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Eine Steuer für Homunculus

Von Walther Menhardt

Gastkommentare

Die Künstliche Intelligenz ist eine großartige Entwicklung, metaphysische Ehrfurcht ist aber nicht angebracht. Dass uns Roboter alle Arbeit abnehmen, ist nicht so bald zu erwarten.


Vor Jahrzehnten hatte ich in der Schule einen Aufsatz über Gerhard Hauptmanns Drama "Die Weber" zu schreiben. Die schlesischen Weber waren eine der ersten Berufsgruppen, die der beginnenden Industrialisierung zum Opfer fielen. 1844 fielen und fielen die Löhne, die Weber waren so verzweifelt, dass es zum Aufstand kam. Gerhard Hauptmann veröffentlichte sein Drama 1892. 48 Jahre nach dem Aufstand war das Drama also noch nötig, denn das Wissen um die Härten der Industrialisierung hatte die Öffentlichkeit noch nicht genügend erreicht. "Meyers Konversationslexikon" von 1890 enthält viel Information über die Weberei, angefangen von altägyptischen Mustern bis zu einem "Praktischen Handbuch der Hand- und Maschinenweberei" aus dem Jahr 1847, drei Jahre nach dem Aufstand. Die schlesischen Weber und ihr Problem verschweigt das Lexikon.

Seit der Mensch seinen Verstand und seine Neugier voll entwickelte, verändert er seine eigene Umwelt. Dabei gibt es Gewinner und Verlierer. Wohin dieser selbstverschuldete Wandel führt, wissen wir nicht. Aufhalten lässt er sich nicht, er wird durch alle Zäune, die gegen ihn errichtet werden, durchwuchern. Wir wollen ja auch nicht zurück, obwohl uns manchmal beim Gedanken an Höhlen und Laubhütten warm ums Herz wird, vielleicht weil noch eine schwache Erinnerung an unsere Herkunft weiterwirkt.

Arbeit bleibt ungetan liegen, weil sie falsch bewertet wird

Jeder Schritt der Industrialisierung kostete Arbeitsplätze, aber es entstanden stets neue. Und viel Arbeit, die getan werden sollte, geschieht nicht. Schließt das Budget einer Volkswirtschaft negativ ab, sodass Schulden gemacht werden müssen, dann bedeutet dies, dass Arbeit, deren Wert diesen Schulden entspricht, nicht geleistet wurde. Die Werte wurden verbraucht, aber nicht von eigener Arbeit geschaffen.

Es ist ja nicht so, dass es einen bestimmten Betrag Arbeit gibt, der dann an die Arbeitsuchenden zu verteilen wäre. Im Gegenteil gibt es einen - grob gesagt - unendlich großen Berg von Arbeiten, deren Ausführung wir uns wünschen. Jeder Minister meldet Bedarf, und der Mangel an Pflegekräften füllt die Zeitungsseiten täglich.

Das Problem ist nicht ein Mangel an Arbeit, sondern ein Mangel bei der Anpassung der Geldströme. Arbeit bleibt ungetan liegen, weil sie falsch bewertet wird. Wenn wir älter werden, muss während der aktiven Phase mehr Geld abgezweigt werden - durch Steuern oder eigene Vorsorge -, damit später die Pfleger ordentlich bezahlt werden können. Solche Anpassungen werden leider den Entwicklungen von Technik und Gesellschaft immer mit Verzögerung folgen.

Roboter werden noch lange teuer und nicht perfekt sein

Nun soll also die Ankunft, der Advent, der Künstlichen Intelligenz so brutal werden, dass unsere Regelmechanismen völlig versagen. Man hätte natürlich, wenn man vom Frühstück aufsteht und mit schmutzigem Geschirr in beiden Händen vor der verschlossenen Küchentür steht, gerne einen Roboter, dem man Befehle zurufen kann. Aber ein Roboter, der die Qualitäten eines häuslichen Faktotums und zugleich eines diskreten Butlers hat, ist eine aufwendige Maschine. Dies wird auch auf absehbare Zeit so bleiben. Das zeigt sich an den Preisen unserer Autos. Diese motorisierten Fahrzeuge gibt es schon hundert Jahre. Aber ihr Preis ist immer noch so hoch, dass die meisten Menschen sich eine Anschaffung überlegen müssen. Ähnlich wird es sicherlich auch mit Robotern sein, wenn sie wirklich eine flexible Hilfe darstellen sollen.

Es muss auch bedacht werden, dass die vielbeschworene Künstliche Intelligenz zwar eine Meisterleistung menschlicher Intelligenz ist, aber mit der Funktionsweise des menschlichen Gehirns wenig gemein hat. Auch ein Wolf, der sein Rudel bei der Jagd anführt, denkt anders. Die Künstliche Intelligenz hat keine Antwort auf die Frage, wie zum Beispiel ein Dirigent eine ganze Symphonie Ton für Ton im Kopf haben kann, wie man dem Orchester zuhören, gleichzeitig einen Takt voraushören und sich dabei an eine frühere Vorführung erinnern kann.

Die Künstliche Intelligenz ist eine großartige Entwicklung, metaphysische Ehrfurcht ist aber nicht angebracht. Viele Ideen werden noch nötig sein, bis Roboter nicht nur wohldefinierte Arbeiten leisten, sondern flexibel menschliche Arbeiten übernehmen können. Die frei werdende Arbeitszeit werden wir brauchen. Natürlich sollen wir über mögliche Auswirkungen einer weiteren Technisierung nachdenken. Wenn das auch schwierig ist, werden wir doch in kurzen Abständen von Technik und Politik durch völlig Unerwartetes überrascht.

Wird der Roboter als Steuerzahler zum Souverän?

Gesetzt aber den Fall, es ginge uns die Arbeit tatsächlich aus - wäre das nicht die wirklich große Katastrophe? Sollen wir uns in die Wiege legen und vom Roboter schaukeln lassen? Der Bedarf an psychischer Hilfe wäre exorbitant. Oder soll der Tourismus verzehnfacht werden, damit die Lebenszeit, die ohne Arbeit ist, ausgefüllt wird? Und soll der Mensch, damit er ruhig bleibt und die Administration das Problem der Armut los ist, ein automatisches Einkommen erhalten, das der Roboter über eine Maschinensteuer verdient? Soll dann womöglich der Roboter, Homunculus, der Souverän werden, weil er die Abgabe für die Gemeinschaft, weil er die Steuer zahlt?