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Das Ende der Bargeldhysterie

Von Heinz Handler

Gastkommentare

Auch wenn es nicht in den Verfassungsrang gehoben wird, will niemand das Bargeld abschaffen.


Im laufenden Wahlkampf ist auch das Bargeld zu Ehren gekommen. Gemeint sind nicht die Kassen der wahlwerbenden politischen Parteien, sondern die von Türkis und Blau bereits im vergangenen Koalitionspakt und nun in der Sommerhitze neuerlich ventilierte Idee, Bargeld (also die auf Euro lautenden Banknoten und Scheidemünzen der Europäischen Zentralbank) als gesetzliches Zahlungsmittel in der österreichischen Verfassung zu verankern. Einen Schritt hierzu setzte die FPÖ mit einem parlamentarischen Antrag auf Ergänzung von Artikel 5 des Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger aus dem Jahr 1867. Danach sollte nicht nur wie bisher das "Eigenthum" unverletzlich sein, sondern in Zukunft auch die uneingeschränkte Verwendung von Bargeld sichergestellt werden. Mit diesem neuen Staatsziel sollten "weder auf österreichischer Ebene noch auf Ebene der Europäischen Union Maßnahmen gesetzt werden, die das Vertrauen der Bürger in die Bargeldbereitstellung und in das Recht auf Barzahlung erschüttern könnten".

Die EZB entscheidetüber den Bargeldumlauf

Dies wäre aus mehreren Gründen eine unnötige bis unsinnige Aufblähung der Verfassung gewesen. Erstens gibt es in Europa keine ernsthafte politische Gruppierung, die das Bargeld abschaffen möchte (dies hat auch der neue Nationalbank-Gouverneur Robert Holzmann bei seinem Amtsantritt bekräftigt); zweitens ist der Euro keine Währung, die von österreichischen Behörden kontrolliert werden kann; und drittens hätte die österreichische Verfassung wieder einmal das Gefechtsfeld für tagespolitische Scharmützel abgegeben. Die ohnehin nicht unbestrittene "Eleganz, ja Schönheit der österreichischen Bundesverfassung" (Zitat Bundespräsident Alexander Van der Bellen) wäre dadurch weiter beeinträchtigt worden. Nun aber erhielt dieser Antrag am Mittwoch in der letzten Plenarsitzung des Nationalrats vor der Wahl ohnehin nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit.

Und das ist gut so. Artikel 128 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union legt nämlich für die Eurozone fest, dass es der unabhängigen Europäischen Zentralbank vorbehalten ist, die von ihr oder den nationalen Währungsbehörden ausgegebenen Euro-Banknoten zu genehmigen. Nur diese sind als gesetzliches Zahlungsmittel anerkannt. Darüber hinaus können die Mitgliedstaaten zwar Euro- und Cent-Münzen prägen lassen, deren Umfang ist aber von der EZB zu genehmigen. In Österreich betrifft dies für Banknoten die Nationalbank und für Scheide- und Gedenkmünzen die Münze Österreich.

Der Euro hat somit für Österreich den Charakter einer "Fremdwährung" in dem Sinn, dass über die Art und Menge des Zahlungsmittelumlaufs außerhalb Österreichs entschieden wird. Im zuständigen EZB-Rat ist zwar auch Österreich durch den jeweiligen Nationalbank-Gouverneur vertreten, und zwar überproportional nach dem Prinzip "Ein Land - eine Stimme". Letztlich ist es aber nur eine Stimme unter 25 Ratsmitgliedern, und diese ist persönlich und unabhängig von nationalen Interessen einzubringen. Im Extremfall (der, wie gesagt, weder von der EZB noch von anderen Institutionen der Geldpolitik angedacht wird) könnte also der unabhängige EZB-Rat mehrheitlich aus Effizienzgründen das Ende der Bargeldproduktion und -verteilung beschließen. Österreich müsste dann, um der angedachten Verfassungsbestimmung zu genügen, eine Parallelwährung (wohl mit fixem Wechselkurs zum Euro) einführen, was aber nach der erwähnten Stelle im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union untersagt wäre. Dann stünde Verfassungsbestimmung (Österreichs EU-Mitgliedschaft) gegen Verfassungsbestimmung (Bargeldpflicht) - eine Konstellation, die wohl niemand anstreben kann. Wird aber dieser konstruierte Fall ohnehin als unrealistisch eingestuft, so bestand erst recht kein Anlass, damit die österreichische Verfassung zu belasten.

Ganz allgemein waren historisch die gesetzlichen oder faktischen Zahlungsmittel stets eine Resultante aus Praktikabilität, Kosten und Sicherheit. Dies gilt für frühe Formen von "Bargeld" (etwa Gold statt großvolumiger Warenballen, Schecks statt Gold, staatliche garantierte Banknoten statt privater Wechsel etc.) ebenso wie für heutige elektronische Zahlungsmittel. Im aktuellen wirtschaftlichen Umfeld gibt es zwei Gruppen von (potenziellen) Befürwortern einer Einschränkung des Bargeldumlaufs:

In Zeiten teils negativer Zinssätze auf Bankeinlagen steigt der Anreiz für private Sparer, ihre liquiden Finanzmittel aus den Banken abzuziehen und in Bargeld umzuschichten. Die Banken haben somit ein Interesse, dieses Schlupfloch möglichst klein zu halten.

Im akademischen Bereich gibt es Überlegungen, die Nachteile von Bargeld (Produktions-, Transport- und Lagerkosten, Fälschungsanfälligkeit, Begünstigung der grauen Wirtschaft) durch seine Abschaffung zu umgehen.

Bargeld begünstigtdie "graue Wirtschaft"

Ein Vertreter dieser Richtung ist seit vielen Jahren der Harvard-Professor Kenneth Rogoff, früher Chefökonom des Internationalen Währungsfonds. In seinem Buch "Der Fluch des Geldes" (2016) versucht er, den Einfluss des Bargeldes auf die internationale Kriminalität darzulegen, und weist zugleich auf die mit Bargeld verbundenen Beschränkungen für die Geldpolitik hin, mit Negativzinsen einer Rezession entgegenzuwirken. Allerdings will auch er den Bargeldumlauf nicht von heute auf morgen abschaffen, sondern erst einmal nur die größten Banknoten einsparen. Dies wurde bereits von der EZB eingeleitet: Künftig soll es keine 500-Euro-Scheine mehr geben (die alten behalten ihre Gültigkeit), womit allmählich 2 Prozent der Banknoten im Umlauf und 19 Prozent ihres Gesamtwertes eingespart werden (von Juli auf August wurde die Zahl der 500er im Umlauf um acht Millionen Stück reduziert). Wird dies als eine Einschränkung der persönlichen Freiheit empfunden? Vielleicht in Schlepperkreisen und im Drogenhandel.

Österreichs Verfassung hat schon viele eigentümliche Ergänzungen erlebt, die oft nur bezweckten, Gesetzesbeschlüsse vor einer allfälligen Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof zu sichern. Dies war gang und gäbe unter Koalitionen, die im Parlament über eine Zweidrittelmehrheit verfügten. Man denke an die Fiaker und die Sozialpartnerschaft. Auch der soeben vom Nationalrat gefasste Beschluss, die Schuldenbremse in den Verfassungsrang zu heben, um "das gesamtstaatliche Bekenntnis zur Reduktion der Staatsschuldenquote nachhaltig und transparent" zu gestalten, fällt in diese Kategorie der unnötigen Verfassungsbestimmungen. Darunter wäre beinahe auch das Bargeld gerutscht, das sich in der Eurozone der nationalen Regelung entzieht.