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Das Ende der "GroKo"

Von Peter Pelinka

Gastkommentare

Wahlen, die Weichen stellten, Teil 5: 2007 bis 2017 - als Rot und Schwarz sich erneut zerkrachten.


Am 11. September 2006 erhielt SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer den Auftrag zur Regierungsbildung. Die Koalitionsverhandlungen zwischen SPÖ und ÖVP wurden mit 124 Tagen die zweitlängsten nach 1945 (129 waren es nach der Wahl 1962). ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel und sein Nachfolger Wilhelm Molterer setzten sich in den Verhandlungen so klar durch, dass Grünen-Chef Alexander Van der Bellen von einer "Fortsetzung von Schwarz-Orange mit einem roten Bundeskanzler" sprach: Die ÖVP besetzte als zweitstärkste Partei Finanz-, Innen-, Außen-, Wissenschafts- und Gesundheitsministerium, der Kauf der Eurofighter wurde nicht rückgängig gemacht, die Erbschaftssteuer nicht wiedereingeführt.

Spätestens am 11. Jänner 2007, dem Tag der Angelobung der Regierung, wurde dem neuen Kanzler klar, wie schwierig er es nicht nur mit dem Koalitionspartner haben würde: Hunderte Studenten demonstrierten auf dem Ballhausplatz dagegen, dass er auch die Abschaffung der Studiengebühren nicht hatte durchsetzen können. Im nahen Pressezentrum im Museumsquartier machte ein Gerücht die Runde: Studenten wollten auch vor Gusenbauers naher Wohnung demonstrieren - es waren letztlich nicht viele, aber der Kanzler war zurecht "not amused".

Er blieb nicht einmal 20 Monate im Amt. Selbst sein enger Weggefährte Josef Cap gibt ihm dafür "zumindest Mitverantwortung": "Gusenbauer zeigte einen sorglosen Umgang mit der Öffentlichkeit, auch der Parteiöffentlichkeit", so Cap in seinem Buch "Kein Blatt vor dem Mund". Man kann dazu auch "mangelnde soziale Intelligenz" sagen, ein Faktum, das bei dem sonst hochintellektuellen Politiker besonders auffiel. Nachdem im Frühjahr 2007 Landtagswahlen in Tirol und Niederösterreich der SPÖ große Verluste eingebracht hatten, etablierte sie eine Doppelspitze: Gusenbauer blieb Kanzler (aber nur noch ein knappes halbes Jahr), Infrastrukturminister Werner Faymann folgte ihm als Parteichef.

Dem Wunsch nach mehr Popularität entsprang auch ein Schwenk in der Europapolitik: Durch einen "offenen Brief" an "Krone"-Herausgeber Hans Dichand wurde die Öffentlichkeit informiert, dass künftig alle Änderungen der EU-Verfassung einer nationalen Volksabstimmung unterzogen werden sollten. Der davon ebenfalls überraschte Cap, damals immerhin SPÖ-Klubobmann, dazu: "Warum hat man diese inhaltliche Modifizierung unserer Parteilinie nicht inhaltlich diskutiert?"

Die Empörung der ÖVP war groß und in diesem Punkt auch für Journalisten verständlich: Außenministerin Ursula Plassnik informierte mich im Sommerurlaub entsprechend entsetzt, Vizekanzler Molterer kündigte in ähnlicher Tonlage am 7. Juli die Koalition auf: "Es reicht! Ich kann nicht zulassen, dass die Krise der SPÖ eine Krise für Österreich wird."

Die Wahl 2008: Faymannsiegt trotz Verlusten

Er hatte wohl die Abneigung vieler Österreicher gegen vorgezogene Neuwahlen ohne ausreichenden Grund unterschätzt. Die SPÖ rutschte zwar am 28. September 2008 mit 29,3 Prozent mit Faymann als Spitzenkandidat erstmals unter die 30-Prozent-Marke, die ÖVP verlor aber noch mehr und blieb entgegen allen früheren Umfragen mit 26 Prozent (minus 8,3) auf Platz zwei. Die in zwei Parteien gespaltenen Rechtspopulisten erzielten mit insgesamt 29 Prozent ihren bisher größten Erfolg, am meisten gewann das BZÖ unter Jörg Haider (plus 6,6 auf 10,7 Prozent). Tags darauf wurde mit Josef Pröll ein Befürworter einer Fortsetzung der auf 55 Prozent geschrumpften "GroKo" (Großen Koalition) als ÖVP-Obmann designiert. Knapp nach der Wahl kam Haider bei einem Autounfall ums Leben. Das zerstrittene "dritte Lager" blieb noch jahrelang in interne Grabenkämpfe verstrickt, ehe sich die FPÖ unter Heinz-Christian Strache endgültig durchsetzte.

