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Niemanden zurücklassen

Von Heinz Fischer

Gastkommentare

Das "Ban Ki-moon Centre" und die Entwicklungsziele der Vereinten Nationen.


Vor vier Jahren - am 13. September 2015 - bin ich als österreichischer Bundespräsident zur UNO nach New York geflogen, weil am Vorabend der Eröffnung der Generalversammlung der Vereinten Nationen ein historischer Beschluss zu fassen war: Die UNO-Mitgliedstaaten hatten sich nach langen und schwierigen Verhandlungen auf ein "Weltregierungsprogramm" geeinigt. Sein offizieller Name lautete "Sustainable Development Goals" ("Nachhaltige Entwicklungsziele").

Schon zuvor gab es im Vorfeld des Jubiläumsjahres 2000 eine erste Fassung globaler Zielsetzungen nämlich die "Millennium Development Goals". Aber die "Sustainable Development Goals" stellen eine Erweiterung, Vertiefung und Präzisierung dieser Zielsetzungen dar. An der Spitze steht der Kampf gegen die Armut; dieser Kampf ist global auf dem richtigen Weg, weil die Zahl der Menschen unter der Armutsgrenze deutlich im Sinken begriffen ist. Aber noch immer gibt es millionenfache schreckliche, die Menschenwürde verletzende Armut.

Frieden und Klimaschutz

Eng damit verbunden sind die Ziele Nummer zwei und drei: der Kampf gegen den Hunger und der Kampf für eine globale und ausreichende Gesundheitsvorsorge. Es ist eine traurige Tatsache, dass immer noch jährlich unfassbar viele Menschen und vor allem Babys und Kleinkinder an Unterernährung sterben (während anderswo provozierender Überfluss herrscht und Lebensmittel in großen Mengen weggeworfen und vernichtet werden). Dass der Kampf um Gesundheitsvorsorge Fortschritte macht, zeigen zum Beispiel die sinkende Säuglingssterblichkeit und die signifikant steigende Lebenserwartung auf allen Kontinenten.

Umweltschutz im weitesten Sinn wird in mehreren Entwicklungszielen angesprochen, wie zum Beispiel bei der Forderung nach gesundem Trinkwasser und ausreichenden sanitären Vorkehrungen für alle Menschen sowie bei der Forderung nach sauberer Energie, nach verantwortungsvollen Produktionsweisen und nach einem sorgfältigen Umgang mit den Wasserreserven und der weltweiten Biodiversität. Zu den "Sustainable Development Goals" gehören aber auch die Gleichberechtigung der Geschlechter in Theorie und Praxis - also "Gender Equality" -, angemessene Arbeitsplätze, zufriedenstellende Infrastruktur und nicht zuletzt zwei besonders wichtige und aktuelle Ziele: Klimaschutz sowie Friede und "Good Government".

Anlässlich der Verabschiedung dieses Dokumentes in New York hat mich mein Freund Ban Ki-moon, der damalige Generalsekretär der Vereinten Nationen, eingeladen, gemeinsam mit einer kleinen Gruppe anderer Staatspräsidenten eine kurze Rede zu halten, bei der ich - in Absprache mit der damaligen Bundesregierung - die volle Unterstützung Österreichs für die "Sustainable Development Goals" zum Ausdruck brachte. Ein Grund mehr, warum ich diesen Zielen und den diesen Zielen zugrunde liegenden Werten und Prinzipien - einschließlich der Menschenwürde - besondere Aufmerksamkeit widmete.

Idee bei einer Wanderung

An dieser Stelle ein Einschub zu Ban Ki-moon: Ich habe ihn kennengelernt, als ich Nationalratspräsident und er Botschafter der Republik Korea in Österreich war. Die Zusammenarbeit mit ihm war exzellent und angenehm, er war nicht nur ein hervorragender Diplomat und ein guter Vertreter der Republik Korea, sondern auch ein wirklicher Freund Österreichs, ein Freund der österreichischen Kultur - insbesondere der Musik - und ein Freund unserer Landschaft und Natur. Noch bevor seine normale Amtsperiode in Österreich zu Ende ging, wurde er vom südkoreanischen Präsidenten zum Außenminister bestellt, und es dürfte ihm nicht ganz leicht gefallen sein, Wien zu verlassen. Jedenfalls hielt er bei seinem Abschied eine berührende (und seither oft zitierte) Rede, in der er wörtlich erklärte, dass er nur "mit halbem Herzen" nach Südkorea zurückkehren werde, weil die zweite Hälfte seines Herzens in Österreich und in Wien zurückbleibe. Ich denke, dass das auch für seine liebenswürdige, kluge und bescheidene Frau Son-taek Gültigkeit hatte.

