechter einsetzen.

Zwischen Regenbogenparaden und rechten Wahlsiegen

Dieser Kulturwandel wird in der Sicht von Inglehart und Norris als unaufhaltsame kulturelle Rolltreppe dargestellt, die die postindustrielle Gesellschaften stetig in eine progressivere Richtung bewegt, da die Möglichkeiten für eine Hochschulausbildung auf immer mehr Bevölkerungsgruppen ausgedehnt wurden und die jüngeren Kohorten nach und nach ihre Eltern abgelöst haben. Es ist für Inglehart und Norris jedoch von Anfang an klar, dass die Reaktionen auf diese Entwicklungen eine Gegenreaktion auslösen, insbesondere unter den älteren Generationen, unter einheimischen Männern und weniger gebildeten Sektoren, die einen Niedergang spüren und die steigende Flut progressiver Werte aktiv ablehnen. Und so leben wir im "clash of civilizations" der Regenbogenparaden und rechten Wahlsiege in Europa. Und wie das Beispiel Dänemark zeigt, sind offensichtlich sozialdemokratische Parteien nur dort erfolgreich, wo sie Migrationspessimisten wurden.