Die neue, alte Koalition signalisierte den Willen zur besseren Zusammenarbeit: So präsentierten sich etwa die neuen Parteichefs den Klubsitzungen der jeweils anderen "Reichshälfte". Das erste große Projekt sollte die Erstellung einer Transparenzdatenbank zur Überprüfung aller Sozialleistungen von Bund, Ländern und Gemeinden sein - sie ist bis heute nicht wirksam. Aber es ging nun doch mehr weiter als in der Phase Gusenbauer/Molterer. So wurden etwa der Kärntner Ortstafelkonflikt beendet, eine unabhängige Medienbehörde geschaffen und ein Mindestlohn von 1000 Euro eingeführt - Faymanns zentraler Wahlslogan "Genug gestritten" schien beachtet.

Dann aber zeigten sich dunkle Wolken am internationalen Horizont: Die Finanzkrise, die mit der Pleite der US-Investmentbank Lehman am 15. September 2008 ihren Anfang genommen hatte, erreichte auch Europa: Binnen eines Jahres schrumpfte die Wirtschaft um 1 Prozent, stieg die Arbeitslosigkeit um 2 Prozent. Natürlich war davon auch Österreich betroffen: vor allem die Hilfe für das fast pleitegehende Griechenland stieß auf harte Kritik, insbesondere der FPÖ - obwohl ihr Umfang geringer war als die von Haider zu verantwortenden Zahlungen gegen den Fast-Konkurs Kärntens infolge des Hypo-Alpe-Adria-Skandals. Ende 2009 wurde die Bank von Finanzminister Pröll notverstaatlicht.

15 Monate später trat der ÖVP-Chef aus gesundheitlichen Gründen zurück und wurde durch Außenminister Michael Spindelegger ersetzt. Das Klima in der Koalition blieb weiter geprägt von kleineren Erfolgen und größeren Streitigkeiten. In Folge der Korruptionsaffäre um den EU-Abgeordneten und Ex-Minister Ernst Strasser verlor vor allem die ÖVP Unterstützung an die nun einigermaßen geeinte FPÖ, die Ende Mai erstmals in einer Umfrage an der Spitze lag. Sie profitierte vor allem von der Unpopularität der Rettung Griechenlands und "der Banken", bekam aber zunehmend rechtspopulistische Konkurrenz durch das 2012 auf den Plan getretene Team Stronach. Kanzler Faymann versuchte - auch gegen den Widerstand der ÖVP - mit einer nationalen Bankenabgabe und dem Ruf nach einer europäischen Finanztransaktionssteuer der Stimmung Rechnung zu tragen. Die Folgen des Fast-Zusammenbruches des internationalen Bankensystems waren aber noch lange zu spüren, eine Konsequenz der Deregulierung der Finanzmärkte.

2013: Das vorläufig (?)letzte Mal Rot-Schwarz

Die Nationalratswahl am 29. September 2013 bestätigte die Tendenz fast aller Regionalwahlen zuvor: Die Regierungsparteien verloren je 2 Prozent und blieben gemeinsam nur knapp über 50 Prozent, FPÖ und Grüne gewannen, statt des BZÖ kamen die Neos erstmals und das Team Stronach letztmals ins Parlament. Noch einmal wurde knapp vor Weihnachten eine "GroKo" gezimmert, die längst zur "MigroKo" ("Mittelgroßen Koalition) geschrumpft war. Sie wurde medial fast einheitlich niedergemacht. Ein "Jammern auf hohem Niveau" (Zitat Barbara Coudenhove-Kalergi), hatte Österreich doch die Finanzkrise relativ gut überstanden.

Das half den Regierungsparteien nur wenig, schon gar nicht ihren Spitzen: Im Sommer 2014 wurde Spindelegger als ÖVP-Obmann durch Reinhold Mitterlehner ersetzt, der beim Wiener Maiaufmarsch gnadenlos ausgepfiffene Faymann knapp zwei Jahre später durch Christian Kern. Immer stärker wurde ein junger Mann, der 2017 Mitterlehner in der ÖVP "abmontierte" und bei der Wahl 2017 auch seinen Konkurrenten Kern - mit den Eindrücken der größten Migrationswelle nach dem Zweiten Weltkrieg ab 2015 im Rücken: Außenminister Sebastian Kurz.

Er trug das, was einst "Große Koalition" geheißen hatte, nach der Wahl vom 15. Oktober 2017 endgültig zu Grabe. Sie scheiterte an ideologisch motivierter Blockierung, an mangelndem Mut der Protagonisten, an kurzfristig angelegtem Taktieren.

"Große Würfe" alten Stils waren auch objektiv kaum noch vorstellbar. Solche hatten sich in der ersten Ära der "Großen Koalition" aus den nationalen Notwendigkeiten des Wiederaufbaus ergeben, in der Ära Bruno Kreiskys aus der nötigen Modernisierung, unter Franz Vranitzky und Erhard Busek aus der ebenso nötigen Europäisierung des Landes und in der Ära Schüssels aus dem versuchten Bruch mit der Sozialpartnerschaft. Auch der "große Wurf" der Regierung Sebastian Kurz/HC Strache ist nach der Ibiza-Affäre gescheitert. Möglich, dass er in modifizierter Form nach dem 29. September 2019 wieder versucht wird.

Ende der Serie