Aber bald darauf kam die erfreuliche und wichtige Nachricht, dass Ban Ki-moon in Nachfolge von Kofi Annan am 1. Jänner 2007 sein Amt als nächster Generalsekretär der Vereinten Nationen antreten werde. Dem folgte eine Periode von neuneinhalb Jahren, in der er UNO-Generalsekretär und ich gleichzeitig Bundespräsident der Republik Österreich war. Somit gab es alle Voraussetzungen für eine gute, intensive, freundschaftliche Zusammenarbeit bei vielen Themen. Ban Ki-moon wusste, dass er in Österreich immer willkommen war, und wir wussten, dass wir bei ihm in New York immer ein offenes Ohr hatten.

Eines Tages in dieser Zeit bei einer Wanderung in der Steiermark entwickelte er die Idee der Gründung einer kleinen quasi-internationalen Organisation mit Sitz in Wien, die sich mit den "Sustainable Development Goals" und insbesondere mit der Unterstützung von Frauen und jungen Menschen beschäftigen sollte. "Deine Amtszeit als österreichischer Bundespräsident endet im Juli 2016 und meine als UNO-Generalsekretär Ende 2016 - wir könnten dann gemeinsam etwas Nützliches tun", sagte er zu mir. So nutzten wir das Jahr 2017 für Vorbereitungen zur Gründung einer Institution, die den Namen "Ban Ki-moon Centre" erhielt und von ihm und mir als Co-Chairs geführt wird.

Österreichs Bundesregierung unterstützte dieses Projekt, und so bekamen wir nach Prüfung aller Voraussetzungen den Status einer quasi-internationalen Organisation mit Sitz in Wien und Kooperationspartnern unter anderem in Südkorea, Kuwait, den Niederlanden und in China und konnten Anfang 2018 beginnen.

"Die Hälfte der Menschheit sind Frauen, und die Hälfte aller Menschen sind jünger als 25 Jahre. Das sind zwei Gruppen, um die wir uns besonders bemühen müssen", ist Ban Ki-moon überzeugt. Zu seinen Grundwerten zählt auch das Prinzip "Leave no one behind" - es kommt auf jeden Einzelnen an und, wir dürfen niemanden vergessen und zurücklassen. Das gilt für Arme, Kranke, Flüchtlinge und Menschen, die durch den Klimawandel, Diktaturen oder auf andere Weise gefährdet und bedroht sind. Denn alle Menschen sind gleich an Rechten und Würde geboren, und ihre Menschenwürde ist unteilbar.

Meeting in Alpbach

In den nächsten Tagen wird das "Ban Ki-moon Centre" in Anwesenheit von Ban Ki-moon im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach bei einem Meeting mitwirken, das der Rolle Österreichs bei der Verwirklichung der "Sustainable Development Goals" gewidmet ist, und dabei auch verschiedene Vorschläge unterbreiten. Darüber hinaus haben wir die Möglichkeit, junge Menschen und Frauen in die Umsetzung der "Sustainable Development Goals" einzubinden und mit Fellowships, Scholarships, Mentorships, Online-Kursen und Workshops ganz konkret zu unterstützen.

Es ist erfreulich, berichten zu können, dass sich im "Ban Ki-moon Centre" mehrere nützliche Gedanken und wertvolle Möglichkeiten verknüpfen: der Gedanke, dass Wien ein bestens geeigneter Ort für internationale Zusammenarbeit und internationale Institutionen ist; der Gedanke, dass Österreich und die Vereinten Nationen eine enge Verbindung aufgebaut haben; der Gedanke, dass die "Sustainable Development Goals" von Österreich und auch von der österreichischen Zivilgesellschaft volle Unterstützung verdienen; und der Gedanke, dass eine grenzüberschreitende Kooperation für unsere Zukunft wesentlich mehr leisten kann als nationaler Egoismus und nationalistische Abschottung.

Und so freuen wir uns auf Alpbach und hoffen die Unterstützung des "Ban Ki-moon Centre" für die "Sustainable Development Goals" weiter schrittweise ausbauen zu können. Nach Alpbach findet am 27. und 28. August im Wiener Rathaus das nächste Board Meeting des "Ban Ki-moon Centre" statt, bei dem Persönlichkeiten aus vier Kontinenten über die weiteren Aktivitäten der Organisation und die Unterstützung der Entwicklungsziele beraten.

Und auf die nächste österreichische Bundesregierung - wie immer sie zusammengesetzt sein wird - warten viele Aufgaben, die im Sinne einer guten und friedlichen Entwicklung der Menschheit mit Nachdruck in Angriff genommen (oder fortgesetzt) werden müssen.